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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

äußern Eindrücken und von unsrer Reaktion auf diese. Und das ist keine
Folge des Sündenfalls, sondern das Seelenleben, wie es Gott geschaffen hat;
ein andres vermögen wir uns gar nicht vorzustellen. Nicht daß die Herren
am französischen Hofe ohne Aufregung und Zerstreuung nicht leben konnten,
verdient Tadel, sondern nur, daß sie keine nützlichere Beschäftigung übten als
Jagd, Tanz, Ballspiel, Liebschaften, Klatsch und Ränke, doch war auch dieses
noch besser, als ununterbrochne Beschäftigung mit dem eignen Ich gewesen
sein würde, denn diese kann, nachdem die Erinnerungen an frühere Tätigkeiten
aufgebraucht sind, nichts andres sein als stupides Anstarren eines Nichts.

Nicht allein Pascal und die Männer von Port Royal sind den Jesuiten
unterlegen, sondern auch die altkatholischen Erneuerer ihres Kampfes. Man
würde aber irren, wenn man diesen Kampf für unfruchtbar und eitel hielte.
Luther, der seinen eigentümlichen, für keinen zweiten gangbaren Weg zu Gott
gefunden hatte und trotzdem auch den Massen ihren Weg zu bereiten ver¬
mochte durch ein dem Bedürfnis seiner Volksgenossen angemessenes neues
Kirchenwesen, ist einzig in seiner Art. Die kleinern unter den innerlichen
Geistern, die innerhalb der katholischen Kirche von Zeit zu Zeit reformieren,
bringen es zu keiner neuen Kirchengründung, aber ohne sie würde das zwar
für die Masse notwendige, doch eben darum rohe und äußerliche Christentum
den christlichen Geist ganz ersticken, unter eifriger Beihilfe der Priesterschaft,
die nur durch Nachgiebigkeit gegen die Wünsche und Neigungen der Masse
ihre Herrschaft behaupten kann. Wenn solche innerliche Geister bei ihrer
Neformtätigkeit in Übertreibungen verfallen und sich in Widersprüche verwickeln,
s L. I. o erfüllt sich an ihnen nur das allgemeine Menschenschicksal.




Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
Robert Thomas Lebenserinnerungen von
(Fortsetzung)

inzwischen war die Zeit des Apoldaer Schützenfestes wieder heran¬
gekommen, und als ich eines Tags in der Nähe des Schützeiiplatzes
zu tun hatte, wo gerade die Plätze versteigert wurden, traf ich meinen
ehemaligen Prinzipal Peter Böhme sowie den frühern Tierbändiger
! Webelhorst, der jetzt Geschäftsführer bei Kitzmanns war. Ich er-
I kündigte mich, ob Kitzmann auch nach Avolda komme, hörte aber, daß
dies nicht der Fall sei, da der Platz zu teuer wäre, dagegen würden sie auf alle
Fälle nach Weimar kommen. Ich beschloß deshalb, mit meiner Frau nach Weimar
hinüberzufahren, um meine ehemalige Herrschaft zu besuchen, wurde mit offnen
Armen empfangen und auf das beste bewirtet. Man sagte mir, daß ich zu jeder
Stunde wieder eintreten könnte, und wollte mich bereden, dies sofort zu tun. Am
nächsten Sonntag fuhr ich noch einmal hin, und auch da ließen sie nicht ab, mich
zum Wiedereintritt aufzufordern. Da die Jahreszeit schon weit vorgerückt war,
lehnte ich ab, deutete jedoch an, daß ich mich ihnen im nächsten Frühjahr wieder
anschließen werde.


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

äußern Eindrücken und von unsrer Reaktion auf diese. Und das ist keine
Folge des Sündenfalls, sondern das Seelenleben, wie es Gott geschaffen hat;
ein andres vermögen wir uns gar nicht vorzustellen. Nicht daß die Herren
am französischen Hofe ohne Aufregung und Zerstreuung nicht leben konnten,
verdient Tadel, sondern nur, daß sie keine nützlichere Beschäftigung übten als
Jagd, Tanz, Ballspiel, Liebschaften, Klatsch und Ränke, doch war auch dieses
noch besser, als ununterbrochne Beschäftigung mit dem eignen Ich gewesen
sein würde, denn diese kann, nachdem die Erinnerungen an frühere Tätigkeiten
aufgebraucht sind, nichts andres sein als stupides Anstarren eines Nichts.

Nicht allein Pascal und die Männer von Port Royal sind den Jesuiten
unterlegen, sondern auch die altkatholischen Erneuerer ihres Kampfes. Man
würde aber irren, wenn man diesen Kampf für unfruchtbar und eitel hielte.
Luther, der seinen eigentümlichen, für keinen zweiten gangbaren Weg zu Gott
gefunden hatte und trotzdem auch den Massen ihren Weg zu bereiten ver¬
mochte durch ein dem Bedürfnis seiner Volksgenossen angemessenes neues
Kirchenwesen, ist einzig in seiner Art. Die kleinern unter den innerlichen
Geistern, die innerhalb der katholischen Kirche von Zeit zu Zeit reformieren,
bringen es zu keiner neuen Kirchengründung, aber ohne sie würde das zwar
für die Masse notwendige, doch eben darum rohe und äußerliche Christentum
den christlichen Geist ganz ersticken, unter eifriger Beihilfe der Priesterschaft,
die nur durch Nachgiebigkeit gegen die Wünsche und Neigungen der Masse
ihre Herrschaft behaupten kann. Wenn solche innerliche Geister bei ihrer
Neformtätigkeit in Übertreibungen verfallen und sich in Widersprüche verwickeln,
s L. I. o erfüllt sich an ihnen nur das allgemeine Menschenschicksal.




Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
Robert Thomas Lebenserinnerungen von
(Fortsetzung)

inzwischen war die Zeit des Apoldaer Schützenfestes wieder heran¬
gekommen, und als ich eines Tags in der Nähe des Schützeiiplatzes
zu tun hatte, wo gerade die Plätze versteigert wurden, traf ich meinen
ehemaligen Prinzipal Peter Böhme sowie den frühern Tierbändiger
! Webelhorst, der jetzt Geschäftsführer bei Kitzmanns war. Ich er-
I kündigte mich, ob Kitzmann auch nach Avolda komme, hörte aber, daß
dies nicht der Fall sei, da der Platz zu teuer wäre, dagegen würden sie auf alle
Fälle nach Weimar kommen. Ich beschloß deshalb, mit meiner Frau nach Weimar
hinüberzufahren, um meine ehemalige Herrschaft zu besuchen, wurde mit offnen
Armen empfangen und auf das beste bewirtet. Man sagte mir, daß ich zu jeder
Stunde wieder eintreten könnte, und wollte mich bereden, dies sofort zu tun. Am
nächsten Sonntag fuhr ich noch einmal hin, und auch da ließen sie nicht ab, mich
zum Wiedereintritt aufzufordern. Da die Jahreszeit schon weit vorgerückt war,
lehnte ich ab, deutete jedoch an, daß ich mich ihnen im nächsten Frühjahr wieder
anschließen werde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/612>, abgerufen am 27.09.2024.