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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Nicht eine Ahnung stieg ihm auf, es hatte noch lange nicht ausgeträumt und den Kopf noch voll Musik und Tänze. Ein junger Mann kam auf die Schwestern zu, er hatte ein Bouquet im Knopfloch, Emma erkannte ihn auf der Stelle.

Haben Sie gut geschlafen, gnädiges Fräulein? Und Sie? zu Therese gewendet. Himmlisch! rief Emma; ich tanzte jetzt noch, wenn es die Musik nur aushielte. Es ist so Schade, wenn erst die wahre Lust kommt, ist alles zu Ende. -- Darauf eine Antwort, die eben so nach drei und zwanzig Jahren klang, wie die des Kindes nach siebzehn. Die Drei gingen umher, sprachen, lachten und waren seelenvergnügt.

Der junge Mann besaß ein schönes Gut in der Nachbarschaft, war reich und noch unter Vormundschaft, aber er konnte so ziemlich thun, wozu er Lust hatte. Nachdem er einige Jahre studirt und dann auf Reisen gegangen war, kam er nun zurück, um sein Eigenthum anzutreten.

Wer war denn der ältere Herr gestern Abend hinter uns, dem Sie die Camelie gaben, gnädigstes Fräulein?

Therese? rief Emma, blickte ihre Schwester schelmisch an und lachte laut auf. Sie lachte eigentlich immer, wie sie immer tanzte, das heißt, ihr freundliches Gesicht war stets in Bewegung, und da sie immer gut und glücklich war, schien ihr Ausdruck nur eine unendliche Variation desselben lieblichen Themas; sie lachte

Nicht eine Ahnung stieg ihm auf, es hatte noch lange nicht ausgeträumt und den Kopf noch voll Musik und Tänze. Ein junger Mann kam auf die Schwestern zu, er hatte ein Bouquet im Knopfloch, Emma erkannte ihn auf der Stelle.

Haben Sie gut geschlafen, gnädiges Fräulein? Und Sie? zu Therese gewendet. Himmlisch! rief Emma; ich tanzte jetzt noch, wenn es die Musik nur aushielte. Es ist so Schade, wenn erst die wahre Lust kommt, ist alles zu Ende. — Darauf eine Antwort, die eben so nach drei und zwanzig Jahren klang, wie die des Kindes nach siebzehn. Die Drei gingen umher, sprachen, lachten und waren seelenvergnügt.

Der junge Mann besaß ein schönes Gut in der Nachbarschaft, war reich und noch unter Vormundschaft, aber er konnte so ziemlich thun, wozu er Lust hatte. Nachdem er einige Jahre studirt und dann auf Reisen gegangen war, kam er nun zurück, um sein Eigenthum anzutreten.

Wer war denn der ältere Herr gestern Abend hinter uns, dem Sie die Camelie gaben, gnädigstes Fräulein?

Therese? rief Emma, blickte ihre Schwester schelmisch an und lachte laut auf. Sie lachte eigentlich immer, wie sie immer tanzte, das heißt, ihr freundliches Gesicht war stets in Bewegung, und da sie immer gut und glücklich war, schien ihr Ausdruck nur eine unendliche Variation desselben lieblichen Themas; sie lachte

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[0025] Nicht eine Ahnung stieg ihm auf, es hatte noch lange nicht ausgeträumt und den Kopf noch voll Musik und Tänze. Ein junger Mann kam auf die Schwestern zu, er hatte ein Bouquet im Knopfloch, Emma erkannte ihn auf der Stelle. Haben Sie gut geschlafen, gnädiges Fräulein? Und Sie? zu Therese gewendet. Himmlisch! rief Emma; ich tanzte jetzt noch, wenn es die Musik nur aushielte. Es ist so Schade, wenn erst die wahre Lust kommt, ist alles zu Ende. — Darauf eine Antwort, die eben so nach drei und zwanzig Jahren klang, wie die des Kindes nach siebzehn. Die Drei gingen umher, sprachen, lachten und waren seelenvergnügt. Der junge Mann besaß ein schönes Gut in der Nachbarschaft, war reich und noch unter Vormundschaft, aber er konnte so ziemlich thun, wozu er Lust hatte. Nachdem er einige Jahre studirt und dann auf Reisen gegangen war, kam er nun zurück, um sein Eigenthum anzutreten. Wer war denn der ältere Herr gestern Abend hinter uns, dem Sie die Camelie gaben, gnädigstes Fräulein? Therese? rief Emma, blickte ihre Schwester schelmisch an und lachte laut auf. Sie lachte eigentlich immer, wie sie immer tanzte, das heißt, ihr freundliches Gesicht war stets in Bewegung, und da sie immer gut und glücklich war, schien ihr Ausdruck nur eine unendliche Variation desselben lieblichen Themas; sie lachte

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/25>, abgerufen am 28.03.2024.