Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen wo er liegt,' schaute in das Meer hinab und sagte 'dort hängt er an einem spitzen Stein.' Der Lange trug sie hin und sprach 'ich wollte ihn wohl heraus holen, wenn ich ihn nur sehen könnte.' 'Wenns weiter nichts ist,' rief der Dicke, legte sich nieder und hielt seinen Mund ans Wasser: da fielen die Wellen hinein wie in einen Abgrund, und er trank das ganze Meer aus, daß es trocken ward wie eine Wiese. Der Lange bückte sich ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Da war der Königssohn froh als er den Ring hatte, und brachte ihn der Alten. Sie erstaunte und sprach 'ja, es ist der rechte Ring: den ersten Bund hast du glücklich gelöst, aber nun kommt der zweite. Siehst du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren: und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken; und bleibt von den Ochsen ein Haar und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.' Sprach der Königssohn 'darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.' Die Alte lachte boshaft und antwortete 'einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.'

Da gieng der Königssohn zu seinen Dienern und sprach zu dem Dicken 'du sollst heute mein Gast sein und dich einmal satt essen.' Da that sich der Dicke von einander und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre: den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nöthig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, gieng der Königssohn zur Alten und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich und sprach 'so weit hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,' und dachte 'du sollst mir nicht entgehen und wirst deinen Kopf nicht oben behalten.'

sehen wo er liegt,’ schaute in das Meer hinab und sagte ‘dort hängt er an einem spitzen Stein.’ Der Lange trug sie hin und sprach ‘ich wollte ihn wohl heraus holen, wenn ich ihn nur sehen könnte.’ ‘Wenns weiter nichts ist,’ rief der Dicke, legte sich nieder und hielt seinen Mund ans Wasser: da fielen die Wellen hinein wie in einen Abgrund, und er trank das ganze Meer aus, daß es trocken ward wie eine Wiese. Der Lange bückte sich ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Da war der Königssohn froh als er den Ring hatte, und brachte ihn der Alten. Sie erstaunte und sprach ‘ja, es ist der rechte Ring: den ersten Bund hast du glücklich gelöst, aber nun kommt der zweite. Siehst du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren: und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken; und bleibt von den Ochsen ein Haar und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.’ Sprach der Königssohn ‘darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.’ Die Alte lachte boshaft und antwortete ‘einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.’

Da gieng der Königssohn zu seinen Dienern und sprach zu dem Dicken ‘du sollst heute mein Gast sein und dich einmal satt essen.’ Da that sich der Dicke von einander und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre: den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nöthig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, gieng der Königssohn zur Alten und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich und sprach ‘so weit hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,’ und dachte ‘du sollst mir nicht entgehen und wirst deinen Kopf nicht oben behalten.’

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0244" n="232"/>
sehen wo er liegt,&#x2019; schaute in das Meer hinab und sagte &#x2018;dort hängt er an einem spitzen Stein.&#x2019; Der Lange trug sie hin und sprach &#x2018;ich wollte ihn wohl heraus holen, wenn ich ihn nur sehen könnte.&#x2019; &#x2018;Wenns weiter nichts ist,&#x2019; rief der Dicke, legte sich nieder und hielt seinen Mund ans Wasser: da fielen die Wellen hinein wie in einen Abgrund, und er trank das ganze Meer aus, daß es trocken ward wie eine Wiese. Der Lange bückte sich ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Da war der Königssohn froh als er den Ring hatte, und brachte ihn der Alten. Sie erstaunte und sprach &#x2018;ja, es ist der rechte Ring: den ersten Bund hast du glücklich gelöst, aber nun kommt der zweite. Siehst du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren: und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken; und bleibt von den Ochsen ein Haar und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.&#x2019; Sprach der Königssohn &#x2018;darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.&#x2019; Die Alte lachte boshaft und antwortete &#x2018;einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Da gieng der Königssohn zu seinen Dienern und sprach zu dem Dicken &#x2018;du sollst heute mein Gast sein und dich einmal satt essen.&#x2019; Da that sich der Dicke von einander und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre: den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nöthig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, gieng der Königssohn zur Alten und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich und sprach &#x2018;so weit hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,&#x2019; und dachte &#x2018;du sollst mir nicht entgehen und wirst deinen Kopf nicht oben behalten.&#x2019;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0244] sehen wo er liegt,’ schaute in das Meer hinab und sagte ‘dort hängt er an einem spitzen Stein.’ Der Lange trug sie hin und sprach ‘ich wollte ihn wohl heraus holen, wenn ich ihn nur sehen könnte.’ ‘Wenns weiter nichts ist,’ rief der Dicke, legte sich nieder und hielt seinen Mund ans Wasser: da fielen die Wellen hinein wie in einen Abgrund, und er trank das ganze Meer aus, daß es trocken ward wie eine Wiese. Der Lange bückte sich ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Da war der Königssohn froh als er den Ring hatte, und brachte ihn der Alten. Sie erstaunte und sprach ‘ja, es ist der rechte Ring: den ersten Bund hast du glücklich gelöst, aber nun kommt der zweite. Siehst du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren: und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken; und bleibt von den Ochsen ein Haar und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.’ Sprach der Königssohn ‘darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.’ Die Alte lachte boshaft und antwortete ‘einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.’ Da gieng der Königssohn zu seinen Dienern und sprach zu dem Dicken ‘du sollst heute mein Gast sein und dich einmal satt essen.’ Da that sich der Dicke von einander und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre: den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nöthig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, gieng der Königssohn zur Alten und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich und sprach ‘so weit hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,’ und dachte ‘du sollst mir nicht entgehen und wirst deinen Kopf nicht oben behalten.’

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (Harvard University): Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-08T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/244
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/244>, abgerufen am 29.03.2024.