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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Begriff der Unsterblichkeit. XI.
mehr betonen, daß ich die Protozoen im physiologischen (also
auch im psychologischen!) Sinne ebenso für sterblich halte wie
die Metazoen; unsterblich ist in beiden Gruppen weder der
Leib noch die Seele. Die übrigen irrthümlichen Folgerungen
Weismann's sind bereits (1884) durch Moebius widerlegt
worden, der mit Recht hervorhebt, daß "Alles in der Welt
periodisch geschieht", und daß es "keine Quelle giebt, aus welcher
unsterbliche organische Individuen hätten entspringen können".

Kosmische und persönliche Unsterblichkeit. Wenn man
den Begriff der Unsterblichkeit ganz allgemein auffaßt und auf
die Gesammtheit der erkennbaren Natur ausdehnt, so gewinnt er
wissenschaftliche Bedeutung; er erscheint dann der monistischen
Philosophie nicht nur annehmbar, sondern selbstverständlich. Denn
die These von der Unzerstörbarkeit und ewigen Dauer alles
Seienden fällt dann zusammen mit unserm höchsten Natur-
Gesetze, dem Substanz-Gesetz (12. Kapitel). Da wir diese
kosmische Unsterblichkeit später, bei Begründung der Lehre von
der Erhaltung der Kraft und des Stoffes, ausführlich erörtern
werden, halten wir uns hier nicht weiter dabei auf. Vielmehr
wenden wir uns sogleich zur Kritik jenes "Unsterblichkeits-
Glaubens", der gewöhnlich allein unter diesem Begriffe verstanden
wird, der Immortalität der persönlichen Seele. Wir unter-
suchen zunächst die Verbreitung und Entstehung dieser mystischen
und dualistischen Vorstellung und betonen dabei besonders die
weite Verbreitung ihres Gegentheils, des monistischen, em-
pirisch begründeten Thanatismus. Ich unterscheide hier als
zwei wesentlich verschiedene Erscheinungen desselben den pri-
mären
und den sekundären Thanatismus; bei ersterem ist
der Mangel des Unsterblichkeits-Dogmas ein ursprünglicher (bei
primitiven Naturvölkern); der sekundäre Thanatismus dagegen
ist das späte Erzeugniß vernunftgemäßer Natur-Erkenntniß bei
hoch entwickelten Kulturvölkern.

Begriff der Unſterblichkeit. XI.
mehr betonen, daß ich die Protozoen im phyſiologiſchen (alſo
auch im pſychologiſchen!) Sinne ebenſo für ſterblich halte wie
die Metazoen; unſterblich iſt in beiden Gruppen weder der
Leib noch die Seele. Die übrigen irrthümlichen Folgerungen
Weismann's ſind bereits (1884) durch Moebius widerlegt
worden, der mit Recht hervorhebt, daß „Alles in der Welt
periodiſch geſchieht“, und daß es „keine Quelle giebt, aus welcher
unſterbliche organiſche Individuen hätten entſpringen können“.

Kosmiſche und perſönliche Unſterblichkeit. Wenn man
den Begriff der Unſterblichkeit ganz allgemein auffaßt und auf
die Geſammtheit der erkennbaren Natur ausdehnt, ſo gewinnt er
wiſſenſchaftliche Bedeutung; er erſcheint dann der moniſtiſchen
Philoſophie nicht nur annehmbar, ſondern ſelbſtverſtändlich. Denn
die Theſe von der Unzerſtörbarkeit und ewigen Dauer alles
Seienden fällt dann zuſammen mit unſerm höchſten Natur-
Geſetze, dem Subſtanz-Geſetz (12. Kapitel). Da wir dieſe
kosmiſche Unſterblichkeit ſpäter, bei Begründung der Lehre von
der Erhaltung der Kraft und des Stoffes, ausführlich erörtern
werden, halten wir uns hier nicht weiter dabei auf. Vielmehr
wenden wir uns ſogleich zur Kritik jenes „Unſterblichkeits-
Glaubens“, der gewöhnlich allein unter dieſem Begriffe verſtanden
wird, der Immortalität der perſönlichen Seele. Wir unter-
ſuchen zunächſt die Verbreitung und Entſtehung dieſer myſtiſchen
und dualiſtiſchen Vorſtellung und betonen dabei beſonders die
weite Verbreitung ihres Gegentheils, des moniſtiſchen, em-
piriſch begründeten Thanatismus. Ich unterſcheide hier als
zwei weſentlich verſchiedene Erſcheinungen desſelben den pri-
mären
und den ſekundären Thanatismus; bei erſterem iſt
der Mangel des Unſterblichkeits-Dogmas ein urſprünglicher (bei
primitiven Naturvölkern); der ſekundäre Thanatismus dagegen
iſt das ſpäte Erzeugniß vernunftgemäßer Natur-Erkenntniß bei
hoch entwickelten Kulturvölkern.

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[222/0238] Begriff der Unſterblichkeit. XI. mehr betonen, daß ich die Protozoen im phyſiologiſchen (alſo auch im pſychologiſchen!) Sinne ebenſo für ſterblich halte wie die Metazoen; unſterblich iſt in beiden Gruppen weder der Leib noch die Seele. Die übrigen irrthümlichen Folgerungen Weismann's ſind bereits (1884) durch Moebius widerlegt worden, der mit Recht hervorhebt, daß „Alles in der Welt periodiſch geſchieht“, und daß es „keine Quelle giebt, aus welcher unſterbliche organiſche Individuen hätten entſpringen können“. Kosmiſche und perſönliche Unſterblichkeit. Wenn man den Begriff der Unſterblichkeit ganz allgemein auffaßt und auf die Geſammtheit der erkennbaren Natur ausdehnt, ſo gewinnt er wiſſenſchaftliche Bedeutung; er erſcheint dann der moniſtiſchen Philoſophie nicht nur annehmbar, ſondern ſelbſtverſtändlich. Denn die Theſe von der Unzerſtörbarkeit und ewigen Dauer alles Seienden fällt dann zuſammen mit unſerm höchſten Natur- Geſetze, dem Subſtanz-Geſetz (12. Kapitel). Da wir dieſe kosmiſche Unſterblichkeit ſpäter, bei Begründung der Lehre von der Erhaltung der Kraft und des Stoffes, ausführlich erörtern werden, halten wir uns hier nicht weiter dabei auf. Vielmehr wenden wir uns ſogleich zur Kritik jenes „Unſterblichkeits- Glaubens“, der gewöhnlich allein unter dieſem Begriffe verſtanden wird, der Immortalität der perſönlichen Seele. Wir unter- ſuchen zunächſt die Verbreitung und Entſtehung dieſer myſtiſchen und dualiſtiſchen Vorſtellung und betonen dabei beſonders die weite Verbreitung ihres Gegentheils, des moniſtiſchen, em- piriſch begründeten Thanatismus. Ich unterſcheide hier als zwei weſentlich verſchiedene Erſcheinungen desſelben den pri- mären und den ſekundären Thanatismus; bei erſterem iſt der Mangel des Unſterblichkeits-Dogmas ein urſprünglicher (bei primitiven Naturvölkern); der ſekundäre Thanatismus dagegen iſt das ſpäte Erzeugniß vernunftgemäßer Natur-Erkenntniß bei hoch entwickelten Kulturvölkern.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/238>, abgerufen am 29.03.2024.