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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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'hast so ein großes Maul und kannst die kleine Nuß nicht aufbeißen.' Da nahm es die Steine, war hurtig, steckte dafür eine Nuß in den Mund und knack, war sie entzwei. 'Jch muß das Ding noch einmal probieren,' sprach der Bär, 'wenn ichs so ansehe, ich mein ich müßts auch können.' Da gab ihm das Schneiderlein abermals Wackersteine, und der Bär arbeitete und biß aus allen Leibeskräften hinein. Aber du glaubst auch nicht daß er sie aufgebracht hat. Wie das vorbei war, holte das Schneiderlein eine Violine unter dem Rock hervor und spielte sich ein Stückchen darauf. Als der Bär die Musik vernahm, konnte er es nicht lassen und fieng an zu tanzen, und als er ein Weilchen getanzt hatte, gefiel ihm das Ding so wohl, daß er zum Schneiderlein sprach 'hör, ist das Geigen schwer?' 'Kinderleicht, siehst du, mit der Linken leg ich die Finger auf und mit der Rechten streich ich mit dem Bogen drauf los, da gehts lustig, hopsasa, vivallalera!' 'So Geigen,' sprach der Bär, 'das möcht ich auch verstehen, damit ich tanzen könnte, so oft ich Lust hätte. Was meinst du dazu? Willst du mir Unterricht darin geben?' 'Von Herzen gern,' sagte das Schneiderlein, 'wenn du Geschick dazu hast. Aber weis einmal deine Tatzen her, die sind gewaltig lang, ich muß dir die Nägel ein wenig abschneiden.' Da ward ein Schraubstock herbei geholt, und der Bär legte seine Tatzen darauf, das Schneiderlein aber schraubte sie fest und sprach 'nun warte bis ich mit der Scheere komme,' ließ den Bären brummen, so viel er wollte, legte sich in die Ecke auf ein Bund Stroh und schlief ein.

Die Prinzessin, als sie am Abend den Bären so gewaltig brummen hörte, glaubte nicht anders, als er brummte vor Freuden und hätte dem Schneider den Garaus gemacht. Am Morgen stand sie ganz unbesorgt und vergnügt auf, wie sie aber nach dem Stall guckt, so steht das Schneiderlein ganz munter davor und ist gesund wie ein Fisch im Wasser. Da konnte sie nun kein Wort mehr

‘hast so ein großes Maul und kannst die kleine Nuß nicht aufbeißen.’ Da nahm es die Steine, war hurtig, steckte dafür eine Nuß in den Mund und knack, war sie entzwei. ‘Jch muß das Ding noch einmal probieren,’ sprach der Bär, ‘wenn ichs so ansehe, ich mein ich müßts auch können.’ Da gab ihm das Schneiderlein abermals Wackersteine, und der Bär arbeitete und biß aus allen Leibeskräften hinein. Aber du glaubst auch nicht daß er sie aufgebracht hat. Wie das vorbei war, holte das Schneiderlein eine Violine unter dem Rock hervor und spielte sich ein Stückchen darauf. Als der Bär die Musik vernahm, konnte er es nicht lassen und fieng an zu tanzen, und als er ein Weilchen getanzt hatte, gefiel ihm das Ding so wohl, daß er zum Schneiderlein sprach ‘hör, ist das Geigen schwer?’ ‘Kinderleicht, siehst du, mit der Linken leg ich die Finger auf und mit der Rechten streich ich mit dem Bogen drauf los, da gehts lustig, hopsasa, vivallalera!’ ‘So Geigen,’ sprach der Bär, ‘das möcht ich auch verstehen, damit ich tanzen könnte, so oft ich Lust hätte. Was meinst du dazu? Willst du mir Unterricht darin geben?’ ‘Von Herzen gern,’ sagte das Schneiderlein, ‘wenn du Geschick dazu hast. Aber weis einmal deine Tatzen her, die sind gewaltig lang, ich muß dir die Nägel ein wenig abschneiden.’ Da ward ein Schraubstock herbei geholt, und der Bär legte seine Tatzen darauf, das Schneiderlein aber schraubte sie fest und sprach ‘nun warte bis ich mit der Scheere komme,’ ließ den Bären brummen, so viel er wollte, legte sich in die Ecke auf ein Bund Stroh und schlief ein.

Die Prinzessin, als sie am Abend den Bären so gewaltig brummen hörte, glaubte nicht anders, als er brummte vor Freuden und hätte dem Schneider den Garaus gemacht. Am Morgen stand sie ganz unbesorgt und vergnügt auf, wie sie aber nach dem Stall guckt, so steht das Schneiderlein ganz munter davor und ist gesund wie ein Fisch im Wasser. Da konnte sie nun kein Wort mehr

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[146/0158] ‘hast so ein großes Maul und kannst die kleine Nuß nicht aufbeißen.’ Da nahm es die Steine, war hurtig, steckte dafür eine Nuß in den Mund und knack, war sie entzwei. ‘Jch muß das Ding noch einmal probieren,’ sprach der Bär, ‘wenn ichs so ansehe, ich mein ich müßts auch können.’ Da gab ihm das Schneiderlein abermals Wackersteine, und der Bär arbeitete und biß aus allen Leibeskräften hinein. Aber du glaubst auch nicht daß er sie aufgebracht hat. Wie das vorbei war, holte das Schneiderlein eine Violine unter dem Rock hervor und spielte sich ein Stückchen darauf. Als der Bär die Musik vernahm, konnte er es nicht lassen und fieng an zu tanzen, und als er ein Weilchen getanzt hatte, gefiel ihm das Ding so wohl, daß er zum Schneiderlein sprach ‘hör, ist das Geigen schwer?’ ‘Kinderleicht, siehst du, mit der Linken leg ich die Finger auf und mit der Rechten streich ich mit dem Bogen drauf los, da gehts lustig, hopsasa, vivallalera!’ ‘So Geigen,’ sprach der Bär, ‘das möcht ich auch verstehen, damit ich tanzen könnte, so oft ich Lust hätte. Was meinst du dazu? Willst du mir Unterricht darin geben?’ ‘Von Herzen gern,’ sagte das Schneiderlein, ‘wenn du Geschick dazu hast. Aber weis einmal deine Tatzen her, die sind gewaltig lang, ich muß dir die Nägel ein wenig abschneiden.’ Da ward ein Schraubstock herbei geholt, und der Bär legte seine Tatzen darauf, das Schneiderlein aber schraubte sie fest und sprach ‘nun warte bis ich mit der Scheere komme,’ ließ den Bären brummen, so viel er wollte, legte sich in die Ecke auf ein Bund Stroh und schlief ein. Die Prinzessin, als sie am Abend den Bären so gewaltig brummen hörte, glaubte nicht anders, als er brummte vor Freuden und hätte dem Schneider den Garaus gemacht. Am Morgen stand sie ganz unbesorgt und vergnügt auf, wie sie aber nach dem Stall guckt, so steht das Schneiderlein ganz munter davor und ist gesund wie ein Fisch im Wasser. Da konnte sie nun kein Wort mehr

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/158>, abgerufen am 25.04.2024.