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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen.

Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten. Hätte es überall geschehen können, so würde die Erzählung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit, und Kunst der Sprache zu Schanden wird, und man fühlt daß eine geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem übrigen seyn mag, heller und durchsichtiger aber auch schmackloser geworden, und nicht mehr so fest dem Kerne sich anschließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Nähe von Cassel, als in den Gränzpunkten des alten sächsischen und fränkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersächsischem und hochdeutschem ist.

Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine Sammlungen von Märchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufällig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie als bloßen rohen Stoff, um größere Erzählungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklären wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, daß in allem lebendigen Gefühl für eine Dichtung

und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen.

Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten. Haͤtte es uͤberall geschehen koͤnnen, so wuͤrde die Erzaͤhlung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit, und Kunst der Sprache zu Schanden wird, und man fuͤhlt daß eine gelaͤuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem uͤbrigen seyn mag, heller und durchsichtiger aber auch schmackloser geworden, und nicht mehr so fest dem Kerne sich anschließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Naͤhe von Cassel, als in den Graͤnzpunkten des alten saͤchsischen und fraͤnkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersaͤchsischem und hochdeutschem ist.

Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine Sammlungen von Maͤrchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufaͤllig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie als bloßen rohen Stoff, um groͤßere Erzaͤhlungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklaͤren wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, daß in allem lebendigen Gefuͤhl fuͤr eine Dichtung

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[XIX/0022] und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen. Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten. Haͤtte es uͤberall geschehen koͤnnen, so wuͤrde die Erzaͤhlung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit, und Kunst der Sprache zu Schanden wird, und man fuͤhlt daß eine gelaͤuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem uͤbrigen seyn mag, heller und durchsichtiger aber auch schmackloser geworden, und nicht mehr so fest dem Kerne sich anschließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Naͤhe von Cassel, als in den Graͤnzpunkten des alten saͤchsischen und fraͤnkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersaͤchsischem und hochdeutschem ist. Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine Sammlungen von Maͤrchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufaͤllig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie als bloßen rohen Stoff, um groͤßere Erzaͤhlungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklaͤren wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, daß in allem lebendigen Gefuͤhl fuͤr eine Dichtung

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. XIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/22>, abgerufen am 29.03.2024.