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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mir jetzt vorzuwerfen, daß ich wahnsinnig sei -- wenn ich's nicht wäre, das wäre ein Vorwurf!

Gute Nacht, mein Herr, antwortete trocken Albert, drehte sich und ging in gewöhnlichem Gange auf das Haus zu. Nach ein paar Dutzend Schritten wandte er sich um und sah den jungen Menschen noch immer da stehen, schwarz vom hellen Abendhimmel abstechend.

Er wird zur Besinnung kommen. Uebermorgen reisen wir ab. Mit diesen Gedanken trat er in den Saal, wo Therese und ihre Schwester nähend bei der Lampe saßen und unschuldig aufblickten, als er heran kam.

Am andern Morgen bat Therese Albert um einige Minuten und erzählte ihm, Emma habe ihr den Vorfall am vergangenen Abend mitgetheilt, und sie ihr nun auch nicht verschwiegen, was Emil ihr am Morgen nach dem Balle im Garten sagte.

So, das hat er dir gesagt, und das hast du ihr erzählt, Therese?

Ja, ich hielt es für meine Pflicht; denn wir nennen sie freilich das Kind, aber sie darf hier keines mehr sein -- selbst wenn sie eins wäre, setzte sie hinzu.

Wie verstehst du das, liebe Therese: selbst wenn sie noch eines wäre? Wenn sie eines ist, so bleibt sie eines, es mag nun das Gegentheil noch so nothwendig, und vorgefallen sein, was da will.

Dann aber, antwortete das Mädchen und erröthete leise, könnten Dinge vorfallen, die sie aufhören ließen ein Kind zu sein, und es ist die Frage, ob sie dann

mir jetzt vorzuwerfen, daß ich wahnsinnig sei — wenn ich's nicht wäre, das wäre ein Vorwurf!

Gute Nacht, mein Herr, antwortete trocken Albert, drehte sich und ging in gewöhnlichem Gange auf das Haus zu. Nach ein paar Dutzend Schritten wandte er sich um und sah den jungen Menschen noch immer da stehen, schwarz vom hellen Abendhimmel abstechend.

Er wird zur Besinnung kommen. Uebermorgen reisen wir ab. Mit diesen Gedanken trat er in den Saal, wo Therese und ihre Schwester nähend bei der Lampe saßen und unschuldig aufblickten, als er heran kam.

Am andern Morgen bat Therese Albert um einige Minuten und erzählte ihm, Emma habe ihr den Vorfall am vergangenen Abend mitgetheilt, und sie ihr nun auch nicht verschwiegen, was Emil ihr am Morgen nach dem Balle im Garten sagte.

So, das hat er dir gesagt, und das hast du ihr erzählt, Therese?

Ja, ich hielt es für meine Pflicht; denn wir nennen sie freilich das Kind, aber sie darf hier keines mehr sein — selbst wenn sie eins wäre, setzte sie hinzu.

Wie verstehst du das, liebe Therese: selbst wenn sie noch eines wäre? Wenn sie eines ist, so bleibt sie eines, es mag nun das Gegentheil noch so nothwendig, und vorgefallen sein, was da will.

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[0039] mir jetzt vorzuwerfen, daß ich wahnsinnig sei — wenn ich's nicht wäre, das wäre ein Vorwurf! Gute Nacht, mein Herr, antwortete trocken Albert, drehte sich und ging in gewöhnlichem Gange auf das Haus zu. Nach ein paar Dutzend Schritten wandte er sich um und sah den jungen Menschen noch immer da stehen, schwarz vom hellen Abendhimmel abstechend. Er wird zur Besinnung kommen. Uebermorgen reisen wir ab. Mit diesen Gedanken trat er in den Saal, wo Therese und ihre Schwester nähend bei der Lampe saßen und unschuldig aufblickten, als er heran kam. Am andern Morgen bat Therese Albert um einige Minuten und erzählte ihm, Emma habe ihr den Vorfall am vergangenen Abend mitgetheilt, und sie ihr nun auch nicht verschwiegen, was Emil ihr am Morgen nach dem Balle im Garten sagte. So, das hat er dir gesagt, und das hast du ihr erzählt, Therese? Ja, ich hielt es für meine Pflicht; denn wir nennen sie freilich das Kind, aber sie darf hier keines mehr sein — selbst wenn sie eins wäre, setzte sie hinzu. Wie verstehst du das, liebe Therese: selbst wenn sie noch eines wäre? Wenn sie eines ist, so bleibt sie eines, es mag nun das Gegentheil noch so nothwendig, und vorgefallen sein, was da will. Dann aber, antwortete das Mädchen und erröthete leise, könnten Dinge vorfallen, die sie aufhören ließen ein Kind zu sein, und es ist die Frage, ob sie dann

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/39>, abgerufen am 24.04.2024.