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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Materielle Seelen-Substanz. XI.
kretem und realistischem Sinne, bald als ein unklares Mittelding
zwischen beiden. Halten wir an dem monistischen Substanz-
Begriffe fest, wie wir ihn (im 12. Kapitel) als einfachste Grund-
lage unserer gesammten Weltanschauung entwickeln, so ist in
demselben Energie und Materie untrennbar verbunden.
Dann müssen wir an der "Seelen-Substanz" die eigentliche, uns
allein bekannte psychische Energie unterscheiden (Empfinden,
Vorstellen, Wollen) und die psychische Materie, durch welche
allein dieselbe zur Wirkung gelangen kann, also das lebendige
Plasma. Bei den höheren Thieren bildet dann der "Seelen-
stoff" einen Theil des Nerven-Systems, bei den niederen, nerven-
losen Thieren und den Pflanzen einen Theil ihres vielzelligen
Plasma-Körpers, bei den einzelligen Protisten einen Theil ihres
plasmatischen Zellen-Körpers. Somit kommen wir wieder auf
die Seelen-Organe und gelangen zu der naturgemäßen Er-
kenntniß, daß diese materiellen Organe für die Seelenthätigkeit
unentbehrlich sind; die Seele selbst aber ist aktuell, ist die
Summe ihrer physiologischen Funktionen.

Ganz anders gestaltet sich der Begriff der specifischen Seelen-
Substanz bei jenen dualistischen Philosophen, welche eine solche
annehmen. Die unsterbliche "Seele" soll dann zwar materiell
sein, aber doch unsichtbar und ganz verschieden von dem sicht-
baren Körper, in welchem sie wohnt. Die Unsichtbarkeit
der Seele wird dabei als ein sehr wesentliches Attribut derselben
betrachtet. Einige vergleichen dabei die Seele mit dem Aether
und betrachten sie gleich diesem als einen äußerst feinen und
leichten, höchst beweglichen Stoff oder ein imponderables Agens,
welches überall zwischen den wägbaren Theilchen des lebendigen
Organismus schwebt. Andere hingegen vergleichen die Seele mit
dem wehenden Winde und schreiben ihr also einen gasförmigen
Zustand zu; und dieser Vergleich ist ja auch derjenige, welcher
zuerst bei den Naturvölkern zu der später so allgemein gewordenen

Materielle Seelen-Subſtanz. XI.
kretem und realiſtiſchem Sinne, bald als ein unklares Mittelding
zwiſchen beiden. Halten wir an dem moniſtiſchen Subſtanz-
Begriffe feſt, wie wir ihn (im 12. Kapitel) als einfachſte Grund-
lage unſerer geſammten Weltanſchauung entwickeln, ſo iſt in
demſelben Energie und Materie untrennbar verbunden.
Dann müſſen wir an der „Seelen-Subſtanz“ die eigentliche, uns
allein bekannte pſychiſche Energie unterſcheiden (Empfinden,
Vorſtellen, Wollen) und die pſychiſche Materie, durch welche
allein dieſelbe zur Wirkung gelangen kann, alſo das lebendige
Plasma. Bei den höheren Thieren bildet dann der „Seelen-
ſtoff“ einen Theil des Nerven-Syſtems, bei den niederen, nerven-
loſen Thieren und den Pflanzen einen Theil ihres vielzelligen
Plasma-Körpers, bei den einzelligen Protiſten einen Theil ihres
plasmatiſchen Zellen-Körpers. Somit kommen wir wieder auf
die Seelen-Organe und gelangen zu der naturgemäßen Er-
kenntniß, daß dieſe materiellen Organe für die Seelenthätigkeit
unentbehrlich ſind; die Seele ſelbſt aber iſt aktuell, iſt die
Summe ihrer phyſiologiſchen Funktionen.

Ganz anders geſtaltet ſich der Begriff der ſpecifiſchen Seelen-
Subſtanz bei jenen dualiſtiſchen Philoſophen, welche eine ſolche
annehmen. Die unſterbliche „Seele“ ſoll dann zwar materiell
ſein, aber doch unſichtbar und ganz verſchieden von dem ſicht-
baren Körper, in welchem ſie wohnt. Die Unſichtbarkeit
der Seele wird dabei als ein ſehr weſentliches Attribut derſelben
betrachtet. Einige vergleichen dabei die Seele mit dem Aether
und betrachten ſie gleich dieſem als einen äußerſt feinen und
leichten, höchſt beweglichen Stoff oder ein imponderables Agens,
welches überall zwiſchen den wägbaren Theilchen des lebendigen
Organismus ſchwebt. Andere hingegen vergleichen die Seele mit
dem wehenden Winde und ſchreiben ihr alſo einen gasförmigen
Zuſtand zu; und dieſer Vergleich iſt ja auch derjenige, welcher
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[230/0246] Materielle Seelen-Subſtanz. XI. kretem und realiſtiſchem Sinne, bald als ein unklares Mittelding zwiſchen beiden. Halten wir an dem moniſtiſchen Subſtanz- Begriffe feſt, wie wir ihn (im 12. Kapitel) als einfachſte Grund- lage unſerer geſammten Weltanſchauung entwickeln, ſo iſt in demſelben Energie und Materie untrennbar verbunden. Dann müſſen wir an der „Seelen-Subſtanz“ die eigentliche, uns allein bekannte pſychiſche Energie unterſcheiden (Empfinden, Vorſtellen, Wollen) und die pſychiſche Materie, durch welche allein dieſelbe zur Wirkung gelangen kann, alſo das lebendige Plasma. Bei den höheren Thieren bildet dann der „Seelen- ſtoff“ einen Theil des Nerven-Syſtems, bei den niederen, nerven- loſen Thieren und den Pflanzen einen Theil ihres vielzelligen Plasma-Körpers, bei den einzelligen Protiſten einen Theil ihres plasmatiſchen Zellen-Körpers. Somit kommen wir wieder auf die Seelen-Organe und gelangen zu der naturgemäßen Er- kenntniß, daß dieſe materiellen Organe für die Seelenthätigkeit unentbehrlich ſind; die Seele ſelbſt aber iſt aktuell, iſt die Summe ihrer phyſiologiſchen Funktionen. Ganz anders geſtaltet ſich der Begriff der ſpecifiſchen Seelen- Subſtanz bei jenen dualiſtiſchen Philoſophen, welche eine ſolche annehmen. Die unſterbliche „Seele“ ſoll dann zwar materiell ſein, aber doch unſichtbar und ganz verſchieden von dem ſicht- baren Körper, in welchem ſie wohnt. Die Unſichtbarkeit der Seele wird dabei als ein ſehr weſentliches Attribut derſelben betrachtet. Einige vergleichen dabei die Seele mit dem Aether und betrachten ſie gleich dieſem als einen äußerſt feinen und leichten, höchſt beweglichen Stoff oder ein imponderables Agens, welches überall zwiſchen den wägbaren Theilchen des lebendigen Organismus ſchwebt. Andere hingegen vergleichen die Seele mit dem wehenden Winde und ſchreiben ihr alſo einen gasförmigen Zuſtand zu; und dieſer Vergleich iſt ja auch derjenige, welcher zuerſt bei den Naturvölkern zu der ſpäter ſo allgemein gewordenen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/246>, abgerufen am 20.04.2024.