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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ging von statten, wie eine aufgezogene Uhr abläuft. Die beiden Herren befanden sich vortrefflich in Emma's Gesellschaft, die sie auf das Reizendste unterhielt, ohne sie einen Augenblick zu geniren. Das Kind hatte an Allem Interesse, erröthete froh verwirrt, wenn ihm Fremde vorgestellt wurden wie einer großen Dame, sprach aber doch sehr gewandt und klug mit ihnen und erzählte Albert mit Wonne, was es beobachtete, war es nun ein Gespann prächtiger Pferde, oder ein seltsamer Thurm, oder eine Katze auf der Gasthaustreppe; jeder Regen, jeder Sonnenschein entzückte es, und nur wenn es Abends allein an Therese dachte, fielen ihm die Thränen auf das Kopfkissen, bis es darüber einschlief.

Auf dem Marcusplatze von Venedig fingen die Lichter an aufzublühen, und die Sterne über ihnen, die den reinen Himmel durchbrachen. Gelblich ins Grüne, Rothe, Violette schimmernd, aber feurig rein in einander übergehend, war seine Farbe, und sie spiegelte sich auf den Wogen des Meeres, die schaumlos anschwellend in langen Reihen dahinzogen, zu den Marmorstufen der Paläste, die sie anplätscherten, zu den schwarzen Masten der stillen Schiffe, an deren Schärfe sie sich theilten, und fern in die Weite zum Horizonte, der schwarz war und sich in Duft verlor.

Die Drei fuhren in einer Gondel mitten durch die schweigende Pracht des Abends, weit genug von der Stadt, um ihrem Treiben entronnen zu sein, und

ging von statten, wie eine aufgezogene Uhr abläuft. Die beiden Herren befanden sich vortrefflich in Emma's Gesellschaft, die sie auf das Reizendste unterhielt, ohne sie einen Augenblick zu geniren. Das Kind hatte an Allem Interesse, erröthete froh verwirrt, wenn ihm Fremde vorgestellt wurden wie einer großen Dame, sprach aber doch sehr gewandt und klug mit ihnen und erzählte Albert mit Wonne, was es beobachtete, war es nun ein Gespann prächtiger Pferde, oder ein seltsamer Thurm, oder eine Katze auf der Gasthaustreppe; jeder Regen, jeder Sonnenschein entzückte es, und nur wenn es Abends allein an Therese dachte, fielen ihm die Thränen auf das Kopfkissen, bis es darüber einschlief.

Auf dem Marcusplatze von Venedig fingen die Lichter an aufzublühen, und die Sterne über ihnen, die den reinen Himmel durchbrachen. Gelblich ins Grüne, Rothe, Violette schimmernd, aber feurig rein in einander übergehend, war seine Farbe, und sie spiegelte sich auf den Wogen des Meeres, die schaumlos anschwellend in langen Reihen dahinzogen, zu den Marmorstufen der Paläste, die sie anplätscherten, zu den schwarzen Masten der stillen Schiffe, an deren Schärfe sie sich theilten, und fern in die Weite zum Horizonte, der schwarz war und sich in Duft verlor.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/50>, abgerufen am 25.04.2024.