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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Kosmologische Lehrsätze. I.
verläuft in der unendlichen Zeit als eine einheitliche Entwicklung,
mit periodischem Wechsel von Werden und Vergehen, von Fort-
bildung und Rückbildung. 4. Die unzähligen Weltkörper, welche
im raumerfüllenden Aether vertheilt sind, unterliegen sämmtlich
dem Substanz-Gesetz; während in einem Theile des Universum
die rotirenden Weltkörper langsam ihrer Rückbildung und ihrem
Untergang entgegen gehen, erfolgt in einem andern Theile des
Weltraums Neubildung und Fortentwicklung. 5. Unsere Sonne
ist einer von diesen unzähligen vergänglichen Weltkörpern, und
unsere Erde ist einer von den zahlreichen vergänglichen Planeten,
welche dieselbe umkreisen. 6. Unsere Erde hat einen langen
Abkühlungs-Proceß durchgemacht, ehe auf derselben tropfbar
flüssiges Wasser und damit die erste Vorbedingung organischen
Lebens entstehen konnte. 7. Der dann folgende biogenetische
Proceß, die langsame Entwicklung und Umbildung zahlloser
organischer Formen, hat viele Millionen Jahre (weit über
hundert!) in Anspruch genommen *). 8. Unter den verschiedenen
Thier-Stämmen, welche sich im späteren Verlaufe des biogene-
tischen Processes auf unserer Erde entwickelten, hat der Stamm
der Wirbelthiere im Wettlaufe der Entwickelung neuerdings alle
anderen weit überflügelt. 9. Als der bedeutendste Zweig des
Wirbelthier-Stammes hat sich erst spät (während der Trias-
Periode) aus niederen Reptilien und Amphibien die Klasse der
Säugethiere entwickelt. 10. Der vollkommenste und höchst ent-
wickelte Zweig dieser Klasse ist die Ordnung der Herrenthiere
oder Primaten, die erst im Beginne der Tertiär-Zeit (vor min-
destens drei Millionen Jahren) durch Umbildung aus niedersten
Zottenthieren (Prochoriaten) entstanden ist. 11. Das jüngste und
vollkommenste Aestchen des Primaten-Zweiges ist der Mensch,


*) Zeitdauer der organischen Erdgeschichte. Vergl. meinen Cambridge-
Vortrag: Ueber unsere gegenwärtige Kenntniß vom Ursprunge des Menschen.
Bonn 1898. VII. Aufl., S. 51.

Kosmologiſche Lehrſätze. I.
verläuft in der unendlichen Zeit als eine einheitliche Entwicklung,
mit periodiſchem Wechſel von Werden und Vergehen, von Fort-
bildung und Rückbildung. 4. Die unzähligen Weltkörper, welche
im raumerfüllenden Aether vertheilt ſind, unterliegen ſämmtlich
dem Subſtanz-Geſetz; während in einem Theile des Univerſum
die rotirenden Weltkörper langſam ihrer Rückbildung und ihrem
Untergang entgegen gehen, erfolgt in einem andern Theile des
Weltraums Neubildung und Fortentwicklung. 5. Unſere Sonne
iſt einer von dieſen unzähligen vergänglichen Weltkörpern, und
unſere Erde iſt einer von den zahlreichen vergänglichen Planeten,
welche dieſelbe umkreiſen. 6. Unſere Erde hat einen langen
Abkühlungs-Proceß durchgemacht, ehe auf derſelben tropfbar
flüſſiges Waſſer und damit die erſte Vorbedingung organiſchen
Lebens entſtehen konnte. 7. Der dann folgende biogenetiſche
Proceß, die langſame Entwicklung und Umbildung zahlloſer
organiſcher Formen, hat viele Millionen Jahre (weit über
hundert!) in Anſpruch genommen *). 8. Unter den verſchiedenen
Thier-Stämmen, welche ſich im ſpäteren Verlaufe des biogene-
tiſchen Proceſſes auf unſerer Erde entwickelten, hat der Stamm
der Wirbelthiere im Wettlaufe der Entwickelung neuerdings alle
anderen weit überflügelt. 9. Als der bedeutendſte Zweig des
Wirbelthier-Stammes hat ſich erſt ſpät (während der Trias-
Periode) aus niederen Reptilien und Amphibien die Klaſſe der
Säugethiere entwickelt. 10. Der vollkommenſte und höchſt ent-
wickelte Zweig dieſer Klaſſe iſt die Ordnung der Herrenthiere
oder Primaten, die erſt im Beginne der Tertiär-Zeit (vor min-
deſtens drei Millionen Jahren) durch Umbildung aus niederſten
Zottenthieren (Prochoriaten) entſtanden iſt. 11. Das jüngſte und
vollkommenſte Aeſtchen des Primaten-Zweiges iſt der Menſch,


*) Zeitdauer der organiſchen Erdgeſchichte. Vergl. meinen Cambridge-
Vortrag: Ueber unſere gegenwärtige Kenntniß vom Urſprunge des Menſchen.
Bonn 1898. VII. Aufl., S. 51.
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[16/0032] Kosmologiſche Lehrſätze. I. verläuft in der unendlichen Zeit als eine einheitliche Entwicklung, mit periodiſchem Wechſel von Werden und Vergehen, von Fort- bildung und Rückbildung. 4. Die unzähligen Weltkörper, welche im raumerfüllenden Aether vertheilt ſind, unterliegen ſämmtlich dem Subſtanz-Geſetz; während in einem Theile des Univerſum die rotirenden Weltkörper langſam ihrer Rückbildung und ihrem Untergang entgegen gehen, erfolgt in einem andern Theile des Weltraums Neubildung und Fortentwicklung. 5. Unſere Sonne iſt einer von dieſen unzähligen vergänglichen Weltkörpern, und unſere Erde iſt einer von den zahlreichen vergänglichen Planeten, welche dieſelbe umkreiſen. 6. Unſere Erde hat einen langen Abkühlungs-Proceß durchgemacht, ehe auf derſelben tropfbar flüſſiges Waſſer und damit die erſte Vorbedingung organiſchen Lebens entſtehen konnte. 7. Der dann folgende biogenetiſche Proceß, die langſame Entwicklung und Umbildung zahlloſer organiſcher Formen, hat viele Millionen Jahre (weit über hundert!) in Anſpruch genommen *). 8. Unter den verſchiedenen Thier-Stämmen, welche ſich im ſpäteren Verlaufe des biogene- tiſchen Proceſſes auf unſerer Erde entwickelten, hat der Stamm der Wirbelthiere im Wettlaufe der Entwickelung neuerdings alle anderen weit überflügelt. 9. Als der bedeutendſte Zweig des Wirbelthier-Stammes hat ſich erſt ſpät (während der Trias- Periode) aus niederen Reptilien und Amphibien die Klaſſe der Säugethiere entwickelt. 10. Der vollkommenſte und höchſt ent- wickelte Zweig dieſer Klaſſe iſt die Ordnung der Herrenthiere oder Primaten, die erſt im Beginne der Tertiär-Zeit (vor min- deſtens drei Millionen Jahren) durch Umbildung aus niederſten Zottenthieren (Prochoriaten) entſtanden iſt. 11. Das jüngſte und vollkommenſte Aeſtchen des Primaten-Zweiges iſt der Menſch, *) Zeitdauer der organiſchen Erdgeſchichte. Vergl. meinen Cambridge- Vortrag: Ueber unſere gegenwärtige Kenntniß vom Urſprunge des Menſchen. Bonn 1898. VII. Aufl., S. 51.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/32>, abgerufen am 29.03.2024.