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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XI. Athanismus und Religion.
achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich von Voltaire, Danton,
Mirabeau
u. A., ferner von den Hauptvertretern des damaligen
Materialismus, Holbach, Lamettrie u. A. Dieselbe Ueber-
zeugung vertrat auch der geistreiche Freund der Letzteren, der
größte der Hohenzollern-Fürsten, der monistische "Philosoph von
Sans-Souci". Was würde Friedrich der Große, dieser
"gekrönte Thanatist und Atheist", sagen, wenn er heute
seine monistischen Ueberzeugungen mit denjenigen seiner Nachfolger
vergleichen könnte!

Unter den denkenden Aerzten ist die Ueberzeugung, daß
mit dem Tode des Menschen auch die Existenz seiner Seele auf-
höre, wohl seit Jahrhunderten sehr verbreitet gewesen; aber auch
sie hüteten sich meistens wohl, dieselbe auszusprechen. Auch blieb
immerhin noch im vorigen Jahrhundert die empirische Kenntniß
des Gehirns so unvollkommen, daß die "Seele" als ein räthsel-
hafter Bewohner desselben ihre selbstständige Existenz fortfristen
konnte. Endgültig beseitigt wurde dieselbe erst durch die Riesen-
fortschritte der Biologie in unserem Jahrhundert und besonders
in dessen zweiter Hälfte. Die Begründung der Descendenz-Theorie
und der Zellen-Theorie, die überraschenden Entdeckungen der
Ontogenie und der Experimental-Physiologie, vor Allem aber die
bewunderungswürdigen Fortschritte der mikroskopischen Gehirn-
Anatomie entzogen dem Athanismus allmählich jeden Boden, so
daß jetzt nur selten ein sachkundiger und ehrlicher Biologe noch
für die Unsterblichkeit der Seele eintritt. Die monistischen Philo-
sophen des neunzehnten Jahrhunderts (Strauß, Feuerbach,
Büchner, Spencer
u. s. w.) sind sämmtlich Thanatisten.

Athanismus und Religion. Die weiteste Verbreitung
und die höchste Bedeutung hat das Dogma der persönlichen Un-
sterblichkeit erst durch seine innige Verbindung mit den Glaubens-
lehren des Christenthums gefunden; und diese hat auch zu
der irrthümlichen, heute noch sehr verbreiteten Ansicht geführt,

Haeckel, Welträthsel. 15

XI. Athanismus und Religion.
achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich von Voltaire, Danton,
Mirabeau
u. A., ferner von den Hauptvertretern des damaligen
Materialismus, Holbach, Lamettrie u. A. Dieſelbe Ueber-
zeugung vertrat auch der geiſtreiche Freund der Letzteren, der
größte der Hohenzollern-Fürſten, der moniſtiſche „Philoſoph von
Sans-Souci“. Was würde Friedrich der Große, dieſer
gekrönte Thanatiſt und Atheiſt“, ſagen, wenn er heute
ſeine moniſtiſchen Ueberzeugungen mit denjenigen ſeiner Nachfolger
vergleichen könnte!

Unter den denkenden Aerzten iſt die Ueberzeugung, daß
mit dem Tode des Menſchen auch die Exiſtenz ſeiner Seele auf-
höre, wohl ſeit Jahrhunderten ſehr verbreitet geweſen; aber auch
ſie hüteten ſich meiſtens wohl, dieſelbe auszuſprechen. Auch blieb
immerhin noch im vorigen Jahrhundert die empiriſche Kenntniß
des Gehirns ſo unvollkommen, daß die „Seele“ als ein räthſel-
hafter Bewohner desſelben ihre ſelbſtſtändige Exiſtenz fortfriſten
konnte. Endgültig beſeitigt wurde dieſelbe erſt durch die Rieſen-
fortſchritte der Biologie in unſerem Jahrhundert und beſonders
in deſſen zweiter Hälfte. Die Begründung der Deſcendenz-Theorie
und der Zellen-Theorie, die überraſchenden Entdeckungen der
Ontogenie und der Experimental-Phyſiologie, vor Allem aber die
bewunderungswürdigen Fortſchritte der mikroſkopiſchen Gehirn-
Anatomie entzogen dem Athanismus allmählich jeden Boden, ſo
daß jetzt nur ſelten ein ſachkundiger und ehrlicher Biologe noch
für die Unſterblichkeit der Seele eintritt. Die moniſtiſchen Philo-
ſophen des neunzehnten Jahrhunderts (Strauß, Feuerbach,
Büchner, Spencer
u. ſ. w.) ſind ſämmtlich Thanatiſten.

Athanismus und Religion. Die weiteſte Verbreitung
und die höchſte Bedeutung hat das Dogma der perſönlichen Un-
ſterblichkeit erſt durch ſeine innige Verbindung mit den Glaubens-
lehren des Chriſtenthums gefunden; und dieſe hat auch zu
der irrthümlichen, heute noch ſehr verbreiteten Anſicht geführt,

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[225/0241] XI. Athanismus und Religion. achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich von Voltaire, Danton, Mirabeau u. A., ferner von den Hauptvertretern des damaligen Materialismus, Holbach, Lamettrie u. A. Dieſelbe Ueber- zeugung vertrat auch der geiſtreiche Freund der Letzteren, der größte der Hohenzollern-Fürſten, der moniſtiſche „Philoſoph von Sans-Souci“. Was würde Friedrich der Große, dieſer „gekrönte Thanatiſt und Atheiſt“, ſagen, wenn er heute ſeine moniſtiſchen Ueberzeugungen mit denjenigen ſeiner Nachfolger vergleichen könnte! Unter den denkenden Aerzten iſt die Ueberzeugung, daß mit dem Tode des Menſchen auch die Exiſtenz ſeiner Seele auf- höre, wohl ſeit Jahrhunderten ſehr verbreitet geweſen; aber auch ſie hüteten ſich meiſtens wohl, dieſelbe auszuſprechen. Auch blieb immerhin noch im vorigen Jahrhundert die empiriſche Kenntniß des Gehirns ſo unvollkommen, daß die „Seele“ als ein räthſel- hafter Bewohner desſelben ihre ſelbſtſtändige Exiſtenz fortfriſten konnte. Endgültig beſeitigt wurde dieſelbe erſt durch die Rieſen- fortſchritte der Biologie in unſerem Jahrhundert und beſonders in deſſen zweiter Hälfte. Die Begründung der Deſcendenz-Theorie und der Zellen-Theorie, die überraſchenden Entdeckungen der Ontogenie und der Experimental-Phyſiologie, vor Allem aber die bewunderungswürdigen Fortſchritte der mikroſkopiſchen Gehirn- Anatomie entzogen dem Athanismus allmählich jeden Boden, ſo daß jetzt nur ſelten ein ſachkundiger und ehrlicher Biologe noch für die Unſterblichkeit der Seele eintritt. Die moniſtiſchen Philo- ſophen des neunzehnten Jahrhunderts (Strauß, Feuerbach, Büchner, Spencer u. ſ. w.) ſind ſämmtlich Thanatiſten. Athanismus und Religion. Die weiteſte Verbreitung und die höchſte Bedeutung hat das Dogma der perſönlichen Un- ſterblichkeit erſt durch ſeine innige Verbindung mit den Glaubens- lehren des Chriſtenthums gefunden; und dieſe hat auch zu der irrthümlichen, heute noch ſehr verbreiteten Anſicht geführt, Haeckel, Welträthſel. 15

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/241>, abgerufen am 20.04.2024.