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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Mit dem Zeitpunkt dieses Ereignisses beschäftigt sich der Verfasser mehrfach.
Auf Seite 132 begnügt er sich noch mit dem nach Form und Inhalt gleich merk¬
würdigen Satze: "Der Zeitpunkt des Eintritts des russischen Staatsbankrotts kann
früher oder später erfolgen." Schon in den ersten Reihen der nächsten Seite er¬
scheint es dem Verfasser "leichter an das Eintreten eines Wunders zu glauben als
daran, daß der russische Staatsbankrott noch zwanzig Jahre auf sich warten läßt."
Auf Seite 241 hat sich aber der Verfasser schon zu der Erkenntnis durchgerungen:
"Inmitten der fortschreitenden Revolution wird vielleicht schon in fünf, spätestens
in fünfzehn Jahren der russische Staatsbankrott erklärt werden." Der Satz ist
wegen der großen Bedeutung, die ihm der Verfasser augenscheinlich beilegt, gesperrt
gedruckt. spätestens in fünfzehn Jahren also! Über die segensreichen Wirkungen
dieses Ereignisses für Rußland findet sich auf Seite 245 und 246 eine phantasie¬
volle Schilderung.

Soweit das Tatsachenmaterial aus dem Buche, das mit Leichtigkeit vermehrt
werden könnte. Wie angesichts solchen Stoffes eine der ersten Berliner Verlags¬
buchhandlungen (Karl Heymanns Verlag) in ihrem Ankündigungsschreiben dem
Buche den Stempel der "strengen Wissenschaftlichkeit" aufdrücken kann, ist uns rein
unbegreiflich. Ebenso unbegreiflich ist es, wie in demselben Schreiben das Buch
als "russenfreundlich" bezeichnet werden kann. Wer meine Bekannten öffentlich
warnt, mir fernerhin Kredit zu geben, kann wahrlich nicht mein Freund genannt
werden! Wenn das Martinsche Druckwerk das Prädikat eines streng wissenschaft¬
lichen Buches verdient, wie es ihm der Verleger nachrühmt, dann ist es wahrlich
schlecht bestellt um die sonst mit Recht in der ganzen Welt anerkannte deutsche
Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit!


Goethianci.

In Familienpapieren finde ich eine Mitteilung von Berthold
Niebuhrs Hand, die er für seine Schwägerin Dore Henseler aufgezeichnet hat. Sie
lautet wie folgt: "In Weimar besteht eine, vermuthlich stark mit Ausländern ge¬
mischte belletristische Societät, deren Koryphäe der berüchtigte Wilh. Döring ist.*)
Lebhaft interessiert darin ist auch Goethes Schwiegertochter, welche in ärgerlichen
Verhältnissen mit dortigen Engländern lebt. Man macht da Verse, und aus¬
ländische. Die Schwiegertochter ist den alten Dichter angegangen, er solle doch
auch beisteuern; da hat er folgendes geschrieben was schwerlich gedruckt wird und
so vortrefflich ist, daß ich es dir abschreibe":

[Beginn Spaltensatz] (1) Brittisch, Gallisch und Italisch,
Daran scheint es nicht zu fehlen;
Müßt ich etwas kamtschcidalisch,
Möcht ich wirksam mich empfehlen.
Ach ich freute mich zu Tode
Könnt ich Türkisch radebrechen:
Aber Deutsch ist aus der Mode,
Und ich weiß nur Deutsch zu sprechen. (2) Geduld! Verlaß dich auf mein Wort,
Gar Vieles ändert sich auf Erden;
Und geht's nur so ein Weilchen fort,
Wird bald das Deutsche hier am Ort
Als fremde Sprache Mode werden. [Spaltenumbruch] (3) Vom Baume fällt das letzte Blatt,
Die Flur deckt hohen Schneees Lage;
Die Schlitten klingeln durch die Stadt;
Man sieht, es nahm die Weihnachtstage.
Doch trittst du zum Salon herein
Und hörst beim Thee und süßen Wein
Zehn Sprachen durcheinander schrein.
So zweifelst du nicht im Geringsten,
Wie draußen Weihnacht, ist hier Pfingsten. (4) Manches läßt die Zeit uns sehen.
Was uns einst gedünkt als Fabel:
Sonst hieß Weimar, Deutsch-Athen,
Jetzo heißt's, das Deutsche Babel. [Ende Spaltensatz]


*) Der Kirchen- und Schulrat Friedrich Wilhelm Döring kann mit diesem berüchtigten
Namensvetter nicht gemeint sein. Vgl. über ihn Fr. Jacobs Jenaische Allgemeine Literatur-
Zeitung 1838. Intelligenzblatt Ur. 3. 4. Er war von 1786 bis 1832 Direktor des Gym¬
nasiums in Gotha und starb daselbst 1837. Der Verfasser der Biographien der Weimarschen
Dichtergrößen hieß Heinrich Döring. Sonst habe ich keinen gleichnamigen Mann gefunden, der in
Betracht käme.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Mit dem Zeitpunkt dieses Ereignisses beschäftigt sich der Verfasser mehrfach.
Auf Seite 132 begnügt er sich noch mit dem nach Form und Inhalt gleich merk¬
würdigen Satze: „Der Zeitpunkt des Eintritts des russischen Staatsbankrotts kann
früher oder später erfolgen." Schon in den ersten Reihen der nächsten Seite er¬
scheint es dem Verfasser „leichter an das Eintreten eines Wunders zu glauben als
daran, daß der russische Staatsbankrott noch zwanzig Jahre auf sich warten läßt."
Auf Seite 241 hat sich aber der Verfasser schon zu der Erkenntnis durchgerungen:
„Inmitten der fortschreitenden Revolution wird vielleicht schon in fünf, spätestens
in fünfzehn Jahren der russische Staatsbankrott erklärt werden." Der Satz ist
wegen der großen Bedeutung, die ihm der Verfasser augenscheinlich beilegt, gesperrt
gedruckt. spätestens in fünfzehn Jahren also! Über die segensreichen Wirkungen
dieses Ereignisses für Rußland findet sich auf Seite 245 und 246 eine phantasie¬
volle Schilderung.

Soweit das Tatsachenmaterial aus dem Buche, das mit Leichtigkeit vermehrt
werden könnte. Wie angesichts solchen Stoffes eine der ersten Berliner Verlags¬
buchhandlungen (Karl Heymanns Verlag) in ihrem Ankündigungsschreiben dem
Buche den Stempel der „strengen Wissenschaftlichkeit" aufdrücken kann, ist uns rein
unbegreiflich. Ebenso unbegreiflich ist es, wie in demselben Schreiben das Buch
als „russenfreundlich" bezeichnet werden kann. Wer meine Bekannten öffentlich
warnt, mir fernerhin Kredit zu geben, kann wahrlich nicht mein Freund genannt
werden! Wenn das Martinsche Druckwerk das Prädikat eines streng wissenschaft¬
lichen Buches verdient, wie es ihm der Verleger nachrühmt, dann ist es wahrlich
schlecht bestellt um die sonst mit Recht in der ganzen Welt anerkannte deutsche
Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit!


Goethianci.

In Familienpapieren finde ich eine Mitteilung von Berthold
Niebuhrs Hand, die er für seine Schwägerin Dore Henseler aufgezeichnet hat. Sie
lautet wie folgt: „In Weimar besteht eine, vermuthlich stark mit Ausländern ge¬
mischte belletristische Societät, deren Koryphäe der berüchtigte Wilh. Döring ist.*)
Lebhaft interessiert darin ist auch Goethes Schwiegertochter, welche in ärgerlichen
Verhältnissen mit dortigen Engländern lebt. Man macht da Verse, und aus¬
ländische. Die Schwiegertochter ist den alten Dichter angegangen, er solle doch
auch beisteuern; da hat er folgendes geschrieben was schwerlich gedruckt wird und
so vortrefflich ist, daß ich es dir abschreibe":

[Beginn Spaltensatz] (1) Brittisch, Gallisch und Italisch,
Daran scheint es nicht zu fehlen;
Müßt ich etwas kamtschcidalisch,
Möcht ich wirksam mich empfehlen.
Ach ich freute mich zu Tode
Könnt ich Türkisch radebrechen:
Aber Deutsch ist aus der Mode,
Und ich weiß nur Deutsch zu sprechen. (2) Geduld! Verlaß dich auf mein Wort,
Gar Vieles ändert sich auf Erden;
Und geht's nur so ein Weilchen fort,
Wird bald das Deutsche hier am Ort
Als fremde Sprache Mode werden. [Spaltenumbruch] (3) Vom Baume fällt das letzte Blatt,
Die Flur deckt hohen Schneees Lage;
Die Schlitten klingeln durch die Stadt;
Man sieht, es nahm die Weihnachtstage.
Doch trittst du zum Salon herein
Und hörst beim Thee und süßen Wein
Zehn Sprachen durcheinander schrein.
So zweifelst du nicht im Geringsten,
Wie draußen Weihnacht, ist hier Pfingsten. (4) Manches läßt die Zeit uns sehen.
Was uns einst gedünkt als Fabel:
Sonst hieß Weimar, Deutsch-Athen,
Jetzo heißt's, das Deutsche Babel. [Ende Spaltensatz]


*) Der Kirchen- und Schulrat Friedrich Wilhelm Döring kann mit diesem berüchtigten
Namensvetter nicht gemeint sein. Vgl. über ihn Fr. Jacobs Jenaische Allgemeine Literatur-
Zeitung 1838. Intelligenzblatt Ur. 3. 4. Er war von 1786 bis 1832 Direktor des Gym¬
nasiums in Gotha und starb daselbst 1837. Der Verfasser der Biographien der Weimarschen
Dichtergrößen hieß Heinrich Döring. Sonst habe ich keinen gleichnamigen Mann gefunden, der in
Betracht käme.
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[0574] Maßgebliches und Unmaßgebliches Mit dem Zeitpunkt dieses Ereignisses beschäftigt sich der Verfasser mehrfach. Auf Seite 132 begnügt er sich noch mit dem nach Form und Inhalt gleich merk¬ würdigen Satze: „Der Zeitpunkt des Eintritts des russischen Staatsbankrotts kann früher oder später erfolgen." Schon in den ersten Reihen der nächsten Seite er¬ scheint es dem Verfasser „leichter an das Eintreten eines Wunders zu glauben als daran, daß der russische Staatsbankrott noch zwanzig Jahre auf sich warten läßt." Auf Seite 241 hat sich aber der Verfasser schon zu der Erkenntnis durchgerungen: „Inmitten der fortschreitenden Revolution wird vielleicht schon in fünf, spätestens in fünfzehn Jahren der russische Staatsbankrott erklärt werden." Der Satz ist wegen der großen Bedeutung, die ihm der Verfasser augenscheinlich beilegt, gesperrt gedruckt. spätestens in fünfzehn Jahren also! Über die segensreichen Wirkungen dieses Ereignisses für Rußland findet sich auf Seite 245 und 246 eine phantasie¬ volle Schilderung. Soweit das Tatsachenmaterial aus dem Buche, das mit Leichtigkeit vermehrt werden könnte. Wie angesichts solchen Stoffes eine der ersten Berliner Verlags¬ buchhandlungen (Karl Heymanns Verlag) in ihrem Ankündigungsschreiben dem Buche den Stempel der „strengen Wissenschaftlichkeit" aufdrücken kann, ist uns rein unbegreiflich. Ebenso unbegreiflich ist es, wie in demselben Schreiben das Buch als „russenfreundlich" bezeichnet werden kann. Wer meine Bekannten öffentlich warnt, mir fernerhin Kredit zu geben, kann wahrlich nicht mein Freund genannt werden! Wenn das Martinsche Druckwerk das Prädikat eines streng wissenschaft¬ lichen Buches verdient, wie es ihm der Verleger nachrühmt, dann ist es wahrlich schlecht bestellt um die sonst mit Recht in der ganzen Welt anerkannte deutsche Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit! Goethianci. In Familienpapieren finde ich eine Mitteilung von Berthold Niebuhrs Hand, die er für seine Schwägerin Dore Henseler aufgezeichnet hat. Sie lautet wie folgt: „In Weimar besteht eine, vermuthlich stark mit Ausländern ge¬ mischte belletristische Societät, deren Koryphäe der berüchtigte Wilh. Döring ist.*) Lebhaft interessiert darin ist auch Goethes Schwiegertochter, welche in ärgerlichen Verhältnissen mit dortigen Engländern lebt. Man macht da Verse, und aus¬ ländische. Die Schwiegertochter ist den alten Dichter angegangen, er solle doch auch beisteuern; da hat er folgendes geschrieben was schwerlich gedruckt wird und so vortrefflich ist, daß ich es dir abschreibe": (1) Brittisch, Gallisch und Italisch, Daran scheint es nicht zu fehlen; Müßt ich etwas kamtschcidalisch, Möcht ich wirksam mich empfehlen. Ach ich freute mich zu Tode Könnt ich Türkisch radebrechen: Aber Deutsch ist aus der Mode, Und ich weiß nur Deutsch zu sprechen. (2) Geduld! Verlaß dich auf mein Wort, Gar Vieles ändert sich auf Erden; Und geht's nur so ein Weilchen fort, Wird bald das Deutsche hier am Ort Als fremde Sprache Mode werden. (3) Vom Baume fällt das letzte Blatt, Die Flur deckt hohen Schneees Lage; Die Schlitten klingeln durch die Stadt; Man sieht, es nahm die Weihnachtstage. Doch trittst du zum Salon herein Und hörst beim Thee und süßen Wein Zehn Sprachen durcheinander schrein. So zweifelst du nicht im Geringsten, Wie draußen Weihnacht, ist hier Pfingsten. (4) Manches läßt die Zeit uns sehen. Was uns einst gedünkt als Fabel: Sonst hieß Weimar, Deutsch-Athen, Jetzo heißt's, das Deutsche Babel. *) Der Kirchen- und Schulrat Friedrich Wilhelm Döring kann mit diesem berüchtigten Namensvetter nicht gemeint sein. Vgl. über ihn Fr. Jacobs Jenaische Allgemeine Literatur- Zeitung 1838. Intelligenzblatt Ur. 3. 4. Er war von 1786 bis 1832 Direktor des Gym¬ nasiums in Gotha und starb daselbst 1837. Der Verfasser der Biographien der Weimarschen Dichtergrößen hieß Heinrich Döring. Sonst habe ich keinen gleichnamigen Mann gefunden, der in Betracht käme.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/574>, abgerufen am 27.09.2024.