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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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VI. Dualistische und monistische Psychologie.
und supranaturalistisch; denn sie behauptet die Existenz
von Kräften, welche ohne materielle Basis existiren und wirksam
sind; sie fußt auf der Annahme, daß außer und über der Natur
noch eine "geistige Welt" existirt, eine immaterielle Welt, von
der wir durch Erfahrung nichts wissen und unserer Natur nach
nichts wissen können.

Diese hypothetische "Geisteswelt", die von der mate-
riellen Körperwelt ganz unabhängig sein soll, und auf deren
Annahme das ganze künstliche Gebäude der dualistischen Welt-
anschauung ruht, ist lediglich ein Produkt der dichtenden Phan-
tasie; und dasselbe gilt von dem mystischen, eng mit ihr ver-
knüpften Glauben an die "Unsterblichkeit der Seele", dessen
wissenschaftliche Unhaltbarkeit wir nachher noch besonders darthun
müssen (im 11. Kapitel). Wenn die in diesem Sagenkreise herr-
schenden Glaubens-Vorstellungen wirklich begründet wären, so
müßten die betreffenden Erscheinungen nicht dem Substanz-
Gesetze
unterworfen sein; diese einzige Ausnahme von dem
höchsten kosmologischen Grundgesetze müßte aber erst sehr spät im
Laufe der organischen Erdgeschichte eingetreten sein, da sie nur
die "Seele" des Menschen und der höheren Thiere betrifft. Auch
das Dogma des "freien Willens", ein anderes wesentliches Stück
der dualistischen Psychologie, ist mit dem universalen Substanz-
Gesetze ganz unvereinbar.

Monistische Psychologie. Die natürliche Auffassung des
Seelenlebens, welche wir vertreten, erblickt dagegen in demselben
eine Summe von Lebens-Erscheinungen, welche gleich allen an-
deren an ein bestimmtes materielles Substrat gebunden sind. Wir
wollen diese materielle Basis aller psychischen Thätigkeit, ohne
welche dieselbe nicht denkbar ist, vorläufig als Psychoplasma
bezeichnen, und zwar deßhalb, weil sie durch die chemische
Analyse überall als ein Körper nachgewiesen ist, welcher zur
Gruppe der Plasma-Körper gehört, d. h. jener eiweißartigen

VI. Dualiſtiſche und moniſtiſche Pſychologie.
und ſupranaturaliſtiſch; denn ſie behauptet die Exiſtenz
von Kräften, welche ohne materielle Baſis exiſtiren und wirkſam
ſind; ſie fußt auf der Annahme, daß außer und über der Natur
noch eine „geiſtige Welt“ exiſtirt, eine immaterielle Welt, von
der wir durch Erfahrung nichts wiſſen und unſerer Natur nach
nichts wiſſen können.

Dieſe hypothetiſche „Geiſteswelt“, die von der mate-
riellen Körperwelt ganz unabhängig ſein ſoll, und auf deren
Annahme das ganze künſtliche Gebäude der dualiſtiſchen Welt-
anſchauung ruht, iſt lediglich ein Produkt der dichtenden Phan-
taſie; und daſſelbe gilt von dem myſtiſchen, eng mit ihr ver-
knüpften Glauben an die „Unſterblichkeit der Seele“, deſſen
wiſſenſchaftliche Unhaltbarkeit wir nachher noch beſonders darthun
müſſen (im 11. Kapitel). Wenn die in dieſem Sagenkreiſe herr-
ſchenden Glaubens-Vorſtellungen wirklich begründet wären, ſo
müßten die betreffenden Erſcheinungen nicht dem Subſtanz-
Geſetze
unterworfen ſein; dieſe einzige Ausnahme von dem
höchſten kosmologiſchen Grundgeſetze müßte aber erſt ſehr ſpät im
Laufe der organiſchen Erdgeſchichte eingetreten ſein, da ſie nur
die „Seele“ des Menſchen und der höheren Thiere betrifft. Auch
das Dogma des „freien Willens“, ein anderes weſentliches Stück
der dualiſtiſchen Pſychologie, iſt mit dem univerſalen Subſtanz-
Geſetze ganz unvereinbar.

Moniſtiſche Pſychologie. Die natürliche Auffaſſung des
Seelenlebens, welche wir vertreten, erblickt dagegen in demſelben
eine Summe von Lebens-Erſcheinungen, welche gleich allen an-
deren an ein beſtimmtes materielles Subſtrat gebunden ſind. Wir
wollen dieſe materielle Baſis aller pſychiſchen Thätigkeit, ohne
welche dieſelbe nicht denkbar iſt, vorläufig als Pſychoplasma
bezeichnen, und zwar deßhalb, weil ſie durch die chemiſche
Analyſe überall als ein Körper nachgewieſen iſt, welcher zur
Gruppe der Plasma-Körper gehört, d. h. jener eiweißartigen

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[105/0121] VI. Dualiſtiſche und moniſtiſche Pſychologie. und ſupranaturaliſtiſch; denn ſie behauptet die Exiſtenz von Kräften, welche ohne materielle Baſis exiſtiren und wirkſam ſind; ſie fußt auf der Annahme, daß außer und über der Natur noch eine „geiſtige Welt“ exiſtirt, eine immaterielle Welt, von der wir durch Erfahrung nichts wiſſen und unſerer Natur nach nichts wiſſen können. Dieſe hypothetiſche „Geiſteswelt“, die von der mate- riellen Körperwelt ganz unabhängig ſein ſoll, und auf deren Annahme das ganze künſtliche Gebäude der dualiſtiſchen Welt- anſchauung ruht, iſt lediglich ein Produkt der dichtenden Phan- taſie; und daſſelbe gilt von dem myſtiſchen, eng mit ihr ver- knüpften Glauben an die „Unſterblichkeit der Seele“, deſſen wiſſenſchaftliche Unhaltbarkeit wir nachher noch beſonders darthun müſſen (im 11. Kapitel). Wenn die in dieſem Sagenkreiſe herr- ſchenden Glaubens-Vorſtellungen wirklich begründet wären, ſo müßten die betreffenden Erſcheinungen nicht dem Subſtanz- Geſetze unterworfen ſein; dieſe einzige Ausnahme von dem höchſten kosmologiſchen Grundgeſetze müßte aber erſt ſehr ſpät im Laufe der organiſchen Erdgeſchichte eingetreten ſein, da ſie nur die „Seele“ des Menſchen und der höheren Thiere betrifft. Auch das Dogma des „freien Willens“, ein anderes weſentliches Stück der dualiſtiſchen Pſychologie, iſt mit dem univerſalen Subſtanz- Geſetze ganz unvereinbar. Moniſtiſche Pſychologie. Die natürliche Auffaſſung des Seelenlebens, welche wir vertreten, erblickt dagegen in demſelben eine Summe von Lebens-Erſcheinungen, welche gleich allen an- deren an ein beſtimmtes materielles Subſtrat gebunden ſind. Wir wollen dieſe materielle Baſis aller pſychiſchen Thätigkeit, ohne welche dieſelbe nicht denkbar iſt, vorläufig als Pſychoplasma bezeichnen, und zwar deßhalb, weil ſie durch die chemiſche Analyſe überall als ein Körper nachgewieſen iſt, welcher zur Gruppe der Plasma-Körper gehört, d. h. jener eiweißartigen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/121>, abgerufen am 24.04.2024.