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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Über Manöver

le Zeit der großen Herbstübungen unsrer Truppen ist wieder
herangekommen, und militärische Betrachtungen aller Art finden
sich in den Tageszeitungen, oft von berufnen, leider aber auch
sehr oft von gänzlich unberufner Leuten geschrieben. Und die
Unberufnen verschulden manches falsche Urteil über den Wert
und den Zweck militärischer Einrichtungen im Publikum, das sich ja bei uns
glücklicherweise immer noch sehr lebhaft für das Heer und seine Tätigkeit
interessiert. Manche Anschauungen, die in den letzten Jahren geradezu zum
Axiom geworden sind, verdanken ihre Entstehung solchen unüberlegten Zeitungs¬
artikeln und sind trotz allen Aufklärungen und aller Mühe, die sich sachver¬
ständige Redner im Reichstage und anderswo geben, kaum zu beseitigen. Man
denke zum Beispiel nur an die abfällige Beurteilung, die die großen Kavalleric-
attacken jedes Jahr von neuem finden, und die jedes Jahr bei der Beratung
des Militäretats den Rednern der Linken willkommnen Anlaß zu Angriffen
auf die Heeresleitung bieten. Von ihrer Berechtigung werden wir später noch
sprechen. Dieser Aufsatz soll den Zweck haben, soweit es in Kürze möglich
ist, die Leser auf die Unterschiede zwischen Krieg und Manöver hinzuweisen
und den Blick des Laienpublikums für das zu schärfen, was man aus dem
Manöver sehen und lernen kann und was nicht/") Denn das Manöver ist kein
Krieg, es ist nur eine schulmäßige Übung, die allerdings unter Voraussetzungen
abgehalten wird, die den Verhältnissen des Krieges so nahe kommen sollen,
als es der Friede und der Zweck der Übung irgendwie zulassen. Der Friede
macht mehr Einschränkungen nötig und stellt an die Phantasie des Mitwirkenden
und des Zuschauers, der aus dem Manöver lernen will, größere Anforderungen,
als man auf den ersten Blick wohl glauben möchte.

Zunächst fällt im Manöver alles das weg, was Clausewitz die "mora¬
lischen Elemente" des Krieges nennt: alle die unübersehbaren Folgen der
Nervenanspannung, die in dem gemeinen Soldaten durch die fortwährende
Gefahr und in dem höhern Führer durch die schwere Verantwortung geweckt
wird. Aber nicht nur dieser Umstand bringt die Unterschiede zwischen Manöver
und Krieg zuwege. In nicht weniger hohem Maße nötigen die Kosten solcher
Übungen, die "Kriegsmäßigkeit" einzuschränken. Die Einschränkungen äußern
sich in der Art, wie die Truppen untergebracht werden in der kurzen Dauer
der Übungen, die dazu nötigt, alle Entwicklungen zeitlich bedeutend zusammen-



Vor kurzem ist bei Mittler in Berlin ein Büchlein erschienen: Das Manöver, ein
Ratgeber für jedermann. Von Hauptmann Grafen Brockdorff. Das Buch enthält Erklärungen
von Signalen, militärischen Gebräuchen und Bestimmungen usw. und ist ein wertvoller Führer
für zivilistische Manöverbesucher.


Über Manöver

le Zeit der großen Herbstübungen unsrer Truppen ist wieder
herangekommen, und militärische Betrachtungen aller Art finden
sich in den Tageszeitungen, oft von berufnen, leider aber auch
sehr oft von gänzlich unberufner Leuten geschrieben. Und die
Unberufnen verschulden manches falsche Urteil über den Wert
und den Zweck militärischer Einrichtungen im Publikum, das sich ja bei uns
glücklicherweise immer noch sehr lebhaft für das Heer und seine Tätigkeit
interessiert. Manche Anschauungen, die in den letzten Jahren geradezu zum
Axiom geworden sind, verdanken ihre Entstehung solchen unüberlegten Zeitungs¬
artikeln und sind trotz allen Aufklärungen und aller Mühe, die sich sachver¬
ständige Redner im Reichstage und anderswo geben, kaum zu beseitigen. Man
denke zum Beispiel nur an die abfällige Beurteilung, die die großen Kavalleric-
attacken jedes Jahr von neuem finden, und die jedes Jahr bei der Beratung
des Militäretats den Rednern der Linken willkommnen Anlaß zu Angriffen
auf die Heeresleitung bieten. Von ihrer Berechtigung werden wir später noch
sprechen. Dieser Aufsatz soll den Zweck haben, soweit es in Kürze möglich
ist, die Leser auf die Unterschiede zwischen Krieg und Manöver hinzuweisen
und den Blick des Laienpublikums für das zu schärfen, was man aus dem
Manöver sehen und lernen kann und was nicht/") Denn das Manöver ist kein
Krieg, es ist nur eine schulmäßige Übung, die allerdings unter Voraussetzungen
abgehalten wird, die den Verhältnissen des Krieges so nahe kommen sollen,
als es der Friede und der Zweck der Übung irgendwie zulassen. Der Friede
macht mehr Einschränkungen nötig und stellt an die Phantasie des Mitwirkenden
und des Zuschauers, der aus dem Manöver lernen will, größere Anforderungen,
als man auf den ersten Blick wohl glauben möchte.

Zunächst fällt im Manöver alles das weg, was Clausewitz die „mora¬
lischen Elemente" des Krieges nennt: alle die unübersehbaren Folgen der
Nervenanspannung, die in dem gemeinen Soldaten durch die fortwährende
Gefahr und in dem höhern Führer durch die schwere Verantwortung geweckt
wird. Aber nicht nur dieser Umstand bringt die Unterschiede zwischen Manöver
und Krieg zuwege. In nicht weniger hohem Maße nötigen die Kosten solcher
Übungen, die „Kriegsmäßigkeit" einzuschränken. Die Einschränkungen äußern
sich in der Art, wie die Truppen untergebracht werden in der kurzen Dauer
der Übungen, die dazu nötigt, alle Entwicklungen zeitlich bedeutend zusammen-



Vor kurzem ist bei Mittler in Berlin ein Büchlein erschienen: Das Manöver, ein
Ratgeber für jedermann. Von Hauptmann Grafen Brockdorff. Das Buch enthält Erklärungen
von Signalen, militärischen Gebräuchen und Bestimmungen usw. und ist ein wertvoller Führer
für zivilistische Manöverbesucher.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/596>, abgerufen am 27.09.2024.