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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Nein, Therese, niemals, ich schwöre dir, ich nehme ihn nicht!

Sie zog sie neben sich. Siehst du, es wird mir jetzt schon immer ganz übel bei den Rosenperlen und den Sandelholzkasten, wenn ich das nun mein ganzes Leben lang riechen sollte, das wäre gar nicht zu ertragen. Gieb mir einen guten Rath. Nicht wahr, Therese, wir nehmen ihn auf keinen Fall?

Liebes Kind, sagte sie (sie nannte Emma immer Kind), dazu kann ich nichts sagen. Wenn du ihn lieb hast, so nimm ihn, wenn du ihn nicht lieb hast, nimm ihn nicht. -- Ich habe ihn aber nicht lieb. -- Dann nimm ihn also nicht. -- Damit brechen wir das Gespräch ab, das unendlich war und von Zeit zu Zeit von dem Refrain: Aber ich habe ihn nicht lieb -- dann nimm ihn also nicht -- unterbrochen wurde, bis sie darüber einschliefen.

Am andern Morgen war Herr von R. nicht am Frühstücktisch erschienen. Das Kind saß allein in der Stube, Therese war hinausgegangen, als er eintrat. Emma mit einem Sprunge auf und an die Thür.

Liebe Emma, sagte er ruhig, ich sehe, daß Ihnen der Papa gesagt hat, worüber ich ihm geschrieben. Damit ging er langsam auf sie zu, und das arme Kind hielt die Thürklinke mit beiden Händen ängstlich fest und konnte nicht los davon, wie ein Vogel an der Leimruthe.

Warum wollen Sie so rasch fort von hier, liebe Emma? redete er weiter. Sie brauchen ja nur Nein

Nein, Therese, niemals, ich schwöre dir, ich nehme ihn nicht!

Sie zog sie neben sich. Siehst du, es wird mir jetzt schon immer ganz übel bei den Rosenperlen und den Sandelholzkasten, wenn ich das nun mein ganzes Leben lang riechen sollte, das wäre gar nicht zu ertragen. Gieb mir einen guten Rath. Nicht wahr, Therese, wir nehmen ihn auf keinen Fall?

Liebes Kind, sagte sie (sie nannte Emma immer Kind), dazu kann ich nichts sagen. Wenn du ihn lieb hast, so nimm ihn, wenn du ihn nicht lieb hast, nimm ihn nicht. — Ich habe ihn aber nicht lieb. — Dann nimm ihn also nicht. — Damit brechen wir das Gespräch ab, das unendlich war und von Zeit zu Zeit von dem Refrain: Aber ich habe ihn nicht lieb — dann nimm ihn also nicht — unterbrochen wurde, bis sie darüber einschliefen.

Am andern Morgen war Herr von R. nicht am Frühstücktisch erschienen. Das Kind saß allein in der Stube, Therese war hinausgegangen, als er eintrat. Emma mit einem Sprunge auf und an die Thür.

Liebe Emma, sagte er ruhig, ich sehe, daß Ihnen der Papa gesagt hat, worüber ich ihm geschrieben. Damit ging er langsam auf sie zu, und das arme Kind hielt die Thürklinke mit beiden Händen ängstlich fest und konnte nicht los davon, wie ein Vogel an der Leimruthe.

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[0013] Nein, Therese, niemals, ich schwöre dir, ich nehme ihn nicht! Sie zog sie neben sich. Siehst du, es wird mir jetzt schon immer ganz übel bei den Rosenperlen und den Sandelholzkasten, wenn ich das nun mein ganzes Leben lang riechen sollte, das wäre gar nicht zu ertragen. Gieb mir einen guten Rath. Nicht wahr, Therese, wir nehmen ihn auf keinen Fall? Liebes Kind, sagte sie (sie nannte Emma immer Kind), dazu kann ich nichts sagen. Wenn du ihn lieb hast, so nimm ihn, wenn du ihn nicht lieb hast, nimm ihn nicht. — Ich habe ihn aber nicht lieb. — Dann nimm ihn also nicht. — Damit brechen wir das Gespräch ab, das unendlich war und von Zeit zu Zeit von dem Refrain: Aber ich habe ihn nicht lieb — dann nimm ihn also nicht — unterbrochen wurde, bis sie darüber einschliefen. Am andern Morgen war Herr von R. nicht am Frühstücktisch erschienen. Das Kind saß allein in der Stube, Therese war hinausgegangen, als er eintrat. Emma mit einem Sprunge auf und an die Thür. Liebe Emma, sagte er ruhig, ich sehe, daß Ihnen der Papa gesagt hat, worüber ich ihm geschrieben. Damit ging er langsam auf sie zu, und das arme Kind hielt die Thürklinke mit beiden Händen ängstlich fest und konnte nicht los davon, wie ein Vogel an der Leimruthe. Warum wollen Sie so rasch fort von hier, liebe Emma? redete er weiter. Sie brauchen ja nur Nein

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/13>, abgerufen am 20.04.2024.