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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Einfache und zusammengesetzte Reflexe. VII.
oder Ganglienzelle; damit erscheint zugleich eine neue psychische
Funktion, die unbewußte "Vorstellung", deren Sitz eben diese
centrale Zelle ist. Der Reiz wird von der empfindlichen Sinnes-
zelle zunächst auf diese vermittelnde Vorstellungs-Zelle oder
Seelenzelle übertragen und erst von dieser als Befehl zur Be-
wegung an die motorische Muskelzelle abgegeben. Diese "drei-
zelligen Reflexorgane
" sind überwiegend bei der großen
Mehrzahl der wirbellosen Thiere entwickelt.

VII. An die Stelle dieser Einrichtung tritt bei den meisten
Wirbelthieren das vierzellige Reflexorgan, indem zwischen
die sensible Sinneszelle und die motorische Muskelzelle nicht
eine, sondern zwei verschiedene Seelenzellen eingeschaltet werden.
Der äußere Reiz wird hier von der Sinneszelle zunächst centri-
petal auf die Empfindungszelle übertragen (die sensible
Seelenzelle), von dieser auf die Willenszelle (die motorische
Seelenzelle) und von dieser letzteren erst auf die kontraktile
Muskelzelle. Indem zahlreiche solche Reflex-Organe sich verbinden
und neue Seelenzellen eingeschaltet werden, entsteht der kom-
plizirte Reflex-Mechanismus des Menschen und der höheren
Wirbelthiere.

Einfache und zusammengesetzte Reflexe. Der wichtige
Unterschied, den wir in morphologischer und physiologischer
Hinsicht zwischen den einzelligen Organismen (Protisten) und
den vielzelligen (Histonen) machen, gilt auch für deren ele-
mentare Seelenthätigkeit, für die Reflexthat. Bei den ein-
zelligen Protisten
(ebenso den plasmodomen Urpflanzen,
Protophyten, wie den plasmophagen Urthieren, Protozoen)
läuft der ganze physikalische Proceß des Reflexes innerhalb des
Protoplasma einer einzigen Zelle ab; die "Zellseele" derselben
erscheint noch als eine einheitliche Funktion des Psychoplasma,
deren einzelne Phasen sich erst mit der Differenzirung besonderer
Organe zu sondern beginnen. Schon bei den cönobionten

Einfache und zuſammengeſetzte Reflexe. VII.
oder Ganglienzelle; damit erſcheint zugleich eine neue pſychiſche
Funktion, die unbewußte „Vorſtellung“, deren Sitz eben dieſe
centrale Zelle iſt. Der Reiz wird von der empfindlichen Sinnes-
zelle zunächſt auf dieſe vermittelnde Vorſtellungs-Zelle oder
Seelenzelle übertragen und erſt von dieſer als Befehl zur Be-
wegung an die motoriſche Muskelzelle abgegeben. Dieſe „drei-
zelligen Reflexorgane
“ ſind überwiegend bei der großen
Mehrzahl der wirbelloſen Thiere entwickelt.

VII. An die Stelle dieſer Einrichtung tritt bei den meiſten
Wirbelthieren das vierzellige Reflexorgan, indem zwiſchen
die ſenſible Sinneszelle und die motoriſche Muskelzelle nicht
eine, ſondern zwei verſchiedene Seelenzellen eingeſchaltet werden.
Der äußere Reiz wird hier von der Sinneszelle zunächſt centri-
petal auf die Empfindungszelle übertragen (die ſenſible
Seelenzelle), von dieſer auf die Willenszelle (die motoriſche
Seelenzelle) und von dieſer letzteren erſt auf die kontraktile
Muskelzelle. Indem zahlreiche ſolche Reflex-Organe ſich verbinden
und neue Seelenzellen eingeſchaltet werden, entſteht der kom-
plizirte Reflex-Mechanismus des Menſchen und der höheren
Wirbelthiere.

Einfache und zuſammengeſetzte Reflexe. Der wichtige
Unterſchied, den wir in morphologiſcher und phyſiologiſcher
Hinſicht zwiſchen den einzelligen Organismen (Protiſten) und
den vielzelligen (Hiſtonen) machen, gilt auch für deren ele-
mentare Seelenthätigkeit, für die Reflexthat. Bei den ein-
zelligen Protiſten
(ebenſo den plasmodomen Urpflanzen,
Protophyten, wie den plasmophagen Urthieren, Protozoen)
läuft der ganze phyſikaliſche Proceß des Reflexes innerhalb des
Protoplasma einer einzigen Zelle ab; die „Zellſeele“ derſelben
erſcheint noch als eine einheitliche Funktion des Pſychoplasma,
deren einzelne Phaſen ſich erſt mit der Differenzirung beſonderer
Organe zu ſondern beginnen. Schon bei den cönobionten

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[134/0150] Einfache und zuſammengeſetzte Reflexe. VII. oder Ganglienzelle; damit erſcheint zugleich eine neue pſychiſche Funktion, die unbewußte „Vorſtellung“, deren Sitz eben dieſe centrale Zelle iſt. Der Reiz wird von der empfindlichen Sinnes- zelle zunächſt auf dieſe vermittelnde Vorſtellungs-Zelle oder Seelenzelle übertragen und erſt von dieſer als Befehl zur Be- wegung an die motoriſche Muskelzelle abgegeben. Dieſe „drei- zelligen Reflexorgane“ ſind überwiegend bei der großen Mehrzahl der wirbelloſen Thiere entwickelt. VII. An die Stelle dieſer Einrichtung tritt bei den meiſten Wirbelthieren das vierzellige Reflexorgan, indem zwiſchen die ſenſible Sinneszelle und die motoriſche Muskelzelle nicht eine, ſondern zwei verſchiedene Seelenzellen eingeſchaltet werden. Der äußere Reiz wird hier von der Sinneszelle zunächſt centri- petal auf die Empfindungszelle übertragen (die ſenſible Seelenzelle), von dieſer auf die Willenszelle (die motoriſche Seelenzelle) und von dieſer letzteren erſt auf die kontraktile Muskelzelle. Indem zahlreiche ſolche Reflex-Organe ſich verbinden und neue Seelenzellen eingeſchaltet werden, entſteht der kom- plizirte Reflex-Mechanismus des Menſchen und der höheren Wirbelthiere. Einfache und zuſammengeſetzte Reflexe. Der wichtige Unterſchied, den wir in morphologiſcher und phyſiologiſcher Hinſicht zwiſchen den einzelligen Organismen (Protiſten) und den vielzelligen (Hiſtonen) machen, gilt auch für deren ele- mentare Seelenthätigkeit, für die Reflexthat. Bei den ein- zelligen Protiſten (ebenſo den plasmodomen Urpflanzen, Protophyten, wie den plasmophagen Urthieren, Protozoen) läuft der ganze phyſikaliſche Proceß des Reflexes innerhalb des Protoplasma einer einzigen Zelle ab; die „Zellſeele“ derſelben erſcheint noch als eine einheitliche Funktion des Pſychoplasma, deren einzelne Phaſen ſich erſt mit der Differenzirung beſonderer Organe zu ſondern beginnen. Schon bei den cönobionten

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/150>, abgerufen am 28.03.2024.