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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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V. Unsere Abstammung von Herrenthieren.
dieser ältesten Zottenthiere der Eocän-Zeit war es Anfangs
zweifelhaft, ob man sie zu den Raubthieren oder Nagethieren, zu
den Hufthieren oder Herrenthieren stellen solle; so sehr nähern
sich hier unten diese vier großen, später so sehr verschiedenen
Legionen der Placentalien bis zur Berührung. Unzweifelhaft
folgt daraus ihr gemeinsamer Ursprung aus einer einzigen
Stammgruppe; diese Prochoriata lebten schon in der vorher-
gehenden Kreide-Periode (vor mehr als drei Jahr-Millionen!)
und sind wahrscheinlich in der Jura-Periode aus einer Gruppe
von insektenfressenden Beutelthieren (Amphitheria) durch
Ausbildung einer primitiven Placenta diffusa entstanden, einer
Zottenhaut einfachster Art.

Die wichtigsten aber von allen neueren paläontologischen
Entdeckungen, welche die Stammesgeschichte der Zottenthiere
aufgeklärt haben, betreffen unseren eigenen Stamm, die Legion
der Herrenthiere (Primates). Früher waren versteinerte
Reste derselben äußerst selten. Noch Cuvier, der große Gründer
der Paläontologie, behauptete bis zu seinem Tode (1832), daß
es keine Versteinerungen von Primaten gäbe; zwar hatte er
selbst schon den Schädel eines eocänen Halbaffen (Adapis) be-
schrieben, ihn aber irrthümlich für ein Hufthier gehalten. In
den letzten beiden Decennien sind aber gut erhaltene, versteinerte
Skelette von Halbaffen und Affen in ziemlicher Zahl entdeckt
worden; darunter befinden sich alle die wichtigen Zwischenglieder,
welche eine zusammenhängende Ahnen-Kette von den ältesten
Halbaffen bis zum Menschen hinauf darstellen.

Der berühmteste und interessanteste von diesen fossilen
Funden ist der versteinerte Affenmensch von Java,
welchen der holländische Militär-Arzt Eugen Dubois 1894
entdeckt hat, der vielbesprochene Pithecanthropus erectus. Er
ist in der That das vielgesuchte "Missing link", das angeblich
"fehlende Glied" in der Primaten-Kette, welche sich ununter-

7*

V. Unſere Abſtammung von Herrenthieren.
dieſer älteſten Zottenthiere der Eocän-Zeit war es Anfangs
zweifelhaft, ob man ſie zu den Raubthieren oder Nagethieren, zu
den Hufthieren oder Herrenthieren ſtellen ſolle; ſo ſehr nähern
ſich hier unten dieſe vier großen, ſpäter ſo ſehr verſchiedenen
Legionen der Placentalien bis zur Berührung. Unzweifelhaft
folgt daraus ihr gemeinſamer Urſprung aus einer einzigen
Stammgruppe; dieſe Prochoriata lebten ſchon in der vorher-
gehenden Kreide-Periode (vor mehr als drei Jahr-Millionen!)
und ſind wahrſcheinlich in der Jura-Periode aus einer Gruppe
von inſektenfreſſenden Beutelthieren (Amphitheria) durch
Ausbildung einer primitiven Placenta diffuſa entſtanden, einer
Zottenhaut einfachſter Art.

Die wichtigſten aber von allen neueren paläontologiſchen
Entdeckungen, welche die Stammesgeſchichte der Zottenthiere
aufgeklärt haben, betreffen unſeren eigenen Stamm, die Legion
der Herrenthiere (Primateſ). Früher waren verſteinerte
Reſte derſelben äußerſt ſelten. Noch Cuvier, der große Gründer
der Paläontologie, behauptete bis zu ſeinem Tode (1832), daß
es keine Verſteinerungen von Primaten gäbe; zwar hatte er
ſelbſt ſchon den Schädel eines eocänen Halbaffen (Adapiſ) be-
ſchrieben, ihn aber irrthümlich für ein Hufthier gehalten. In
den letzten beiden Decennien ſind aber gut erhaltene, verſteinerte
Skelette von Halbaffen und Affen in ziemlicher Zahl entdeckt
worden; darunter befinden ſich alle die wichtigen Zwiſchenglieder,
welche eine zuſammenhängende Ahnen-Kette von den älteſten
Halbaffen bis zum Menſchen hinauf darſtellen.

Der berühmteſte und intereſſanteſte von dieſen foſſilen
Funden iſt der verſteinerte Affenmenſch von Java,
welchen der holländiſche Militär-Arzt Eugen Dubois 1894
entdeckt hat, der vielbeſprochene Pithecanthropuſ erectuſ. Er
iſt in der That das vielgeſuchte „Miſſing link“, das angeblich
„fehlende Glied“ in der Primaten-Kette, welche ſich ununter-

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[99/0115] V. Unſere Abſtammung von Herrenthieren. dieſer älteſten Zottenthiere der Eocän-Zeit war es Anfangs zweifelhaft, ob man ſie zu den Raubthieren oder Nagethieren, zu den Hufthieren oder Herrenthieren ſtellen ſolle; ſo ſehr nähern ſich hier unten dieſe vier großen, ſpäter ſo ſehr verſchiedenen Legionen der Placentalien bis zur Berührung. Unzweifelhaft folgt daraus ihr gemeinſamer Urſprung aus einer einzigen Stammgruppe; dieſe Prochoriata lebten ſchon in der vorher- gehenden Kreide-Periode (vor mehr als drei Jahr-Millionen!) und ſind wahrſcheinlich in der Jura-Periode aus einer Gruppe von inſektenfreſſenden Beutelthieren (Amphitheria) durch Ausbildung einer primitiven Placenta diffuſa entſtanden, einer Zottenhaut einfachſter Art. Die wichtigſten aber von allen neueren paläontologiſchen Entdeckungen, welche die Stammesgeſchichte der Zottenthiere aufgeklärt haben, betreffen unſeren eigenen Stamm, die Legion der Herrenthiere (Primateſ). Früher waren verſteinerte Reſte derſelben äußerſt ſelten. Noch Cuvier, der große Gründer der Paläontologie, behauptete bis zu ſeinem Tode (1832), daß es keine Verſteinerungen von Primaten gäbe; zwar hatte er ſelbſt ſchon den Schädel eines eocänen Halbaffen (Adapiſ) be- ſchrieben, ihn aber irrthümlich für ein Hufthier gehalten. In den letzten beiden Decennien ſind aber gut erhaltene, verſteinerte Skelette von Halbaffen und Affen in ziemlicher Zahl entdeckt worden; darunter befinden ſich alle die wichtigen Zwiſchenglieder, welche eine zuſammenhängende Ahnen-Kette von den älteſten Halbaffen bis zum Menſchen hinauf darſtellen. Der berühmteſte und intereſſanteſte von dieſen foſſilen Funden iſt der verſteinerte Affenmenſch von Java, welchen der holländiſche Militär-Arzt Eugen Dubois 1894 entdeckt hat, der vielbeſprochene Pithecanthropuſ erectuſ. Er iſt in der That das vielgeſuchte „Miſſing link“, das angeblich „fehlende Glied“ in der Primaten-Kette, welche ſich ununter- 7*

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/115>, abgerufen am 24.04.2024.