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Hackländer, Friedrich Wilhelm: Zwei Nächte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 109–174. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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auf einem alten Stuhl mit hoher Lehne ein junges und, wie er zu bemerken glaubte, sehr schönes Mädchen saß, welches auf seinen Knien ein kleines Kind wiegte, das es mit allerhand Schmeichelworten und Bruchstücken von Liedern einzuschläfern versuchte. Es trieb den jungen Offizier, näher zu gehen; um aber die Kleine da unten durch das Rascheln des Gesträuchs nicht plötzlich zu erschrecken, erhob er seine Stimme und sang den Anfang einer bekannten italienischen Arie so sanft und leise als möglich.

Schnell brach das Mädchen in ihrem Lied ab, deckte mit der Hand den Schein der neben ihr stehenden Lampe und starrte in das Dunkel hinaus, um den Sänger, der jetzt raschelnd durch das Gras und Gesträuch näher schritt, zu entdecken. Zu ihren Füßen lag wahrscheinlich ein großer Hund, denn man vernahm in demselben Augenblicke ein paar tiefe, knurrende Töne, ein kurz abgebrochenes Gebell; doch schien ihm das Mädchen zu wehren, sie beugte sich unerschrocken etwas aus dem Fenster und rief hinaus: Wer ist da?

Es ist ein Fremder, gab der junge Offizier zur Antwort, der so eben mit Extrapost hier ankam, und auf frische Pferde warten muß. Es war mir, setzte er galant hinzu, indem er näher trat, wirklich recht unangenehm, hier ein paar Stunden bleiben zu müssen; doch wenn die Signora mir erlaubt, eine Weile mit ihr zu plaudern, so danke ich dem Zufall, der mich hier festhielt.

auf einem alten Stuhl mit hoher Lehne ein junges und, wie er zu bemerken glaubte, sehr schönes Mädchen saß, welches auf seinen Knien ein kleines Kind wiegte, das es mit allerhand Schmeichelworten und Bruchstücken von Liedern einzuschläfern versuchte. Es trieb den jungen Offizier, näher zu gehen; um aber die Kleine da unten durch das Rascheln des Gesträuchs nicht plötzlich zu erschrecken, erhob er seine Stimme und sang den Anfang einer bekannten italienischen Arie so sanft und leise als möglich.

Schnell brach das Mädchen in ihrem Lied ab, deckte mit der Hand den Schein der neben ihr stehenden Lampe und starrte in das Dunkel hinaus, um den Sänger, der jetzt raschelnd durch das Gras und Gesträuch näher schritt, zu entdecken. Zu ihren Füßen lag wahrscheinlich ein großer Hund, denn man vernahm in demselben Augenblicke ein paar tiefe, knurrende Töne, ein kurz abgebrochenes Gebell; doch schien ihm das Mädchen zu wehren, sie beugte sich unerschrocken etwas aus dem Fenster und rief hinaus: Wer ist da?

Es ist ein Fremder, gab der junge Offizier zur Antwort, der so eben mit Extrapost hier ankam, und auf frische Pferde warten muß. Es war mir, setzte er galant hinzu, indem er näher trat, wirklich recht unangenehm, hier ein paar Stunden bleiben zu müssen; doch wenn die Signora mir erlaubt, eine Weile mit ihr zu plaudern, so danke ich dem Zufall, der mich hier festhielt.

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[0022] auf einem alten Stuhl mit hoher Lehne ein junges und, wie er zu bemerken glaubte, sehr schönes Mädchen saß, welches auf seinen Knien ein kleines Kind wiegte, das es mit allerhand Schmeichelworten und Bruchstücken von Liedern einzuschläfern versuchte. Es trieb den jungen Offizier, näher zu gehen; um aber die Kleine da unten durch das Rascheln des Gesträuchs nicht plötzlich zu erschrecken, erhob er seine Stimme und sang den Anfang einer bekannten italienischen Arie so sanft und leise als möglich. Schnell brach das Mädchen in ihrem Lied ab, deckte mit der Hand den Schein der neben ihr stehenden Lampe und starrte in das Dunkel hinaus, um den Sänger, der jetzt raschelnd durch das Gras und Gesträuch näher schritt, zu entdecken. Zu ihren Füßen lag wahrscheinlich ein großer Hund, denn man vernahm in demselben Augenblicke ein paar tiefe, knurrende Töne, ein kurz abgebrochenes Gebell; doch schien ihm das Mädchen zu wehren, sie beugte sich unerschrocken etwas aus dem Fenster und rief hinaus: Wer ist da? Es ist ein Fremder, gab der junge Offizier zur Antwort, der so eben mit Extrapost hier ankam, und auf frische Pferde warten muß. Es war mir, setzte er galant hinzu, indem er näher trat, wirklich recht unangenehm, hier ein paar Stunden bleiben zu müssen; doch wenn die Signora mir erlaubt, eine Weile mit ihr zu plaudern, so danke ich dem Zufall, der mich hier festhielt.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:37:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:37:05Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Hackländer, Friedrich Wilhelm: Zwei Nächte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 109–174. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hacklaender_naechte_1910/22>, abgerufen am 25.04.2024.