Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

gewaltig ist mein Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gern dienen.' 'Komm mit,' antwortete der Königssohn, 'ich kann dich brauchen.' Sie zogen weiter und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein und zitterte und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied still stand. 'Wie kannst du frieren?' sprach der Königssohn, 'und die Sonne scheint so warm.' 'Ach,' antwortete der Mann, 'meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir durch alle Knochen: und je kälter es ist, desto heißer wird mir: mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.' 'Du bist ein wunderlicher Kerl,' sprach der Königssohn, 'aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.' Nun zogen sie weiter und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, schaute sich um und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn 'wonach siehst du so eifrig?' Der Mann antwortete 'ich habe so helle Augen, daß ich über alle Wälder und Felder, Thäler und Berge hinaus und durch die ganze Welt sehen kann.' Der Königssohn sprach 'willst du, so komm mit mir, denn so einer fehlte mir noch.'

Nun zog der Königssohn mit seinen sechs Dienern in die Stadt ein, wo die alte Königin lebte. Er sagte nicht wer er wäre, aber er sprach 'wollt ihr mir eure schöne Tochter geben, so will ich vollbringen, was ihr mir auferlegt.' Die Zauberin freute sich daß ein so schöner Jüngling wieder in ihre Netze fiel und sprach 'dreimal will ich dir einen Bund aufgeben, lösest du ihn jedesmal, so sollst du der Herr und Gemahl meiner Tochter werden.' 'Was soll das erste sein?' fragte er. 'Daß du mir einen Ring herbei bringst, den ich ins rothe Meer habe fallen lassen.' Da gieng der Königssohn heim zu seinen Dienern und sprach 'der erste Bund ist nicht leicht, ein Ring soll aus dem rothen Meer geholt werden, nun schafft Rath.' Da sprach der mit den hellen Augen 'ich will

gewaltig ist mein Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gern dienen.’ ‘Komm mit,’ antwortete der Königssohn, ‘ich kann dich brauchen.’ Sie zogen weiter und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein und zitterte und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied still stand. ‘Wie kannst du frieren?’ sprach der Königssohn, ‘und die Sonne scheint so warm.’ ‘Ach,’ antwortete der Mann, ‘meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir durch alle Knochen: und je kälter es ist, desto heißer wird mir: mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.’ ‘Du bist ein wunderlicher Kerl,’ sprach der Königssohn, ‘aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.’ Nun zogen sie weiter und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, schaute sich um und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn ‘wonach siehst du so eifrig?’ Der Mann antwortete ‘ich habe so helle Augen, daß ich über alle Wälder und Felder, Thäler und Berge hinaus und durch die ganze Welt sehen kann.’ Der Königssohn sprach ‘willst du, so komm mit mir, denn so einer fehlte mir noch.’

Nun zog der Königssohn mit seinen sechs Dienern in die Stadt ein, wo die alte Königin lebte. Er sagte nicht wer er wäre, aber er sprach ‘wollt ihr mir eure schöne Tochter geben, so will ich vollbringen, was ihr mir auferlegt.’ Die Zauberin freute sich daß ein so schöner Jüngling wieder in ihre Netze fiel und sprach ‘dreimal will ich dir einen Bund aufgeben, lösest du ihn jedesmal, so sollst du der Herr und Gemahl meiner Tochter werden.’ ‘Was soll das erste sein?’ fragte er. ‘Daß du mir einen Ring herbei bringst, den ich ins rothe Meer habe fallen lassen.’ Da gieng der Königssohn heim zu seinen Dienern und sprach ‘der erste Bund ist nicht leicht, ein Ring soll aus dem rothen Meer geholt werden, nun schafft Rath.’ Da sprach der mit den hellen Augen ‘ich will

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="231"/>
gewaltig ist mein Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gern dienen.&#x2019; &#x2018;Komm mit,&#x2019; antwortete der Königssohn, &#x2018;ich kann dich brauchen.&#x2019; Sie zogen weiter und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein und zitterte und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied still stand. &#x2018;Wie kannst du frieren?&#x2019; sprach der Königssohn, &#x2018;und die Sonne scheint so warm.&#x2019; &#x2018;Ach,&#x2019; antwortete der Mann, &#x2018;meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir durch alle Knochen: und je kälter es ist, desto heißer wird mir: mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.&#x2019; &#x2018;Du bist ein wunderlicher Kerl,&#x2019; sprach der Königssohn, &#x2018;aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.&#x2019; Nun zogen sie weiter und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, schaute sich um und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn &#x2018;wonach siehst du so eifrig?&#x2019; Der Mann antwortete &#x2018;ich habe so helle Augen, daß ich über alle Wälder und Felder, Thäler und Berge hinaus und durch die ganze Welt sehen kann.&#x2019; Der Königssohn sprach &#x2018;willst du, so komm mit mir, denn so einer fehlte mir noch.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Nun zog der Königssohn mit seinen sechs Dienern in die Stadt ein, wo die alte Königin lebte. Er sagte nicht wer er wäre, aber er sprach &#x2018;wollt ihr mir eure schöne Tochter geben, so will ich vollbringen, was ihr mir auferlegt.&#x2019; Die Zauberin freute sich daß ein so schöner Jüngling wieder in ihre Netze fiel und sprach &#x2018;dreimal will ich dir einen Bund aufgeben, lösest du ihn jedesmal, so sollst du der Herr und Gemahl meiner Tochter werden.&#x2019; &#x2018;Was soll das erste sein?&#x2019; fragte er. &#x2018;Daß du mir einen Ring herbei bringst, den ich ins rothe Meer habe fallen lassen.&#x2019; Da gieng der Königssohn heim zu seinen Dienern und sprach &#x2018;der erste Bund ist nicht leicht, ein Ring soll aus dem rothen Meer geholt werden, nun schafft Rath.&#x2019; Da sprach der mit den hellen Augen &#x2018;ich will
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0243] gewaltig ist mein Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gern dienen.’ ‘Komm mit,’ antwortete der Königssohn, ‘ich kann dich brauchen.’ Sie zogen weiter und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein und zitterte und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied still stand. ‘Wie kannst du frieren?’ sprach der Königssohn, ‘und die Sonne scheint so warm.’ ‘Ach,’ antwortete der Mann, ‘meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir durch alle Knochen: und je kälter es ist, desto heißer wird mir: mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.’ ‘Du bist ein wunderlicher Kerl,’ sprach der Königssohn, ‘aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.’ Nun zogen sie weiter und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, schaute sich um und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn ‘wonach siehst du so eifrig?’ Der Mann antwortete ‘ich habe so helle Augen, daß ich über alle Wälder und Felder, Thäler und Berge hinaus und durch die ganze Welt sehen kann.’ Der Königssohn sprach ‘willst du, so komm mit mir, denn so einer fehlte mir noch.’ Nun zog der Königssohn mit seinen sechs Dienern in die Stadt ein, wo die alte Königin lebte. Er sagte nicht wer er wäre, aber er sprach ‘wollt ihr mir eure schöne Tochter geben, so will ich vollbringen, was ihr mir auferlegt.’ Die Zauberin freute sich daß ein so schöner Jüngling wieder in ihre Netze fiel und sprach ‘dreimal will ich dir einen Bund aufgeben, lösest du ihn jedesmal, so sollst du der Herr und Gemahl meiner Tochter werden.’ ‘Was soll das erste sein?’ fragte er. ‘Daß du mir einen Ring herbei bringst, den ich ins rothe Meer habe fallen lassen.’ Da gieng der Königssohn heim zu seinen Dienern und sprach ‘der erste Bund ist nicht leicht, ein Ring soll aus dem rothen Meer geholt werden, nun schafft Rath.’ Da sprach der mit den hellen Augen ‘ich will

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (Harvard University): Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-08T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/243
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/243>, abgerufen am 19.04.2024.