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Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.

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Gewissen mit der Zeit zur Verzweiflung gebracht haben würde. Er aber verfolgte ruhig seinen Zweck, der kein anderer war, als aus evangelischer Liebe die alte Gräfin allmälig mit der bevorstehenden Erschütterung ihrer Ruhe durch das junge Grafenpaar bekannt zu machen, ja sogar das sonderbare Gerücht von einer natürlichen Tochter ihres Gatten, das er schon längst in Erfahrung gebracht hatte, ihr um des Herrn willen nicht zu verschweigen. Denn der Herr züchtigt ja die, so er lieb hat! war sein Wahlspruch. Wenn Trübsal da ist, dann suchet man dich, o Gott! spricht der Prophet. Allen, die um die alte Dame herumwalteten, Gleichgestellten, Dienenden, selbst der Generalin von Forbeck hätte sich das Firmament in düstre Wolken verhüllt, die Gräber hätten sich ihnen geöffnet, die Erde wäre wankend geworden in ihren Grundvesten, wenn sie die furchtbare Verantwortlichkeit hätten auf sich nehmen und der Gräfin Constanze sagen wollen: Dein geliebter Udo soll sich scheiden lassen! Dein geliebter Wilhelm war Dir untreu und brachte einige Jahre lang jeden Abend in Gesellschaft seiner Tochter zu! Aber der geistliche Herr übernahm diese Pflicht und das so leicht, wie wenn er seinen Reisesack trug, den er aus Geiz regelmäßig selbst in ein kleines Hotel zu schleppen pflegte. Die Wahrheit wird Euch frei machen! spricht ja der Herr.

Gewissen mit der Zeit zur Verzweiflung gebracht haben würde. Er aber verfolgte ruhig seinen Zweck, der kein anderer war, als aus evangelischer Liebe die alte Gräfin allmälig mit der bevorstehenden Erschütterung ihrer Ruhe durch das junge Grafenpaar bekannt zu machen, ja sogar das sonderbare Gerücht von einer natürlichen Tochter ihres Gatten, das er schon längst in Erfahrung gebracht hatte, ihr um des Herrn willen nicht zu verschweigen. Denn der Herr züchtigt ja die, so er lieb hat! war sein Wahlspruch. Wenn Trübsal da ist, dann suchet man dich, o Gott! spricht der Prophet. Allen, die um die alte Dame herumwalteten, Gleichgestellten, Dienenden, selbst der Generalin von Forbeck hätte sich das Firmament in düstre Wolken verhüllt, die Gräber hätten sich ihnen geöffnet, die Erde wäre wankend geworden in ihren Grundvesten, wenn sie die furchtbare Verantwortlichkeit hätten auf sich nehmen und der Gräfin Constanze sagen wollen: Dein geliebter Udo soll sich scheiden lassen! Dein geliebter Wilhelm war Dir untreu und brachte einige Jahre lang jeden Abend in Gesellschaft seiner Tochter zu! Aber der geistliche Herr übernahm diese Pflicht und das so leicht, wie wenn er seinen Reisesack trug, den er aus Geiz regelmäßig selbst in ein kleines Hotel zu schleppen pflegte. Die Wahrheit wird Euch frei machen! spricht ja der Herr.

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Gewissen mit der Zeit zur Verzweiflung gebracht haben würde. Er aber verfolgte ruhig seinen Zweck, der kein anderer war, als aus evangelischer Liebe die alte Gräfin allmälig mit der bevorstehenden Erschütterung ihrer Ruhe durch das junge Grafenpaar bekannt zu machen, ja sogar das sonderbare Gerücht von einer natürlichen Tochter ihres Gatten, das er schon längst in Erfahrung gebracht hatte, ihr um des Herrn willen nicht zu verschweigen. Denn der Herr züchtigt ja die, so er lieb hat! war sein Wahlspruch. Wenn Trübsal da ist, dann suchet man dich, o Gott! spricht der Prophet. Allen, die um die alte Dame herumwalteten, Gleichgestellten, Dienenden, selbst der Generalin von Forbeck hätte sich das Firmament in düstre Wolken verhüllt, die Gräber hätten sich ihnen geöffnet, die Erde wäre wankend geworden in ihren Grundvesten, wenn sie die furchtbare Verantwortlichkeit hätten auf sich nehmen und der Gräfin Constanze sagen wollen: Dein geliebter Udo soll sich scheiden lassen! Dein geliebter Wilhelm war Dir untreu und brachte einige Jahre lang jeden Abend in Gesellschaft seiner Tochter zu! Aber der geistliche Herr übernahm diese Pflicht und das so leicht, wie wenn er seinen Reisesack trug, den er aus Geiz regelmäßig selbst in ein kleines Hotel zu schleppen pflegte. Die Wahrheit wird Euch frei machen! spricht ja der Herr.</p>
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[83/0089] Gewissen mit der Zeit zur Verzweiflung gebracht haben würde. Er aber verfolgte ruhig seinen Zweck, der kein anderer war, als aus evangelischer Liebe die alte Gräfin allmälig mit der bevorstehenden Erschütterung ihrer Ruhe durch das junge Grafenpaar bekannt zu machen, ja sogar das sonderbare Gerücht von einer natürlichen Tochter ihres Gatten, das er schon längst in Erfahrung gebracht hatte, ihr um des Herrn willen nicht zu verschweigen. Denn der Herr züchtigt ja die, so er lieb hat! war sein Wahlspruch. Wenn Trübsal da ist, dann suchet man dich, o Gott! spricht der Prophet. Allen, die um die alte Dame herumwalteten, Gleichgestellten, Dienenden, selbst der Generalin von Forbeck hätte sich das Firmament in düstre Wolken verhüllt, die Gräber hätten sich ihnen geöffnet, die Erde wäre wankend geworden in ihren Grundvesten, wenn sie die furchtbare Verantwortlichkeit hätten auf sich nehmen und der Gräfin Constanze sagen wollen: Dein geliebter Udo soll sich scheiden lassen! Dein geliebter Wilhelm war Dir untreu und brachte einige Jahre lang jeden Abend in Gesellschaft seiner Tochter zu! Aber der geistliche Herr übernahm diese Pflicht und das so leicht, wie wenn er seinen Reisesack trug, den er aus Geiz regelmäßig selbst in ein kleines Hotel zu schleppen pflegte. Die Wahrheit wird Euch frei machen! spricht ja der Herr.

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/89>, abgerufen am 29.03.2024.