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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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falls einige specielle Beweise wegfallen konnten. Daß Meister-
gefang an sich unlyrisch seyn sollte, verwarf ich mit demselben
Grunde, wodurch ich ein gleiches Schicksal von dem Sonett
abhielt, das sich in unsern Streit ganz unschuldig, wiewohl gar
nicht zum Vortheil des Gegners, zu verlaufen schien.

In der gleich damals angekündigten, jedoch erst vor kur-
zem (im altdeutschen Museum Heft 1 u. 2.) erschienenen neuen
Erwiederung Docens ist nicht sowohl die unternommene ge-
naue Prüfung, die manchmal scharfsinnige Umwendung einiger
literarischen Beweisstellen zu berücksichrigen, Hauptfache ist die
von dem Gegner ergriffene, eigene Meinung. Jene Stellen
waren noch sehr unvollständig, ungenau und in Eile, aus Eifer
einen nicht ganz gerechten Angriff abzuwehren, niedergeschrie-
ben worden, und mußten mancherlei Einwendungen bloßgege-
ben seyn; ich hatte das Gefühl, daß es mir eben noch um
mehr Hülfe und Aufklärung zu thun sey, schon durch die
erste Veranlassung gezeigt. Gesetzt nun, es wäre Docen ge-
lungen, alle diese Gründe zu widerlegen, so nöthigten sie ihn
doch mit seiner eigenen Ansicht der Sachen herauszutreten,
und was hat er als eine solche gegeben? Folgendes: unter
den Dichtern, die man seither pflegt Minnesänger zu nennen,
gibt es auch unstreitig Meistersinger, die übrigen sind aber
bei weitem keine gewesen. Nun muß man gleich fortfragen,
weil doch nichts an den Namen liegt, besonders wo sie nicht
recht bewiesen werden: worin unterscheiden sich dann diese bei-
derlei Dichter von einander, welche zu einerlei Zeit lebten und
deren Gedichte sich auf ein Haar gleichen? Gerade über die-
sen Hauptpunct wird nirgends bestimmt gesprochen, und alles
was ich mühsam aus der ganzen Abhandlung zu gewinnen
suche, ist: Diese älteren Meistersinger waren arme, an Für-
stenhöfen umfahrende Ritter oder Bürgerliche, die sich gewisse
Regeln machten und für Lohn sangen. -- Die eigentlichen

falls einige ſpecielle Beweiſe wegfallen konnten. Daß Meiſter-
gefang an ſich unlyriſch ſeyn ſollte, verwarf ich mit demſelben
Grunde, wodurch ich ein gleiches Schickſal von dem Sonett
abhielt, das ſich in unſern Streit ganz unſchuldig, wiewohl gar
nicht zum Vortheil des Gegners, zu verlaufen ſchien.

In der gleich damals angekuͤndigten, jedoch erſt vor kur-
zem (im altdeutſchen Muſeum Heft 1 u. 2.) erſchienenen neuen
Erwiederung Docens iſt nicht ſowohl die unternommene ge-
naue Pruͤfung, die manchmal ſcharfſinnige Umwendung einiger
literariſchen Beweisſtellen zu beruͤckſichrigen, Hauptfache iſt die
von dem Gegner ergriffene, eigene Meinung. Jene Stellen
waren noch ſehr unvollſtaͤndig, ungenau und in Eile, aus Eifer
einen nicht ganz gerechten Angriff abzuwehren, niedergeſchrie-
ben worden, und mußten mancherlei Einwendungen bloßgege-
ben ſeyn; ich hatte das Gefuͤhl, daß es mir eben noch um
mehr Huͤlfe und Aufklaͤrung zu thun ſey, ſchon durch die
erſte Veranlaſſung gezeigt. Geſetzt nun, es waͤre Docen ge-
lungen, alle dieſe Gruͤnde zu widerlegen, ſo noͤthigten ſie ihn
doch mit ſeiner eigenen Anſicht der Sachen herauszutreten,
und was hat er als eine ſolche gegeben? Folgendes: unter
den Dichtern, die man ſeither pflegt Minneſaͤnger zu nennen,
gibt es auch unſtreitig Meiſterſinger, die uͤbrigen ſind aber
bei weitem keine geweſen. Nun muß man gleich fortfragen,
weil doch nichts an den Namen liegt, beſonders wo ſie nicht
recht bewieſen werden: worin unterſcheiden ſich dann dieſe bei-
derlei Dichter von einander, welche zu einerlei Zeit lebten und
deren Gedichte ſich auf ein Haar gleichen? Gerade uͤber die-
ſen Hauptpunct wird nirgends beſtimmt geſprochen, und alles
was ich muͤhſam aus der ganzen Abhandlung zu gewinnen
ſuche, iſt: Dieſe aͤlteren Meiſterſinger waren arme, an Fuͤr-
ſtenhoͤfen umfahrende Ritter oder Buͤrgerliche, die ſich gewiſſe
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[16/0026] falls einige ſpecielle Beweiſe wegfallen konnten. Daß Meiſter- gefang an ſich unlyriſch ſeyn ſollte, verwarf ich mit demſelben Grunde, wodurch ich ein gleiches Schickſal von dem Sonett abhielt, das ſich in unſern Streit ganz unſchuldig, wiewohl gar nicht zum Vortheil des Gegners, zu verlaufen ſchien. In der gleich damals angekuͤndigten, jedoch erſt vor kur- zem (im altdeutſchen Muſeum Heft 1 u. 2.) erſchienenen neuen Erwiederung Docens iſt nicht ſowohl die unternommene ge- naue Pruͤfung, die manchmal ſcharfſinnige Umwendung einiger literariſchen Beweisſtellen zu beruͤckſichrigen, Hauptfache iſt die von dem Gegner ergriffene, eigene Meinung. Jene Stellen waren noch ſehr unvollſtaͤndig, ungenau und in Eile, aus Eifer einen nicht ganz gerechten Angriff abzuwehren, niedergeſchrie- ben worden, und mußten mancherlei Einwendungen bloßgege- ben ſeyn; ich hatte das Gefuͤhl, daß es mir eben noch um mehr Huͤlfe und Aufklaͤrung zu thun ſey, ſchon durch die erſte Veranlaſſung gezeigt. Geſetzt nun, es waͤre Docen ge- lungen, alle dieſe Gruͤnde zu widerlegen, ſo noͤthigten ſie ihn doch mit ſeiner eigenen Anſicht der Sachen herauszutreten, und was hat er als eine ſolche gegeben? Folgendes: unter den Dichtern, die man ſeither pflegt Minneſaͤnger zu nennen, gibt es auch unſtreitig Meiſterſinger, die uͤbrigen ſind aber bei weitem keine geweſen. Nun muß man gleich fortfragen, weil doch nichts an den Namen liegt, beſonders wo ſie nicht recht bewieſen werden: worin unterſcheiden ſich dann dieſe bei- derlei Dichter von einander, welche zu einerlei Zeit lebten und deren Gedichte ſich auf ein Haar gleichen? Gerade uͤber die- ſen Hauptpunct wird nirgends beſtimmt geſprochen, und alles was ich muͤhſam aus der ganzen Abhandlung zu gewinnen ſuche, iſt: Dieſe aͤlteren Meiſterſinger waren arme, an Fuͤr- ſtenhoͤfen umfahrende Ritter oder Buͤrgerliche, die ſich gewiſſe Regeln machten und fuͤr Lohn ſangen. — Die eigentlichen

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/26>, abgerufen am 29.03.2024.