Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

lich sind nur die zahllosen und ewig wechselnden Ver¬
bindungen
der Atome, die unendlich mannigfaltigen
Modalitäten, in denen sich die Atome zur Bildung von
Molekülen, die Moleküle zur Bildung von Krystallen und
Plastiden, die Plastiden zur Bildung von Organismen ver¬
einigen. Diese monistische Auffassung der Atome, allein
ist in Einklang mit den grossen Gesetzen von der "Er¬
haltung der Kraft" und von der "Erhaltung des Stoffes",
welche die Naturphilosophie der Gegenwart mit Recht als
ihre unveräusserlichen Fundamente betrachtet.

Wenn wir demnach alle Materie als beseelt, jedes
Atom mit Empfindung und Willen begabt uns vorstellen,
so können wir diese beiden Eigenschaften nicht mehr, wie
es gewöhnlich geschieht, als ausschliessliche Vorzüge der
Organismen betrachten. Wir müssen also nach anderen
Eigenschaften suchen, welche die Organismen von den
Anorganen, die Plastidule von den übrigen Molekülen
unterscheiden und welche das Wesen des "Lebens" im
engeren Sinne bilden. Als wichtigste dieser Eigenschaften
erscheint uns die Fähigkeit der Reproduction oder des
Gedächtnisses, welche bei jedem Entwickelungs-Vor¬
gang und namentlich bei der Fortpflanzung der Or¬
ganismen wirksam ist. Alle Plastidule besitzen Gedächt¬
niss; diese Fähigkeit fehlt allen anderen Molekülen.

In einer ausgezeichneten, ebenso tief durchdachten als
klar geschriebenen Abhandlung "über das Gedächtniss als
eine allgemeine Function der organisirten Materie" hat
1870 Ewald Hering dieses wichtige Verhältniss so vor¬
trefflich erörtert, dass wir hier auf eine eingehende Be¬
gründung desselben verzichten und uns einfach auf jene

lich sind nur die zahllosen und ewig wechselnden Ver¬
bindungen
der Atome, die unendlich mannigfaltigen
Modalitäten, in denen sich die Atome zur Bildung von
Molekülen, die Moleküle zur Bildung von Krystallen und
Plastiden, die Plastiden zur Bildung von Organismen ver¬
einigen. Diese monistische Auffassung der Atome, allein
ist in Einklang mit den grossen Gesetzen von der „Er¬
haltung der Kraft“ und von der „Erhaltung des Stoffes“,
welche die Naturphilosophie der Gegenwart mit Recht als
ihre unveräusserlichen Fundamente betrachtet.

Wenn wir demnach alle Materie als beseelt, jedes
Atom mit Empfindung und Willen begabt uns vorstellen,
so können wir diese beiden Eigenschaften nicht mehr, wie
es gewöhnlich geschieht, als ausschliessliche Vorzüge der
Organismen betrachten. Wir müssen also nach anderen
Eigenschaften suchen, welche die Organismen von den
Anorganen, die Plastidule von den übrigen Molekülen
unterscheiden und welche das Wesen des „Lebens“ im
engeren Sinne bilden. Als wichtigste dieser Eigenschaften
erscheint uns die Fähigkeit der Reproduction oder des
Gedächtnisses, welche bei jedem Entwickelungs-Vor¬
gang und namentlich bei der Fortpflanzung der Or¬
ganismen wirksam ist. Alle Plastidule besitzen Gedächt¬
niss; diese Fähigkeit fehlt allen anderen Molekülen.

In einer ausgezeichneten, ebenso tief durchdachten als
klar geschriebenen Abhandlung „über das Gedächtniss als
eine allgemeine Function der organisirten Materie“ hat
1870 Ewald Hering dieses wichtige Verhältniss so vor¬
trefflich erörtert, dass wir hier auf eine eingehende Be¬
gründung desselben verzichten und uns einfach auf jene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="40"/>
lich sind nur die zahllosen und ewig wechselnden <hi rendition="#g">Ver¬<lb/>
bindungen</hi> der Atome, die unendlich mannigfaltigen<lb/>
Modalitäten, in denen sich die Atome zur Bildung von<lb/>
Molekülen, die Moleküle zur Bildung von Krystallen und<lb/>
Plastiden, die Plastiden zur Bildung von Organismen ver¬<lb/>
einigen. Diese monistische Auffassung der Atome, allein<lb/>
ist in Einklang mit den grossen Gesetzen von der &#x201E;Er¬<lb/>
haltung der Kraft&#x201C; und von der &#x201E;Erhaltung des Stoffes&#x201C;,<lb/>
welche die Naturphilosophie der Gegenwart mit Recht als<lb/>
ihre unveräusserlichen Fundamente betrachtet.</p><lb/>
        <p>Wenn wir demnach alle Materie als beseelt, jedes<lb/>
Atom mit Empfindung und Willen begabt uns vorstellen,<lb/>
so können wir diese beiden Eigenschaften nicht mehr, wie<lb/>
es gewöhnlich geschieht, als ausschliessliche Vorzüge der<lb/>
Organismen betrachten. Wir müssen also nach anderen<lb/>
Eigenschaften suchen, welche die Organismen von den<lb/>
Anorganen, die Plastidule von den übrigen Molekülen<lb/>
unterscheiden und welche das Wesen des &#x201E;Lebens&#x201C; im<lb/>
engeren Sinne bilden. Als wichtigste dieser Eigenschaften<lb/>
erscheint uns die Fähigkeit der <hi rendition="#g">Reproduction</hi> oder des<lb/><hi rendition="#g">Gedächtnisses</hi>, welche bei jedem Entwickelungs-Vor¬<lb/>
gang und namentlich bei der <hi rendition="#g">Fortpflanzung</hi> der Or¬<lb/>
ganismen wirksam ist. Alle Plastidule besitzen Gedächt¬<lb/>
niss; diese Fähigkeit fehlt allen anderen Molekülen.</p><lb/>
        <p>In einer ausgezeichneten, ebenso tief durchdachten als<lb/>
klar geschriebenen Abhandlung &#x201E;über das Gedächtniss als<lb/>
eine allgemeine Function der organisirten Materie&#x201C; hat<lb/>
1870 <hi rendition="#i">Ewald Hering</hi> dieses wichtige Verhältniss so vor¬<lb/>
trefflich erörtert, dass wir hier auf eine eingehende Be¬<lb/>
gründung desselben verzichten und uns einfach auf jene<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0046] lich sind nur die zahllosen und ewig wechselnden Ver¬ bindungen der Atome, die unendlich mannigfaltigen Modalitäten, in denen sich die Atome zur Bildung von Molekülen, die Moleküle zur Bildung von Krystallen und Plastiden, die Plastiden zur Bildung von Organismen ver¬ einigen. Diese monistische Auffassung der Atome, allein ist in Einklang mit den grossen Gesetzen von der „Er¬ haltung der Kraft“ und von der „Erhaltung des Stoffes“, welche die Naturphilosophie der Gegenwart mit Recht als ihre unveräusserlichen Fundamente betrachtet. Wenn wir demnach alle Materie als beseelt, jedes Atom mit Empfindung und Willen begabt uns vorstellen, so können wir diese beiden Eigenschaften nicht mehr, wie es gewöhnlich geschieht, als ausschliessliche Vorzüge der Organismen betrachten. Wir müssen also nach anderen Eigenschaften suchen, welche die Organismen von den Anorganen, die Plastidule von den übrigen Molekülen unterscheiden und welche das Wesen des „Lebens“ im engeren Sinne bilden. Als wichtigste dieser Eigenschaften erscheint uns die Fähigkeit der Reproduction oder des Gedächtnisses, welche bei jedem Entwickelungs-Vor¬ gang und namentlich bei der Fortpflanzung der Or¬ ganismen wirksam ist. Alle Plastidule besitzen Gedächt¬ niss; diese Fähigkeit fehlt allen anderen Molekülen. In einer ausgezeichneten, ebenso tief durchdachten als klar geschriebenen Abhandlung „über das Gedächtniss als eine allgemeine Function der organisirten Materie“ hat 1870 Ewald Hering dieses wichtige Verhältniss so vor¬ trefflich erörtert, dass wir hier auf eine eingehende Be¬ gründung desselben verzichten und uns einfach auf jene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876/46
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876/46>, abgerufen am 19.04.2024.