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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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X. Monistische Theorie des Bewußtseins.
scheinung erklärt (wie wir gleich sehen werden), einen Theil der
anderen Seelen-Funktionen (z. B. Sinnes-Thätigkeit) aber nicht,
muß ich annehmen, daß er beide Begriffe für verschieden hält.
Aus anderen Stellen seiner eleganten Reden geht freilich das
Gegentheil hervor, wie denn überhaupt dieser berühmte Rhetor
sich gerade in Bezug auf wichtige Principien-Fragen oft auf-
fallend widerspricht. Ich betone hier nochmals, daß für mich
das Bewußtsein nur einen Theil der Seelen-Erscheinungen
bildet, die wir am Menschen und den höheren Thieren beobachten,
während der weitaus größere Theil derselben unbewußt abläuft.

Monistische und dualistische Theorie des Bewußtseins.
Soweit auch die verschiedenen Ansichten über die Natur und die
Entstehung des Bewußtseins aus einander gehen, so lassen sich
doch alle schließlich -- bei klarer und konsequenter logischer Be-
handlung -- auf zwei entgegengesetzte Grund-Anschauungen
zurückführen, auf die transscendente (dualistische) und die
physiologische (monistische). Ich selbst habe von jeher diese
letztere Auffassung, und zwar im Lichte der Entwickelungs-
lehre,
vertreten, und sie wird gegenwärtig von einer großen
Anzahl hervorragender Naturforscher getheilt, wenn auch bei
Weitem nicht von allen. Die erste Ansicht dagegen ist die ältere
und die weitaus verbreitetere; sie ist in neuerer Zeit vor Allem
durch Emil Dubois-Reymond wieder zu hohem Ansehen
gelangt und durch seine berühmte "Ignorabimus-Rede"
zu einem der meistbesprochenen Gegenstände in den modernen
"Welträthsel-Diskussionen" geworden. Bei der außerordentlichen
Bedeutung dieser Grundfrage können wir nicht umhin, hier noch-
mals auf den Kern derselben kurz einzugehen.

Transscendenz des Bewußtseins. In dem berühmtem
Vortrage "über die Grenzen des Naturerkennens", welchen
E. du Bois-Reymond am 14. August 1872 auf der Natur-
forscher-Versammlung in Leipzig hielt, stellte derselbe zwei ver-

X. Moniſtiſche Theorie des Bewußtſeins.
ſcheinung erklärt (wie wir gleich ſehen werden), einen Theil der
anderen Seelen-Funktionen (z. B. Sinnes-Thätigkeit) aber nicht,
muß ich annehmen, daß er beide Begriffe für verſchieden hält.
Aus anderen Stellen ſeiner eleganten Reden geht freilich das
Gegentheil hervor, wie denn überhaupt dieſer berühmte Rhetor
ſich gerade in Bezug auf wichtige Principien-Fragen oft auf-
fallend widerſpricht. Ich betone hier nochmals, daß für mich
das Bewußtſein nur einen Theil der Seelen-Erſcheinungen
bildet, die wir am Menſchen und den höheren Thieren beobachten,
während der weitaus größere Theil derſelben unbewußt abläuft.

Moniſtiſche und dualiſtiſche Theorie des Bewußtſeins.
Soweit auch die verſchiedenen Anſichten über die Natur und die
Entſtehung des Bewußtſeins aus einander gehen, ſo laſſen ſich
doch alle ſchließlich — bei klarer und konſequenter logiſcher Be-
handlung — auf zwei entgegengeſetzte Grund-Anſchauungen
zurückführen, auf die transſcendente (dualiſtiſche) und die
phyſiologiſche (moniſtiſche). Ich ſelbſt habe von jeher dieſe
letztere Auffaſſung, und zwar im Lichte der Entwickelungs-
lehre,
vertreten, und ſie wird gegenwärtig von einer großen
Anzahl hervorragender Naturforſcher getheilt, wenn auch bei
Weitem nicht von allen. Die erſte Anſicht dagegen iſt die ältere
und die weitaus verbreitetere; ſie iſt in neuerer Zeit vor Allem
durch Emil Dubois-Reymond wieder zu hohem Anſehen
gelangt und durch ſeine berühmte „Ignorabimus-Rede
zu einem der meiſtbeſprochenen Gegenſtände in den modernen
„Welträthſel-Diskuſſionen“ geworden. Bei der außerordentlichen
Bedeutung dieſer Grundfrage können wir nicht umhin, hier noch-
mals auf den Kern derſelben kurz einzugehen.

Transſcendenz des Bewußtſeins. In dem berühmtem
Vortrage „über die Grenzen des Naturerkennens“, welchen
E. du Bois-Reymond am 14. Auguſt 1872 auf der Natur-
forſcher-Verſammlung in Leipzig hielt, ſtellte derſelbe zwei ver-

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[207/0223] X. Moniſtiſche Theorie des Bewußtſeins. ſcheinung erklärt (wie wir gleich ſehen werden), einen Theil der anderen Seelen-Funktionen (z. B. Sinnes-Thätigkeit) aber nicht, muß ich annehmen, daß er beide Begriffe für verſchieden hält. Aus anderen Stellen ſeiner eleganten Reden geht freilich das Gegentheil hervor, wie denn überhaupt dieſer berühmte Rhetor ſich gerade in Bezug auf wichtige Principien-Fragen oft auf- fallend widerſpricht. Ich betone hier nochmals, daß für mich das Bewußtſein nur einen Theil der Seelen-Erſcheinungen bildet, die wir am Menſchen und den höheren Thieren beobachten, während der weitaus größere Theil derſelben unbewußt abläuft. Moniſtiſche und dualiſtiſche Theorie des Bewußtſeins. Soweit auch die verſchiedenen Anſichten über die Natur und die Entſtehung des Bewußtſeins aus einander gehen, ſo laſſen ſich doch alle ſchließlich — bei klarer und konſequenter logiſcher Be- handlung — auf zwei entgegengeſetzte Grund-Anſchauungen zurückführen, auf die transſcendente (dualiſtiſche) und die phyſiologiſche (moniſtiſche). Ich ſelbſt habe von jeher dieſe letztere Auffaſſung, und zwar im Lichte der Entwickelungs- lehre, vertreten, und ſie wird gegenwärtig von einer großen Anzahl hervorragender Naturforſcher getheilt, wenn auch bei Weitem nicht von allen. Die erſte Anſicht dagegen iſt die ältere und die weitaus verbreitetere; ſie iſt in neuerer Zeit vor Allem durch Emil Dubois-Reymond wieder zu hohem Anſehen gelangt und durch ſeine berühmte „Ignorabimus-Rede“ zu einem der meiſtbeſprochenen Gegenſtände in den modernen „Welträthſel-Diskuſſionen“ geworden. Bei der außerordentlichen Bedeutung dieſer Grundfrage können wir nicht umhin, hier noch- mals auf den Kern derſelben kurz einzugehen. Transſcendenz des Bewußtſeins. In dem berühmtem Vortrage „über die Grenzen des Naturerkennens“, welchen E. du Bois-Reymond am 14. Auguſt 1872 auf der Natur- forſcher-Verſammlung in Leipzig hielt, ſtellte derſelbe zwei ver-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/223>, abgerufen am 23.04.2024.