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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XI. Unsterblichkeit der Einzelligen.
niedersten einzelligen Organismen, die Protisten, unsterblich
seien, im Gegensatze zu allen vielzelligen Thieren und Pflanzen,
deren Körper aus Geweben zusammengesetzt ist. Besonders wurde
diese seltsame Auffassung dadurch begründet, daß die meisten
Protisten sich vorwiegend auf ungeschlechtlichem Wege vermehren,
durch Theilung oder Sporenbildung. Dabei zerfällt der ganze
Körper des einzelligen Organismus in zwei oder mehr gleich-
werthige Stücke (Tochterzellen), und jedes dieser Stücke ergänzt
sich wieder durch Wachsthum, bis es der Mutterzelle an Größe
und Form gleich geworden ist. Allein durch den Theilungs-
Proceß selbst ist ja bereits die Individualität des einzelligen
Organismus vernichtet, ebenso die physiologische wie die morpho-
logische Einheit. Den Begriff des Individuums selbst, des
"Untheilbaren", widerlegt logisch die Auffassung von Weis-
mann
; denn es bedeutet ja eine Einheit, die man nicht
theilen kann, ohne ihr Wesen aufzuheben. In diesem Sinne
sind die einzelligen Urpflanzen (Protophyta) und die einzelligen
Urthiere (Protozoa) zeitlebens ebenso Bionten oder physio-
logische Individuen
, wie die vielzelligen, gewebebildenden
Pflanzen und Thiere. Auch bei den letzteren kommt ungeschlecht-
liche Fortpflanzung durch einfache Theilung vor (z. B. bei manchen
Nesselthieren, Korallen, Medusen n. A.); das Mutterthier, aus
dessen Theilung die beiden Tochterthiere hervorgehen, hat auch
hier mit deren Trennung aufgehört zu existiren. Weismann
behauptet: "Es giebt keine Individuen und keine Generationen
bei den Protozoen im Sinne der Metazoen." Ich muß
diesen Satz entschieden bestreiten. Da ich selbst zuerst (1872) den
Begriff der Metazoen aufgestellt und diese vielzelligen, gewebe-
bildenden Thiere den einzelligen Protozoen (Infusorien, Rhizo-
poden u. s. w.) gegenübergestellt habe, da ich selbst ferner zuerst
den principiellen Unterschied in der Entwickelung Beider (dort
aus Keimblättern, hier nicht) begründet habe, muß ich um so

XI. Unſterblichkeit der Einzelligen.
niederſten einzelligen Organismen, die Protiſten, unſterblich
ſeien, im Gegenſatze zu allen vielzelligen Thieren und Pflanzen,
deren Körper aus Geweben zuſammengeſetzt iſt. Beſonders wurde
dieſe ſeltſame Auffaſſung dadurch begründet, daß die meiſten
Protiſten ſich vorwiegend auf ungeſchlechtlichem Wege vermehren,
durch Theilung oder Sporenbildung. Dabei zerfällt der ganze
Körper des einzelligen Organismus in zwei oder mehr gleich-
werthige Stücke (Tochterzellen), und jedes dieſer Stücke ergänzt
ſich wieder durch Wachsthum, bis es der Mutterzelle an Größe
und Form gleich geworden iſt. Allein durch den Theilungs-
Proceß ſelbſt iſt ja bereits die Individualität des einzelligen
Organismus vernichtet, ebenſo die phyſiologiſche wie die morpho-
logiſche Einheit. Den Begriff des Individuums ſelbſt, des
„Untheilbaren“, widerlegt logiſch die Auffaſſung von Weis-
mann
; denn es bedeutet ja eine Einheit, die man nicht
theilen kann, ohne ihr Weſen aufzuheben. In dieſem Sinne
ſind die einzelligen Urpflanzen (Protophyta) und die einzelligen
Urthiere (Protozoa) zeitlebens ebenſo Bionten oder phyſio-
logiſche Individuen
, wie die vielzelligen, gewebebildenden
Pflanzen und Thiere. Auch bei den letzteren kommt ungeſchlecht-
liche Fortpflanzung durch einfache Theilung vor (z. B. bei manchen
Neſſelthieren, Korallen, Meduſen n. A.); das Mutterthier, aus
deſſen Theilung die beiden Tochterthiere hervorgehen, hat auch
hier mit deren Trennung aufgehört zu exiſtiren. Weismann
behauptet: „Es giebt keine Individuen und keine Generationen
bei den Protozoen im Sinne der Metazoen.“ Ich muß
dieſen Satz entſchieden beſtreiten. Da ich ſelbſt zuerſt (1872) den
Begriff der Metazoen aufgeſtellt und dieſe vielzelligen, gewebe-
bildenden Thiere den einzelligen Protozoen (Infuſorien, Rhizo-
poden u. ſ. w.) gegenübergeſtellt habe, da ich ſelbſt ferner zuerſt
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[221/0237] XI. Unſterblichkeit der Einzelligen. niederſten einzelligen Organismen, die Protiſten, unſterblich ſeien, im Gegenſatze zu allen vielzelligen Thieren und Pflanzen, deren Körper aus Geweben zuſammengeſetzt iſt. Beſonders wurde dieſe ſeltſame Auffaſſung dadurch begründet, daß die meiſten Protiſten ſich vorwiegend auf ungeſchlechtlichem Wege vermehren, durch Theilung oder Sporenbildung. Dabei zerfällt der ganze Körper des einzelligen Organismus in zwei oder mehr gleich- werthige Stücke (Tochterzellen), und jedes dieſer Stücke ergänzt ſich wieder durch Wachsthum, bis es der Mutterzelle an Größe und Form gleich geworden iſt. Allein durch den Theilungs- Proceß ſelbſt iſt ja bereits die Individualität des einzelligen Organismus vernichtet, ebenſo die phyſiologiſche wie die morpho- logiſche Einheit. Den Begriff des Individuums ſelbſt, des „Untheilbaren“, widerlegt logiſch die Auffaſſung von Weis- mann; denn es bedeutet ja eine Einheit, die man nicht theilen kann, ohne ihr Weſen aufzuheben. In dieſem Sinne ſind die einzelligen Urpflanzen (Protophyta) und die einzelligen Urthiere (Protozoa) zeitlebens ebenſo Bionten oder phyſio- logiſche Individuen, wie die vielzelligen, gewebebildenden Pflanzen und Thiere. Auch bei den letzteren kommt ungeſchlecht- liche Fortpflanzung durch einfache Theilung vor (z. B. bei manchen Neſſelthieren, Korallen, Meduſen n. A.); das Mutterthier, aus deſſen Theilung die beiden Tochterthiere hervorgehen, hat auch hier mit deren Trennung aufgehört zu exiſtiren. Weismann behauptet: „Es giebt keine Individuen und keine Generationen bei den Protozoen im Sinne der Metazoen.“ Ich muß dieſen Satz entſchieden beſtreiten. Da ich ſelbſt zuerſt (1872) den Begriff der Metazoen aufgeſtellt und dieſe vielzelligen, gewebe- bildenden Thiere den einzelligen Protozoen (Infuſorien, Rhizo- poden u. ſ. w.) gegenübergeſtellt habe, da ich ſelbſt ferner zuerſt den principiellen Unterſchied in der Entwickelung Beider (dort aus Keimblättern, hier nicht) begründet habe, muß ich um ſo

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/237>, abgerufen am 19.04.2024.