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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Anthropistische Theorie des Bewußtseins. X.
Mathematiker (erzogen in einem Jesuiten-Kollegium!) be-
gründete eine vollkommene Scheidewand zwischen der Seelen-
thätigkeit des Menschen und der Thiere. Die Seele des Menschen
als denkendes, immaterielles Wesen, ist nach ihm vom Körper,
als ausgedehntem, materiellen Wesen vollständig getrennt. Trotz-
dem soll sie an einem Punkte des Gehirns (an der Zirbeldrüse!)
mit dem Körper verbunden sein, um hier Einwirkungen der
Außenwelt aufzunehmen und ihrerseits auf den Körper aus-
zuüben. Die Thiere dagegen, als nicht denkende Wesen, sollen
keine Seele besitzen und reine Automaten sein, kunstvoll ge-
baute Maschinen, deren Empfinden, Vorstellen und Wollen rein
mechanisch zu Stande kommt und nach physikalischen Gesetzen
verläuft. Für die Psychologie des Menschen vertrat demnach
Descartes den reinen Dualismus, für diejenige der
Thiere den reinen Monismus. Dieser offenkundige Wider-
spruch bei einem so klaren und scharfsinnigen Denker muß höchst
auffallend erscheinen; zur Erklärung desselben darf man wohl
mit Recht annehmen, daß er seine wahre Ueberzeugung ver-
schwieg und deren Erkenntniß den selbstständigen Denkern über-
ließ. Als Zögling der Jesuiten war Descartes schon früh-
zeitig dazu erzogen, wider bessere Einsicht die Wahrheit zu ver-
leugnen; vielleicht fürchtete er auch die Macht der Kirche und
ihre Scheiterhaufen. Ohnehin hatte ihm seine skeptische Forderung,
daß jedes reine Erkenntnißstreben vom Zweifel am überlieferten
Dogma ausgehen müsse, fanatische Anklagen wegen Skepticismus
und Atheismus zugezogen. Die mächtige Wirkung, welche
Descartes auf die nachfolgende Philosophie ausübte, war
sehr merkwürdig und seiner "doppelten Buchführung" ent-
sprechend. Die Materialisten des 17. und 18. Jahrhunderts
beriefen sich für ihre monistische Psychologie auf die cartesianische
Theorie von der Thierseele und ihrer mechanischen Maschinen-
thätigkeit. Die Spiritualisten umgekehrt behaupteten, daß

Anthropiſtiſche Theorie des Bewußtſeins. X.
Mathematiker (erzogen in einem Jeſuiten-Kollegium!) be-
gründete eine vollkommene Scheidewand zwiſchen der Seelen-
thätigkeit des Menſchen und der Thiere. Die Seele des Menſchen
als denkendes, immaterielles Weſen, iſt nach ihm vom Körper,
als ausgedehntem, materiellen Weſen vollſtändig getrennt. Trotz-
dem ſoll ſie an einem Punkte des Gehirns (an der Zirbeldrüſe!)
mit dem Körper verbunden ſein, um hier Einwirkungen der
Außenwelt aufzunehmen und ihrerſeits auf den Körper aus-
zuüben. Die Thiere dagegen, als nicht denkende Weſen, ſollen
keine Seele beſitzen und reine Automaten ſein, kunſtvoll ge-
baute Maſchinen, deren Empfinden, Vorſtellen und Wollen rein
mechaniſch zu Stande kommt und nach phyſikaliſchen Geſetzen
verläuft. Für die Pſychologie des Menſchen vertrat demnach
Descartes den reinen Dualismus, für diejenige der
Thiere den reinen Monismus. Dieſer offenkundige Wider-
ſpruch bei einem ſo klaren und ſcharfſinnigen Denker muß höchſt
auffallend erſcheinen; zur Erklärung desſelben darf man wohl
mit Recht annehmen, daß er ſeine wahre Ueberzeugung ver-
ſchwieg und deren Erkenntniß den ſelbſtſtändigen Denkern über-
ließ. Als Zögling der Jeſuiten war Descartes ſchon früh-
zeitig dazu erzogen, wider beſſere Einſicht die Wahrheit zu ver-
leugnen; vielleicht fürchtete er auch die Macht der Kirche und
ihre Scheiterhaufen. Ohnehin hatte ihm ſeine ſkeptiſche Forderung,
daß jedes reine Erkenntnißſtreben vom Zweifel am überlieferten
Dogma ausgehen müſſe, fanatiſche Anklagen wegen Skepticismus
und Atheismus zugezogen. Die mächtige Wirkung, welche
Descartes auf die nachfolgende Philoſophie ausübte, war
ſehr merkwürdig und ſeiner „doppelten Buchführung“ ent-
ſprechend. Die Materialiſten des 17. und 18. Jahrhunderts
beriefen ſich für ihre moniſtiſche Pſychologie auf die carteſianiſche
Theorie von der Thierſeele und ihrer mechaniſchen Maſchinen-
thätigkeit. Die Spiritualiſten umgekehrt behaupteten, daß

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[200/0216] Anthropiſtiſche Theorie des Bewußtſeins. X. Mathematiker (erzogen in einem Jeſuiten-Kollegium!) be- gründete eine vollkommene Scheidewand zwiſchen der Seelen- thätigkeit des Menſchen und der Thiere. Die Seele des Menſchen als denkendes, immaterielles Weſen, iſt nach ihm vom Körper, als ausgedehntem, materiellen Weſen vollſtändig getrennt. Trotz- dem ſoll ſie an einem Punkte des Gehirns (an der Zirbeldrüſe!) mit dem Körper verbunden ſein, um hier Einwirkungen der Außenwelt aufzunehmen und ihrerſeits auf den Körper aus- zuüben. Die Thiere dagegen, als nicht denkende Weſen, ſollen keine Seele beſitzen und reine Automaten ſein, kunſtvoll ge- baute Maſchinen, deren Empfinden, Vorſtellen und Wollen rein mechaniſch zu Stande kommt und nach phyſikaliſchen Geſetzen verläuft. Für die Pſychologie des Menſchen vertrat demnach Descartes den reinen Dualismus, für diejenige der Thiere den reinen Monismus. Dieſer offenkundige Wider- ſpruch bei einem ſo klaren und ſcharfſinnigen Denker muß höchſt auffallend erſcheinen; zur Erklärung desſelben darf man wohl mit Recht annehmen, daß er ſeine wahre Ueberzeugung ver- ſchwieg und deren Erkenntniß den ſelbſtſtändigen Denkern über- ließ. Als Zögling der Jeſuiten war Descartes ſchon früh- zeitig dazu erzogen, wider beſſere Einſicht die Wahrheit zu ver- leugnen; vielleicht fürchtete er auch die Macht der Kirche und ihre Scheiterhaufen. Ohnehin hatte ihm ſeine ſkeptiſche Forderung, daß jedes reine Erkenntnißſtreben vom Zweifel am überlieferten Dogma ausgehen müſſe, fanatiſche Anklagen wegen Skepticismus und Atheismus zugezogen. Die mächtige Wirkung, welche Descartes auf die nachfolgende Philoſophie ausübte, war ſehr merkwürdig und ſeiner „doppelten Buchführung“ ent- ſprechend. Die Materialiſten des 17. und 18. Jahrhunderts beriefen ſich für ihre moniſtiſche Pſychologie auf die carteſianiſche Theorie von der Thierſeele und ihrer mechaniſchen Maſchinen- thätigkeit. Die Spiritualiſten umgekehrt behaupteten, daß

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/216>, abgerufen am 29.03.2024.