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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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die Sache praktisch angriff. Mehr als zwei Jahre war freilich eine lange Zeit. Albert beredete den Vater zu einer Reise nach Rom, wo man den Winter mit Heinrich zusammen zubringen wollte. Herr von --, der außer in Sachen der Landwirthschaft selten Widerspruch erhob und jetzt mehr als jemals in der Stimmung war, mit Allem zufrieden zu sein, gab seine Einwilligung nach kurzen Debatten. Albert wußte die Reise himmlisch darzustellen; er war überall gewesen, kannte Weg und Steg im Süden und malte die Dinge lockend aus, die ihrer dort warteten, holte seine Skizzenbücher, zeichnete, verglich die Briefe des Bruders mit den Reisehandbüchern; es war nicht zu Athem zu kommen vor Erwartung. Man wollte so bald als möglich fortgehen.

Vorher aber sollte ein Gut in der Nachbarschaft angesehen werden, dessen Besitzer verkaufte, weil er sich in einer anderen Gegend ansiedeln wollte. Auf die Ankündigung des Besuches erfolgte eine Antwort, welche zugleich die Einladung zu einem Balle enthielt. Es war eine Art Abschiedsfest. Das Erntefest war verschoben und damit eine Zusammenkunft der ganzen Umgegend verbunden; da das Schloß zudem viel Räumlichkeiten enthielt, so konnte die Mehrzahl der Gäste dort übernachten.

Die beiden Schwestern waren entzückt über diesen glücklichen Zufall. Das Kind, das eigentlich den ganzen Tag nicht aus dem Tanztakte kam und nie

die Sache praktisch angriff. Mehr als zwei Jahre war freilich eine lange Zeit. Albert beredete den Vater zu einer Reise nach Rom, wo man den Winter mit Heinrich zusammen zubringen wollte. Herr von —, der außer in Sachen der Landwirthschaft selten Widerspruch erhob und jetzt mehr als jemals in der Stimmung war, mit Allem zufrieden zu sein, gab seine Einwilligung nach kurzen Debatten. Albert wußte die Reise himmlisch darzustellen; er war überall gewesen, kannte Weg und Steg im Süden und malte die Dinge lockend aus, die ihrer dort warteten, holte seine Skizzenbücher, zeichnete, verglich die Briefe des Bruders mit den Reisehandbüchern; es war nicht zu Athem zu kommen vor Erwartung. Man wollte so bald als möglich fortgehen.

Vorher aber sollte ein Gut in der Nachbarschaft angesehen werden, dessen Besitzer verkaufte, weil er sich in einer anderen Gegend ansiedeln wollte. Auf die Ankündigung des Besuches erfolgte eine Antwort, welche zugleich die Einladung zu einem Balle enthielt. Es war eine Art Abschiedsfest. Das Erntefest war verschoben und damit eine Zusammenkunft der ganzen Umgegend verbunden; da das Schloß zudem viel Räumlichkeiten enthielt, so konnte die Mehrzahl der Gäste dort übernachten.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/19>, abgerufen am 28.03.2024.