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Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.

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In's Griechen-Meer Kronions Hand geschleudert,
An Asiens reicher, sonnenheller Küste,
All' überall, wo nur ein griech'scher Mund
Die heitre Göttersprache singend spricht,
Der Ruf mit Jubel zu den Sternen hebt?
Und bist du wirklich jene hohe Frau,
Wie fiel dein Auge denn auf einen Jüngling,
Der dunkel, ohne Nahmen, ohne Ruf,
Sich höhern Werths nicht rühmt, als diese Leyer,
Die man verehrt, weil du sie hast berührt.
Sappho.
Pfui doch! der argen, schlechtgestimmten Leyer!
Tönt sie, berührt, der eig'nen Herrinn Lob?
Phaon.
O, seit ich denke, seit die schwache Hand
Der Leyer Saiten selber schwankend prüfte,
Stand auch dein hohes Götterbild vor mir!
Wenn ich in der Geschwister frohem Kreise
An meiner Aeltern niederm Heerde saß,
Und nun Theano, meine gute Schwester,
Die Rolle von dem schwarzen Simse hohlte,
Ein Lied von dir, von Sappho uns zu sagen;
Wie schwiegen da die lauten Jünglinge,
Wie rückten da die Mädchen knapp zusammen,
Um ja kein Korn des Goldes zu verlieren.
Und wenn sie nun begann: vom schönen Jüngling,
Der Liebesgöttinn liebeglüh'nden Sang,
Die Klage einsam hingewachter Nacht,
In's Griechen-Meer Kronions Hand geſchleudert,
An Aſiens reicher, ſonnenheller Küſte,
All' überall, wo nur ein griech'ſcher Mund
Die heitre Götterſprache ſingend ſpricht,
Der Ruf mit Jubel zu den Sternen hebt?
Und biſt du wirklich jene hohe Frau,
Wie fiel dein Auge denn auf einen Jüngling,
Der dunkel, ohne Nahmen, ohne Ruf,
Sich höhern Werths nicht rühmt, als dieſe Leyer,
Die man verehrt, weil du ſie haſt berührt.
Sappho.
Pfui doch! der argen, ſchlechtgeſtimmten Leyer!
Tönt ſie, berührt, der eig'nen Herrinn Lob?
Phaon.
O, ſeit ich denke, ſeit die ſchwache Hand
Der Leyer Saiten ſelber ſchwankend prüfte,
Stand auch dein hohes Götterbild vor mir!
Wenn ich in der Geſchwiſter frohem Kreiſe
An meiner Aeltern niederm Heerde ſaß,
Und nun Theano, meine gute Schweſter,
Die Rolle von dem ſchwarzen Simſe hohlte,
Ein Lied von dir, von Sappho uns zu ſagen;
Wie ſchwiegen da die lauten Jünglinge,
Wie rückten da die Mädchen knapp zuſammen,
Um ja kein Korn des Goldes zu verlieren.
Und wenn ſie nun begann: vom ſchönen Jüngling,
Der Liebesgöttinn liebeglüh'nden Sang,
Die Klage einſam hingewachter Nacht,
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[12/0022] In's Griechen-Meer Kronions Hand geſchleudert, An Aſiens reicher, ſonnenheller Küſte, All' überall, wo nur ein griech'ſcher Mund Die heitre Götterſprache ſingend ſpricht, Der Ruf mit Jubel zu den Sternen hebt? Und biſt du wirklich jene hohe Frau, Wie fiel dein Auge denn auf einen Jüngling, Der dunkel, ohne Nahmen, ohne Ruf, Sich höhern Werths nicht rühmt, als dieſe Leyer, Die man verehrt, weil du ſie haſt berührt. Sappho. Pfui doch! der argen, ſchlechtgeſtimmten Leyer! Tönt ſie, berührt, der eig'nen Herrinn Lob? Phaon. O, ſeit ich denke, ſeit die ſchwache Hand Der Leyer Saiten ſelber ſchwankend prüfte, Stand auch dein hohes Götterbild vor mir! Wenn ich in der Geſchwiſter frohem Kreiſe An meiner Aeltern niederm Heerde ſaß, Und nun Theano, meine gute Schweſter, Die Rolle von dem ſchwarzen Simſe hohlte, Ein Lied von dir, von Sappho uns zu ſagen; Wie ſchwiegen da die lauten Jünglinge, Wie rückten da die Mädchen knapp zuſammen, Um ja kein Korn des Goldes zu verlieren. Und wenn ſie nun begann: vom ſchönen Jüngling, Der Liebesgöttinn liebeglüh'nden Sang, Die Klage einſam hingewachter Nacht,

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Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/22>, abgerufen am 29.03.2024.