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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Biogenetisches Grundgesetz. V.
"Thesen von dem Kausal-Nexus der biontischen und der phyle-
tischen Entwickelung" gegeben: "Die Ontogenesis ist eine
kurze und schnelle Rekapitulation der Phylo-
genesis
, bedingt durch die physiologischen Funktionen der Ver-
erbung (Fortpflanzung) und Anpassung (Ernährung)". Schon
Darwin hatte (1859) die große Bedeutung seiner Theorie für
die Erklärung der Embryologie betont, und Fritz Müller
hatte dieselbe (1864) an dem Beispiele einer einzelnen Thier-
klasse, den Krustaceen, nachzuweisen versucht, in der geistvollen
kleinen Schrift: "Für Darwin" (1864). Ich selbst habe
dann die allgemeine Geltung und die fundamentale Bedeutung
jenes biogenetischen Grundgesetzes in einer Reihe von Arbeiten
nachzuweisen versucht, insbesondere in der Biologie der Kalk-
schwämme (1872) und in den "Studien zur Gasträa-Theorie"
(1873-1884). Die dort aufgestellte Lehre von der Homologie
der Keimblätter, sowie von den Verhältnissen der Palingenie
(Auszugsgeschichte) und der Cenogenie (Störungs-
geschichte
) ist seitdem durch zahlreiche Arbeiten anderer Zoo-
logen bestätigt worden; durch sie ist es möglich geworden, die
natürlichen Gesetze der Einheit in der mannichfaltigen Keimes-
geschichte der Thiere nachzuweisen; für ihre Stammesgeschichte
ergiebt sich daraus die gemeinsame Ableitung von einer einfachsten
ursprünglichen Stammform.

Anthropogenie (1874). Der weitschauende Begründer der
Abstammungslehre, Lamarck, hatte schon 1809 richtig erkannt,
daß dieselbe allgemeine Geltung besitze und daß also auch der
Mensch, als das höchst entwickelte Säugethier, von demselben
Stamme abzuleiten sei, wie alle anderen Mammalien, und diese
weiter hinauf von demselben älteren Zweige des Stammbaums,
wie die übrigen Wirbelthiere. Er hatte auch schon auf die
Vorgänge hingewiesen, durch welche die Abstammung des
Menschen vom Affen,
als dem nächstverwandten Säuge-

Biogenetiſches Grundgeſetz. V.
„Theſen von dem Kauſal-Nexus der biontiſchen und der phyle-
tiſchen Entwickelung“ gegeben: „Die Ontogeneſis iſt eine
kurze und ſchnelle Rekapitulation der Phylo-
geneſis
, bedingt durch die phyſiologiſchen Funktionen der Ver-
erbung (Fortpflanzung) und Anpaſſung (Ernährung)“. Schon
Darwin hatte (1859) die große Bedeutung ſeiner Theorie für
die Erklärung der Embryologie betont, und Fritz Müller
hatte dieſelbe (1864) an dem Beiſpiele einer einzelnen Thier-
klaſſe, den Kruſtaceen, nachzuweiſen verſucht, in der geiſtvollen
kleinen Schrift: „Für Darwin“ (1864). Ich ſelbſt habe
dann die allgemeine Geltung und die fundamentale Bedeutung
jenes biogenetiſchen Grundgeſetzes in einer Reihe von Arbeiten
nachzuweiſen verſucht, insbeſondere in der Biologie der Kalk-
ſchwämme (1872) und in den „Studien zur Gaſträa-Theorie“
(1873-1884). Die dort aufgeſtellte Lehre von der Homologie
der Keimblätter, ſowie von den Verhältniſſen der Palingenie
(Auszugsgeſchichte) und der Cenogenie (Störungs-
geſchichte
) iſt ſeitdem durch zahlreiche Arbeiten anderer Zoo-
logen beſtätigt worden; durch ſie iſt es möglich geworden, die
natürlichen Geſetze der Einheit in der mannichfaltigen Keimes-
geſchichte der Thiere nachzuweiſen; für ihre Stammesgeſchichte
ergiebt ſich daraus die gemeinſame Ableitung von einer einfachſten
urſprünglichen Stammform.

Anthropogenie (1874). Der weitſchauende Begründer der
Abſtammungslehre, Lamarck, hatte ſchon 1809 richtig erkannt,
daß dieſelbe allgemeine Geltung beſitze und daß alſo auch der
Menſch, als das höchſt entwickelte Säugethier, von demſelben
Stamme abzuleiten ſei, wie alle anderen Mammalien, und dieſe
weiter hinauf von demſelben älteren Zweige des Stammbaums,
wie die übrigen Wirbelthiere. Er hatte auch ſchon auf die
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Menſchen vom Affen,
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[94/0110] Biogenetiſches Grundgeſetz. V. „Theſen von dem Kauſal-Nexus der biontiſchen und der phyle- tiſchen Entwickelung“ gegeben: „Die Ontogeneſis iſt eine kurze und ſchnelle Rekapitulation der Phylo- geneſis, bedingt durch die phyſiologiſchen Funktionen der Ver- erbung (Fortpflanzung) und Anpaſſung (Ernährung)“. Schon Darwin hatte (1859) die große Bedeutung ſeiner Theorie für die Erklärung der Embryologie betont, und Fritz Müller hatte dieſelbe (1864) an dem Beiſpiele einer einzelnen Thier- klaſſe, den Kruſtaceen, nachzuweiſen verſucht, in der geiſtvollen kleinen Schrift: „Für Darwin“ (1864). Ich ſelbſt habe dann die allgemeine Geltung und die fundamentale Bedeutung jenes biogenetiſchen Grundgeſetzes in einer Reihe von Arbeiten nachzuweiſen verſucht, insbeſondere in der Biologie der Kalk- ſchwämme (1872) und in den „Studien zur Gaſträa-Theorie“ (1873-1884). Die dort aufgeſtellte Lehre von der Homologie der Keimblätter, ſowie von den Verhältniſſen der Palingenie (Auszugsgeſchichte) und der Cenogenie (Störungs- geſchichte) iſt ſeitdem durch zahlreiche Arbeiten anderer Zoo- logen beſtätigt worden; durch ſie iſt es möglich geworden, die natürlichen Geſetze der Einheit in der mannichfaltigen Keimes- geſchichte der Thiere nachzuweiſen; für ihre Stammesgeſchichte ergiebt ſich daraus die gemeinſame Ableitung von einer einfachſten urſprünglichen Stammform. Anthropogenie (1874). Der weitſchauende Begründer der Abſtammungslehre, Lamarck, hatte ſchon 1809 richtig erkannt, daß dieſelbe allgemeine Geltung beſitze und daß alſo auch der Menſch, als das höchſt entwickelte Säugethier, von demſelben Stamme abzuleiten ſei, wie alle anderen Mammalien, und dieſe weiter hinauf von demſelben älteren Zweige des Stammbaums, wie die übrigen Wirbelthiere. Er hatte auch ſchon auf die Vorgänge hingewieſen, durch welche die Abſtammung des Menſchen vom Affen, als dem nächſtverwandten Säuge-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/110>, abgerufen am 24.04.2024.