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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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(Line Gesandtschaft Peters des Großen
in Hannover und Brmmschweig (^709--^0)

^'^^)
^^^)aß in der Zeit des Spanischen Erbfolgekriegs und des Nordischen
Kriegs ein Spezialgesandter des Zaren neun Monate lang in der
hannoverschen Residenz geweilt und mit dem Kurfürsten Georg
Ludwig und seinen Ministern Bernsdorff, Göritz und Andern ein-
! gehende Verhandlungen über ein Schutz- und Trutzbündnis gegen
Schweden, in Braunschweig aber mit Herzog Anton Ulrich über die Vermählung
der Prinzessin Charlotte Christine Sophie und des Zarewitsch Alexei verhandelt
hat, dürfte nicht Vielen bekannt sein. Die Aufmerksamkeit des Historikers wird
in jener Zeit durch den Niedergang des roi solsil und den Kampf der West¬
mächte sowie durch das Ringen Peters des Großen mit dem Schwedenkönig Karl
dein Zwölften so in Anspruch genommen, daß für die Berücksichtigung der
diplomatischen Verhandlungen, die sich damals weit mehr als heilte hinter den
Kulissen abspielten, nicht viel Raum übrig bleibt. So ist es denn ein günstiger
Zufall, daß uns über die erwähnte Gesandtschaft ein eingehender und interessanter
Bericht erhalten ist, der, von beteiligter Seite herrührend, den Schlüssel für
manche Zeitereignisse liefert. Kurakin, der Gesandte selbst, hat ausführliche Auf¬
zeichnungen hinterlassen, die im Märzheft des Russischen Archivs von S. Kedrow
zunächst der russischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Manches hiervon
hat Interesse für die deutsche Geschichte im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts
und besonders für Hannover und für Braunschweig.

Der russische Diplomat mißt die deutschen politischen Verhältnisse natürlich
mit besonderm Maßstabe; aber man wird zugeben, daß sein Urteil im allge¬
meinen objektiv, und daß das tatsächliche Material, das er liefert, zuverlässig
ist. So nimmt man denn auch einige Indiskretionen und Pedanterien des
Fürsten Kurakin mit in den Kauf, der mit bemerkenswerter Ausdauer und Hart¬
näckigkeit seine diplomatische Mission in Hannover und in Braunschweig zur
Befriedigung beider Teile zu Ende geführt hat.

Peter der Große suchte sich nach der siegreichen Schlacht bei Poltawa am
8. Juli 1709 über Karl den Zwölften auch in Westeuropa den Einfluß zu
sichern, den bis dahin sein starker Gegner gehabt hatte. Preußen, Polen und


Grenzboten III 1S0S 8


(Line Gesandtschaft Peters des Großen
in Hannover und Brmmschweig (^709—^0)

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^^^)aß in der Zeit des Spanischen Erbfolgekriegs und des Nordischen
Kriegs ein Spezialgesandter des Zaren neun Monate lang in der
hannoverschen Residenz geweilt und mit dem Kurfürsten Georg
Ludwig und seinen Ministern Bernsdorff, Göritz und Andern ein-
! gehende Verhandlungen über ein Schutz- und Trutzbündnis gegen
Schweden, in Braunschweig aber mit Herzog Anton Ulrich über die Vermählung
der Prinzessin Charlotte Christine Sophie und des Zarewitsch Alexei verhandelt
hat, dürfte nicht Vielen bekannt sein. Die Aufmerksamkeit des Historikers wird
in jener Zeit durch den Niedergang des roi solsil und den Kampf der West¬
mächte sowie durch das Ringen Peters des Großen mit dem Schwedenkönig Karl
dein Zwölften so in Anspruch genommen, daß für die Berücksichtigung der
diplomatischen Verhandlungen, die sich damals weit mehr als heilte hinter den
Kulissen abspielten, nicht viel Raum übrig bleibt. So ist es denn ein günstiger
Zufall, daß uns über die erwähnte Gesandtschaft ein eingehender und interessanter
Bericht erhalten ist, der, von beteiligter Seite herrührend, den Schlüssel für
manche Zeitereignisse liefert. Kurakin, der Gesandte selbst, hat ausführliche Auf¬
zeichnungen hinterlassen, die im Märzheft des Russischen Archivs von S. Kedrow
zunächst der russischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Manches hiervon
hat Interesse für die deutsche Geschichte im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts
und besonders für Hannover und für Braunschweig.

Der russische Diplomat mißt die deutschen politischen Verhältnisse natürlich
mit besonderm Maßstabe; aber man wird zugeben, daß sein Urteil im allge¬
meinen objektiv, und daß das tatsächliche Material, das er liefert, zuverlässig
ist. So nimmt man denn auch einige Indiskretionen und Pedanterien des
Fürsten Kurakin mit in den Kauf, der mit bemerkenswerter Ausdauer und Hart¬
näckigkeit seine diplomatische Mission in Hannover und in Braunschweig zur
Befriedigung beider Teile zu Ende geführt hat.

Peter der Große suchte sich nach der siegreichen Schlacht bei Poltawa am
8. Juli 1709 über Karl den Zwölften auch in Westeuropa den Einfluß zu
sichern, den bis dahin sein starker Gegner gehabt hatte. Preußen, Polen und


Grenzboten III 1S0S 8
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[0065] [Abbildung] (Line Gesandtschaft Peters des Großen in Hannover und Brmmschweig (^709—^0) ^'^^) ^^^)aß in der Zeit des Spanischen Erbfolgekriegs und des Nordischen Kriegs ein Spezialgesandter des Zaren neun Monate lang in der hannoverschen Residenz geweilt und mit dem Kurfürsten Georg Ludwig und seinen Ministern Bernsdorff, Göritz und Andern ein- ! gehende Verhandlungen über ein Schutz- und Trutzbündnis gegen Schweden, in Braunschweig aber mit Herzog Anton Ulrich über die Vermählung der Prinzessin Charlotte Christine Sophie und des Zarewitsch Alexei verhandelt hat, dürfte nicht Vielen bekannt sein. Die Aufmerksamkeit des Historikers wird in jener Zeit durch den Niedergang des roi solsil und den Kampf der West¬ mächte sowie durch das Ringen Peters des Großen mit dem Schwedenkönig Karl dein Zwölften so in Anspruch genommen, daß für die Berücksichtigung der diplomatischen Verhandlungen, die sich damals weit mehr als heilte hinter den Kulissen abspielten, nicht viel Raum übrig bleibt. So ist es denn ein günstiger Zufall, daß uns über die erwähnte Gesandtschaft ein eingehender und interessanter Bericht erhalten ist, der, von beteiligter Seite herrührend, den Schlüssel für manche Zeitereignisse liefert. Kurakin, der Gesandte selbst, hat ausführliche Auf¬ zeichnungen hinterlassen, die im Märzheft des Russischen Archivs von S. Kedrow zunächst der russischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Manches hiervon hat Interesse für die deutsche Geschichte im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts und besonders für Hannover und für Braunschweig. Der russische Diplomat mißt die deutschen politischen Verhältnisse natürlich mit besonderm Maßstabe; aber man wird zugeben, daß sein Urteil im allge¬ meinen objektiv, und daß das tatsächliche Material, das er liefert, zuverlässig ist. So nimmt man denn auch einige Indiskretionen und Pedanterien des Fürsten Kurakin mit in den Kauf, der mit bemerkenswerter Ausdauer und Hart¬ näckigkeit seine diplomatische Mission in Hannover und in Braunschweig zur Befriedigung beider Teile zu Ende geführt hat. Peter der Große suchte sich nach der siegreichen Schlacht bei Poltawa am 8. Juli 1709 über Karl den Zwölften auch in Westeuropa den Einfluß zu sichern, den bis dahin sein starker Gegner gehabt hatte. Preußen, Polen und Grenzboten III 1S0S 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/65>, abgerufen am 27.09.2024.