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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Seelen-Organ der Wirbelthiere. IX.
nervösen Centralorgane dieselbe wesentliche Struktur wieder, die
Zusammensetzung aus Ganglien-Zellen oder "Seelenzellen"
(den eigentlichen aktiven Elementar-Organen der Psyche) und
aus Nervenfasern, welche den Zusammenhang und die Lei-
tung der Aktion vermitteln.

Seelen-Organ der Wirbelthiere. Die erste Thatsache,
welche uns in der vergleichenden Psychologie der Vertebraten
entgegentritt, und welche der empirische Ausgangspunkt jeder
wissenschaftlichen Seelenlehre des Menschen sein sollte, ist der
charakteristische Bau ihres Central-Nervensystems. Wie dieses
centrale Seelen-Organ in jedem der höheren Thierstämme eine
besondere, diesem eigenthümliche Lage, Gestalt und Zusammen-
setzung zeigt, so ist es auch bei den Wirbelthieren der Fall.
Ueberall finden wir hier ein Rückenmark vor, einen starken
cylindrischen Nervenstrang, welcher in der Mittellinie des Rückens
verläuft, oberhalb der Wirbelsäule (oder der sie vertretenden
Chorda). Ueberall gehen von diesem Rückenmark zahlreiche Nerven-
stämme in regelmäßiger, segmentaler Vertheilung ab, je ein Paar
an jedem Segment oder Wirbelgliede. Ueberall entsteht dieses
"Medullar-Rohr" im Embryo auf gleiche Weise: in der Mittel-
linie der Rückenhaut bildet sich eine feine Furche oder Rinne;
die beiden parallelen Ränder dieser Markrinne oder Medullar-
Rinne
erheben sich, krümmen sich gegen einander und verwachsen
in der Mittellinie zu einem Rohre.

Das lange dorsale, so entstandene cylindrische Nervenrohr
oder Medullar-Rohr ist durchaus für die Wirbelthiere
charakteristisch, in der frühen Embryonal-Anlage überall das-
selbe und die gemeinsame Grundlage aller der verschiedenen
Formen des Seelen-Organs, die sich später daraus entwickeln.
Nur eine einzige Gruppe von wirbellosen Thieren zeigt eine
ähnliche Bildung; das sind die seltsamen, meerbewohnenden
Mantelthiere (Tunicata), die Kopelaten, Ascidien und

Seelen-Organ der Wirbelthiere. IX.
nervöſen Centralorgane dieſelbe weſentliche Struktur wieder, die
Zuſammenſetzung aus Ganglien-Zellen oder „Seelenzellen
(den eigentlichen aktiven Elementar-Organen der Pſyche) und
aus Nervenfaſern, welche den Zuſammenhang und die Lei-
tung der Aktion vermitteln.

Seelen-Organ der Wirbelthiere. Die erſte Thatſache,
welche uns in der vergleichenden Pſychologie der Vertebraten
entgegentritt, und welche der empiriſche Ausgangspunkt jeder
wiſſenſchaftlichen Seelenlehre des Menſchen ſein ſollte, iſt der
charakteriſtiſche Bau ihres Central-Nervenſyſtems. Wie dieſes
centrale Seelen-Organ in jedem der höheren Thierſtämme eine
beſondere, dieſem eigenthümliche Lage, Geſtalt und Zuſammen-
ſetzung zeigt, ſo iſt es auch bei den Wirbelthieren der Fall.
Ueberall finden wir hier ein Rückenmark vor, einen ſtarken
cylindriſchen Nervenſtrang, welcher in der Mittellinie des Rückens
verläuft, oberhalb der Wirbelſäule (oder der ſie vertretenden
Chorda). Ueberall gehen von dieſem Rückenmark zahlreiche Nerven-
ſtämme in regelmäßiger, ſegmentaler Vertheilung ab, je ein Paar
an jedem Segment oder Wirbelgliede. Ueberall entſteht dieſes
„Medullar-Rohr“ im Embryo auf gleiche Weiſe: in der Mittel-
linie der Rückenhaut bildet ſich eine feine Furche oder Rinne;
die beiden parallelen Ränder dieſer Markrinne oder Medullar-
Rinne
erheben ſich, krümmen ſich gegen einander und verwachſen
in der Mittellinie zu einem Rohre.

Das lange dorſale, ſo entſtandene cylindriſche Nervenrohr
oder Medullar-Rohr iſt durchaus für die Wirbelthiere
charakteriſtiſch, in der frühen Embryonal-Anlage überall das-
ſelbe und die gemeinſame Grundlage aller der verſchiedenen
Formen des Seelen-Organs, die ſich ſpäter daraus entwickeln.
Nur eine einzige Gruppe von wirbelloſen Thieren zeigt eine
ähnliche Bildung; das ſind die ſeltſamen, meerbewohnenden
Mantelthiere (Tunicata), die Kopelaten, Ascidien und

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[190/0206] Seelen-Organ der Wirbelthiere. IX. nervöſen Centralorgane dieſelbe weſentliche Struktur wieder, die Zuſammenſetzung aus Ganglien-Zellen oder „Seelenzellen“ (den eigentlichen aktiven Elementar-Organen der Pſyche) und aus Nervenfaſern, welche den Zuſammenhang und die Lei- tung der Aktion vermitteln. Seelen-Organ der Wirbelthiere. Die erſte Thatſache, welche uns in der vergleichenden Pſychologie der Vertebraten entgegentritt, und welche der empiriſche Ausgangspunkt jeder wiſſenſchaftlichen Seelenlehre des Menſchen ſein ſollte, iſt der charakteriſtiſche Bau ihres Central-Nervenſyſtems. Wie dieſes centrale Seelen-Organ in jedem der höheren Thierſtämme eine beſondere, dieſem eigenthümliche Lage, Geſtalt und Zuſammen- ſetzung zeigt, ſo iſt es auch bei den Wirbelthieren der Fall. Ueberall finden wir hier ein Rückenmark vor, einen ſtarken cylindriſchen Nervenſtrang, welcher in der Mittellinie des Rückens verläuft, oberhalb der Wirbelſäule (oder der ſie vertretenden Chorda). Ueberall gehen von dieſem Rückenmark zahlreiche Nerven- ſtämme in regelmäßiger, ſegmentaler Vertheilung ab, je ein Paar an jedem Segment oder Wirbelgliede. Ueberall entſteht dieſes „Medullar-Rohr“ im Embryo auf gleiche Weiſe: in der Mittel- linie der Rückenhaut bildet ſich eine feine Furche oder Rinne; die beiden parallelen Ränder dieſer Markrinne oder Medullar- Rinne erheben ſich, krümmen ſich gegen einander und verwachſen in der Mittellinie zu einem Rohre. Das lange dorſale, ſo entſtandene cylindriſche Nervenrohr oder Medullar-Rohr iſt durchaus für die Wirbelthiere charakteriſtiſch, in der frühen Embryonal-Anlage überall das- ſelbe und die gemeinſame Grundlage aller der verſchiedenen Formen des Seelen-Organs, die ſich ſpäter daraus entwickeln. Nur eine einzige Gruppe von wirbelloſen Thieren zeigt eine ähnliche Bildung; das ſind die ſeltſamen, meerbewohnenden Mantelthiere (Tunicata), die Kopelaten, Ascidien und

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/206>, abgerufen am 28.03.2024.