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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Kleines und grosses Gehirn.
verschmolzenes Ganglion des N. opticus und olfactorius, das
kleine Gehirn ein ebensolches für den N. acusticus (und quintus)
darstellen. Man kann diese Bezeichnung "Ganglion" gelten lassen;
eine nähere Bestimmung desselben wird eben dahin führen, dass beide
Gehirne die innere Ausbreitung eines centralen, zum Theil eigenen
Nervensystems bilden, in welchen die unmittelbare Fortsetzung der
Rückenmarkstränge mit neuen Massen grauer Substanz, mit neuen,
weissen Fasersystemen, worunter namentlich die centralen Ausbreitun-
gen der Sinnesnerven, aufs innigste combinirt sind, welch letzteres
Verhältniss seine physiologische Bedeutung in dem grossen und wich-
tigen Antheile findet, den die centrale Sinnesthätigkeit an fast allen
unsern psychischen Thätigkeiten nimmt.

§. 10.

So sind im kleinen Gehirn Fortsätze aller drei Stränge in
dem innigen, kaum trennbaren Convolut von Markplatten enthalten,
welche den Kern des Cerebellum und dessen nächste Hüllen bilden,
und dieser Kern selbst ist (nach Foville) umgeben mit einer mem-
branösen Ausbreitung von Nervensubstanz, welche die Innenfläche der
grauen Rinde austapezirt und von Fortsätzen des N. acusticus und
quintus gebildet wird. Beide Nerven sollen auch noch Fortsätze in
die Faserlagen des Kerns selbst schicken, welche im Innern von
der grauen, gefranzten Membran des corpus rhomboideum aus-
gefüttert werden.

Im grossen Gehirn sind gleichfalls Fortsetzungen aller drei
Stränge so zusammengruppirt, dass die Vorder-Seitenparthieen, nach
aussen strahlend, von den erwähnten successiven ringartigen Bildun-
gen umfasst werden und am Ende auf der Höhe, in der Mitte der
Windungen in die graue Gehirnrinde eindringen (dort entspringen?).
Diese graue Rinde zeigt einen geschichteten Bau *); vier bis sechs
Lamellen grauer und weisser Substanz wechseln mit einander ab und
zahlreiche, theils verticale, theils horizontal gelagerte, weisse Pri-
mitivfasern, vielfach unter sich gekreuzt, helfen sie constituiren, deren
äusserste Lage mit der Oberfläche der Ventrikel continuirt. Die
pathologische Anatomie wird uns zeigen, dass die oberflächlichste
Schichte der grauen Rinde der grossen Hemisphären bei Irren sehr
häufig krankhaft verändert ist, dass eine bedeutende Decomposition

*) Vgl. Baillarger, recherches sur la couche corticale. Mem. de l'Acad. de
Med. VIII. 1840. p. 172 seqq. Remak, in Müller's Archiv, 1841.

Kleines und grosses Gehirn.
verschmolzenes Ganglion des N. opticus und olfactorius, das
kleine Gehirn ein ebensolches für den N. acusticus (und quintus)
darstellen. Man kann diese Bezeichnung „Ganglion“ gelten lassen;
eine nähere Bestimmung desselben wird eben dahin führen, dass beide
Gehirne die innere Ausbreitung eines centralen, zum Theil eigenen
Nervensystems bilden, in welchen die unmittelbare Fortsetzung der
Rückenmarkstränge mit neuen Massen grauer Substanz, mit neuen,
weissen Fasersystemen, worunter namentlich die centralen Ausbreitun-
gen der Sinnesnerven, aufs innigste combinirt sind, welch letzteres
Verhältniss seine physiologische Bedeutung in dem grossen und wich-
tigen Antheile findet, den die centrale Sinnesthätigkeit an fast allen
unsern psychischen Thätigkeiten nimmt.

§. 10.

So sind im kleinen Gehirn Fortsätze aller drei Stränge in
dem innigen, kaum trennbaren Convolut von Markplatten enthalten,
welche den Kern des Cerebellum und dessen nächste Hüllen bilden,
und dieser Kern selbst ist (nach Foville) umgeben mit einer mem-
branösen Ausbreitung von Nervensubstanz, welche die Innenfläche der
grauen Rinde austapezirt und von Fortsätzen des N. acusticus und
quintus gebildet wird. Beide Nerven sollen auch noch Fortsätze in
die Faserlagen des Kerns selbst schicken, welche im Innern von
der grauen, gefranzten Membran des corpus rhomboideum aus-
gefüttert werden.

Im grossen Gehirn sind gleichfalls Fortsetzungen aller drei
Stränge so zusammengruppirt, dass die Vorder-Seitenparthieen, nach
aussen strahlend, von den erwähnten successiven ringartigen Bildun-
gen umfasst werden und am Ende auf der Höhe, in der Mitte der
Windungen in die graue Gehirnrinde eindringen (dort entspringen?).
Diese graue Rinde zeigt einen geschichteten Bau *); vier bis sechs
Lamellen grauer und weisser Substanz wechseln mit einander ab und
zahlreiche, theils verticale, theils horizontal gelagerte, weisse Pri-
mitivfasern, vielfach unter sich gekreuzt, helfen sie constituiren, deren
äusserste Lage mit der Oberfläche der Ventrikel continuirt. Die
pathologische Anatomie wird uns zeigen, dass die oberflächlichste
Schichte der grauen Rinde der grossen Hemisphären bei Irren sehr
häufig krankhaft verändert ist, dass eine bedeutende Decomposition

*) Vgl. Baillarger, recherches sur la couche corticale. Mém. de l’Acad. de
Méd. VIII. 1840. p. 172 seqq. Remak, in Müller’s Archiv, 1841.
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[14/0028] Kleines und grosses Gehirn. verschmolzenes Ganglion des N. opticus und olfactorius, das kleine Gehirn ein ebensolches für den N. acusticus (und quintus) darstellen. Man kann diese Bezeichnung „Ganglion“ gelten lassen; eine nähere Bestimmung desselben wird eben dahin führen, dass beide Gehirne die innere Ausbreitung eines centralen, zum Theil eigenen Nervensystems bilden, in welchen die unmittelbare Fortsetzung der Rückenmarkstränge mit neuen Massen grauer Substanz, mit neuen, weissen Fasersystemen, worunter namentlich die centralen Ausbreitun- gen der Sinnesnerven, aufs innigste combinirt sind, welch letzteres Verhältniss seine physiologische Bedeutung in dem grossen und wich- tigen Antheile findet, den die centrale Sinnesthätigkeit an fast allen unsern psychischen Thätigkeiten nimmt. §. 10. So sind im kleinen Gehirn Fortsätze aller drei Stränge in dem innigen, kaum trennbaren Convolut von Markplatten enthalten, welche den Kern des Cerebellum und dessen nächste Hüllen bilden, und dieser Kern selbst ist (nach Foville) umgeben mit einer mem- branösen Ausbreitung von Nervensubstanz, welche die Innenfläche der grauen Rinde austapezirt und von Fortsätzen des N. acusticus und quintus gebildet wird. Beide Nerven sollen auch noch Fortsätze in die Faserlagen des Kerns selbst schicken, welche im Innern von der grauen, gefranzten Membran des corpus rhomboideum aus- gefüttert werden. Im grossen Gehirn sind gleichfalls Fortsetzungen aller drei Stränge so zusammengruppirt, dass die Vorder-Seitenparthieen, nach aussen strahlend, von den erwähnten successiven ringartigen Bildun- gen umfasst werden und am Ende auf der Höhe, in der Mitte der Windungen in die graue Gehirnrinde eindringen (dort entspringen?). Diese graue Rinde zeigt einen geschichteten Bau *); vier bis sechs Lamellen grauer und weisser Substanz wechseln mit einander ab und zahlreiche, theils verticale, theils horizontal gelagerte, weisse Pri- mitivfasern, vielfach unter sich gekreuzt, helfen sie constituiren, deren äusserste Lage mit der Oberfläche der Ventrikel continuirt. Die pathologische Anatomie wird uns zeigen, dass die oberflächlichste Schichte der grauen Rinde der grossen Hemisphären bei Irren sehr häufig krankhaft verändert ist, dass eine bedeutende Decomposition *) Vgl. Baillarger, recherches sur la couche corticale. Mém. de l’Acad. de Méd. VIII. 1840. p. 172 seqq. Remak, in Müller’s Archiv, 1841.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/28>, abgerufen am 18.04.2024.