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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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die Treppe und das Stück Holz unter seinen Kopf. Wie die Alte das sah, fragte sie nach der Ursache, da erzählte er ihr daß er es zur Buße mit sich herum trage und Nachts zu einem Kissen brauche. Er habe den Herrn beleidigt, denn als er einen armen Sünder auf dem Gang nach dem Gericht gesehen, habe er gesagt diesem widerfahre sein Recht. Da fieng die Frau an zu weinen und rief 'ach, wenn der Herr ein einziges Wort also bestraft, wie wird es meinen Söhnen ergehen, wenn sie vor ihm im Gericht erscheinen.'

Um Mitternacht kamen die Räuber heim, lärmten und tobten. Sie zündeten ein Feuer an, und als das die Höhle erleuchtete und sie einen Mann unter der Treppe liegen sahen, geriethen sie in Zorn und schrien ihre Mutter an, 'wer ist der Mann? haben wirs nicht verboten irgend jemand aufzunehmen?' Da sprach die Mutter 'laßt ihn, es ist ein armer Sünder der seine Schuld büßt.' Die Räuber fragten 'was hat er gethan?' 'Alter,' riefen sie, 'erzähl uns deine Sünden.' Der Alte erhob sich und sagte ihnen wie er mit einem einzigen Wort schon so gesündigt habe, daß Gott ihm zürne, und er für diese Schuld jetzt büße. Den Räubern ward von seiner Erzählung das Herz so gewaltig gerührt, daß sie über ihr bisheriges Leben erschraken, in sich giengen und mit herzlicher Reue ihre Buße begannen. Der Einsiedler, nachdem er die drei Sünder bekehrt hatte, legte sich wieder zum Schlafe unter die Treppe. Am Morgen aber fand man ihn todt, und aus dem trocknen Holz, auf welchem sein Haupt lag, waren drei grüne Zweige hoch empor gewachsen. Also hatte ihn der Herr wieder in Gnaden zu sich aufgenommen.



die Treppe und das Stück Holz unter seinen Kopf. Wie die Alte das sah, fragte sie nach der Ursache, da erzählte er ihr daß er es zur Buße mit sich herum trage und Nachts zu einem Kissen brauche. Er habe den Herrn beleidigt, denn als er einen armen Sünder auf dem Gang nach dem Gericht gesehen, habe er gesagt diesem widerfahre sein Recht. Da fieng die Frau an zu weinen und rief ‘ach, wenn der Herr ein einziges Wort also bestraft, wie wird es meinen Söhnen ergehen, wenn sie vor ihm im Gericht erscheinen.’

Um Mitternacht kamen die Räuber heim, lärmten und tobten. Sie zündeten ein Feuer an, und als das die Höhle erleuchtete und sie einen Mann unter der Treppe liegen sahen, geriethen sie in Zorn und schrien ihre Mutter an, ‘wer ist der Mann? haben wirs nicht verboten irgend jemand aufzunehmen?’ Da sprach die Mutter ‘laßt ihn, es ist ein armer Sünder der seine Schuld büßt.’ Die Räuber fragten ‘was hat er gethan?’ ‘Alter,’ riefen sie, ‘erzähl uns deine Sünden.’ Der Alte erhob sich und sagte ihnen wie er mit einem einzigen Wort schon so gesündigt habe, daß Gott ihm zürne, und er für diese Schuld jetzt büße. Den Räubern ward von seiner Erzählung das Herz so gewaltig gerührt, daß sie über ihr bisheriges Leben erschraken, in sich giengen und mit herzlicher Reue ihre Buße begannen. Der Einsiedler, nachdem er die drei Sünder bekehrt hatte, legte sich wieder zum Schlafe unter die Treppe. Am Morgen aber fand man ihn todt, und aus dem trocknen Holz, auf welchem sein Haupt lag, waren drei grüne Zweige hoch empor gewachsen. Also hatte ihn der Herr wieder in Gnaden zu sich aufgenommen.



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[477/0489] die Treppe und das Stück Holz unter seinen Kopf. Wie die Alte das sah, fragte sie nach der Ursache, da erzählte er ihr daß er es zur Buße mit sich herum trage und Nachts zu einem Kissen brauche. Er habe den Herrn beleidigt, denn als er einen armen Sünder auf dem Gang nach dem Gericht gesehen, habe er gesagt diesem widerfahre sein Recht. Da fieng die Frau an zu weinen und rief ‘ach, wenn der Herr ein einziges Wort also bestraft, wie wird es meinen Söhnen ergehen, wenn sie vor ihm im Gericht erscheinen.’ Um Mitternacht kamen die Räuber heim, lärmten und tobten. Sie zündeten ein Feuer an, und als das die Höhle erleuchtete und sie einen Mann unter der Treppe liegen sahen, geriethen sie in Zorn und schrien ihre Mutter an, ‘wer ist der Mann? haben wirs nicht verboten irgend jemand aufzunehmen?’ Da sprach die Mutter ‘laßt ihn, es ist ein armer Sünder der seine Schuld büßt.’ Die Räuber fragten ‘was hat er gethan?’ ‘Alter,’ riefen sie, ‘erzähl uns deine Sünden.’ Der Alte erhob sich und sagte ihnen wie er mit einem einzigen Wort schon so gesündigt habe, daß Gott ihm zürne, und er für diese Schuld jetzt büße. Den Räubern ward von seiner Erzählung das Herz so gewaltig gerührt, daß sie über ihr bisheriges Leben erschraken, in sich giengen und mit herzlicher Reue ihre Buße begannen. Der Einsiedler, nachdem er die drei Sünder bekehrt hatte, legte sich wieder zum Schlafe unter die Treppe. Am Morgen aber fand man ihn todt, und aus dem trocknen Holz, auf welchem sein Haupt lag, waren drei grüne Zweige hoch empor gewachsen. Also hatte ihn der Herr wieder in Gnaden zu sich aufgenommen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/489>, abgerufen am 29.03.2024.