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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Plötzlich sprang sie auf, nahm Leuchter und Brief und sagte, an der Thür stehend: Ich muß durchaus erst mit Therese sprechen! Gute Nacht, Papa; morgen werde ich dir das Nöthige mittheilen. Dies fügte sie mit einiger Gravität hinzu, um das Lachen zu unterdrücken, das wieder ganz vom schönen Kind Besitz genommen hatte; denn sie stand da, mehr wie ein Kind, dem beschert worden ist, als wie ein Mädchen, um dessen Hand ein Mann angehalten hat. Die Idee, Therese den Brief zu zeigen, erfüllte sie gänzlich, wie die Sonne einen Rosenbusch, und sie jagte durch die Zimmer hin, daß der Leuchter verlöschte und sie mit einem Donnerschlage gegen die Thür ins Zimmer stürzte.

Lies lies, lies! rief sie, entfaltete das Papier und hielt es ihrer Schwester hin. Lies! Dabei drehte sie sich drei Mal auf den Fußspitzen um und um, sprang zu gleichen Füßen auf den Sopha, kauerte sich in die Ecke und folgte athemlos mit den Augen denen ihrer Schwester, welche den Brief begierig durcheilte und dann mit einem Ausdruck zu Emma hintrat, der dieser plötzlich alles Blut aus den Wangen verjagte.

Himmel, Therese, du nimmst das wohl ernsthaft? -- Wie soll ich es denn anders nehmen? O, weißt du -- Das Kind sah mit seinen guten braunen Augen empor, sprang auf, fiel Theresen um den Hals und rief: Ich nehme ihn nicht, auf keinen, keinen Fall!

Plötzlich sprang sie auf, nahm Leuchter und Brief und sagte, an der Thür stehend: Ich muß durchaus erst mit Therese sprechen! Gute Nacht, Papa; morgen werde ich dir das Nöthige mittheilen. Dies fügte sie mit einiger Gravität hinzu, um das Lachen zu unterdrücken, das wieder ganz vom schönen Kind Besitz genommen hatte; denn sie stand da, mehr wie ein Kind, dem beschert worden ist, als wie ein Mädchen, um dessen Hand ein Mann angehalten hat. Die Idee, Therese den Brief zu zeigen, erfüllte sie gänzlich, wie die Sonne einen Rosenbusch, und sie jagte durch die Zimmer hin, daß der Leuchter verlöschte und sie mit einem Donnerschlage gegen die Thür ins Zimmer stürzte.

Lies lies, lies! rief sie, entfaltete das Papier und hielt es ihrer Schwester hin. Lies! Dabei drehte sie sich drei Mal auf den Fußspitzen um und um, sprang zu gleichen Füßen auf den Sopha, kauerte sich in die Ecke und folgte athemlos mit den Augen denen ihrer Schwester, welche den Brief begierig durcheilte und dann mit einem Ausdruck zu Emma hintrat, der dieser plötzlich alles Blut aus den Wangen verjagte.

Himmel, Therese, du nimmst das wohl ernsthaft? — Wie soll ich es denn anders nehmen? O, weißt du — Das Kind sah mit seinen guten braunen Augen empor, sprang auf, fiel Theresen um den Hals und rief: Ich nehme ihn nicht, auf keinen, keinen Fall!

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[0012] Plötzlich sprang sie auf, nahm Leuchter und Brief und sagte, an der Thür stehend: Ich muß durchaus erst mit Therese sprechen! Gute Nacht, Papa; morgen werde ich dir das Nöthige mittheilen. Dies fügte sie mit einiger Gravität hinzu, um das Lachen zu unterdrücken, das wieder ganz vom schönen Kind Besitz genommen hatte; denn sie stand da, mehr wie ein Kind, dem beschert worden ist, als wie ein Mädchen, um dessen Hand ein Mann angehalten hat. Die Idee, Therese den Brief zu zeigen, erfüllte sie gänzlich, wie die Sonne einen Rosenbusch, und sie jagte durch die Zimmer hin, daß der Leuchter verlöschte und sie mit einem Donnerschlage gegen die Thür ins Zimmer stürzte. Lies lies, lies! rief sie, entfaltete das Papier und hielt es ihrer Schwester hin. Lies! Dabei drehte sie sich drei Mal auf den Fußspitzen um und um, sprang zu gleichen Füßen auf den Sopha, kauerte sich in die Ecke und folgte athemlos mit den Augen denen ihrer Schwester, welche den Brief begierig durcheilte und dann mit einem Ausdruck zu Emma hintrat, der dieser plötzlich alles Blut aus den Wangen verjagte. Himmel, Therese, du nimmst das wohl ernsthaft? — Wie soll ich es denn anders nehmen? O, weißt du — Das Kind sah mit seinen guten braunen Augen empor, sprang auf, fiel Theresen um den Hals und rief: Ich nehme ihn nicht, auf keinen, keinen Fall!

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/12>, abgerufen am 25.04.2024.