Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ein fehlerhaftes Zitat Bismarcks.

Vor einiger Zeit machte ein ans
Frankfurt datierter Brief Bismarcks -- wars an seine Frau oder an seine
Schwester? -- die Runde durch die Zeitungen, worin sich der Schreiber gelegent¬
lich als "der Zeit hinfälligen Sohn" bezeichnet. Das Beiwort mag auch ein
andres, sinnverwandtes sein, für den Zweck dieser Zeilen ist das gleichgiltig. Jeden¬
falls ist der wunderliche, einigermaßen fragwürdige Ausdruck eine Reminiszenz aus
Shakespeares Heinrich dem Achten, wo Akt 3, Szene 2 der Kardinal Wolsey zum
Kö'"g sWt

^
Für ihr Erhalten eine Zeit, die leider
Ich, ihr Hinfällger Sohn, ihr pflichten muß
Wie jeder Sterbliche.

(>VacI natui'ö äov" rvquirs
Hör tiruss oj pi'Lsoi'vstion, vvlucu psi'loi'vo
I, luzr kiAÜ son, suvoiig'se in^ brstlii'SQ ani'tÄ
UllSt WVö luz? tsriÄsnov.)

:

Man sieht, der Ausdruck des Briefes stimmt zu dem vorstehenden Text, aber die
Stelle ist offenbar mißverstanden: Wolsey nennt sich natürlich nicht den hinfälligen
Sohn der Zeit, sondern der Natur, deren Erhaltung jeder Sterbliche einen Teil
seiner Zeit opfern muß. Bismarck aber hat, was bei flüchtigem Lesen der Verse
passieren kann, das Pronomen ihr auf das nächststehende Hauptwort bezogen.
Immerhin ist das Zitat aus einem Drama, das nicht gerade zu den allgemein
bekannten Stücken Shakespeares gehört, ein neues Zeugnis für Bismarcks Belesen¬
heit und Gedächtnis.


F. Runtze


Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Weib. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig


Wer Gdot Konfeqncnt
täglich vorschriftsmäßig
a"we"det, libe die "ach
den" ""euttgen Stande
der Wissenschaft denn-
dar beste Dalin- und
Mnndvfl-s- ans.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ein fehlerhaftes Zitat Bismarcks.

Vor einiger Zeit machte ein ans
Frankfurt datierter Brief Bismarcks — wars an seine Frau oder an seine
Schwester? — die Runde durch die Zeitungen, worin sich der Schreiber gelegent¬
lich als „der Zeit hinfälligen Sohn" bezeichnet. Das Beiwort mag auch ein
andres, sinnverwandtes sein, für den Zweck dieser Zeilen ist das gleichgiltig. Jeden¬
falls ist der wunderliche, einigermaßen fragwürdige Ausdruck eine Reminiszenz aus
Shakespeares Heinrich dem Achten, wo Akt 3, Szene 2 der Kardinal Wolsey zum
Kö'"g sWt

^
Für ihr Erhalten eine Zeit, die leider
Ich, ihr Hinfällger Sohn, ihr pflichten muß
Wie jeder Sterbliche.

(>VacI natui'ö äov» rvquirs
Hör tiruss oj pi'Lsoi'vstion, vvlucu psi'loi'vo
I, luzr kiAÜ son, suvoiig'se in^ brstlii'SQ ani'tÄ
UllSt WVö luz? tsriÄsnov.)

:

Man sieht, der Ausdruck des Briefes stimmt zu dem vorstehenden Text, aber die
Stelle ist offenbar mißverstanden: Wolsey nennt sich natürlich nicht den hinfälligen
Sohn der Zeit, sondern der Natur, deren Erhaltung jeder Sterbliche einen Teil
seiner Zeit opfern muß. Bismarck aber hat, was bei flüchtigem Lesen der Verse
passieren kann, das Pronomen ihr auf das nächststehende Hauptwort bezogen.
Immerhin ist das Zitat aus einem Drama, das nicht gerade zu den allgemein
bekannten Stücken Shakespeares gehört, ein neues Zeugnis für Bismarcks Belesen¬
heit und Gedächtnis.


F. Runtze


Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Weib. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig


Wer Gdot Konfeqncnt
täglich vorschriftsmäßig
a»we»det, libe die «ach
den» »»euttgen Stande
der Wissenschaft denn-
dar beste Dalin- und
Mnndvfl-s- ans.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297919"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Ein fehlerhaftes Zitat Bismarcks.</head>
            <p xml:id="ID_1923"> Vor einiger Zeit machte ein ans<lb/>
Frankfurt datierter Brief Bismarcks &#x2014; wars an seine Frau oder an seine<lb/>
Schwester? &#x2014; die Runde durch die Zeitungen, worin sich der Schreiber gelegent¬<lb/>
lich als &#x201E;der Zeit hinfälligen Sohn" bezeichnet. Das Beiwort mag auch ein<lb/>
andres, sinnverwandtes sein, für den Zweck dieser Zeilen ist das gleichgiltig. Jeden¬<lb/>
falls ist der wunderliche, einigermaßen fragwürdige Ausdruck eine Reminiszenz aus<lb/>
Shakespeares Heinrich dem Achten, wo Akt 3, Szene 2 der Kardinal Wolsey zum<lb/>
Kö'"g sWt<quote><p xml:id="ID_1924"> ^<lb/>
Für ihr Erhalten eine Zeit, die leider<lb/>
Ich, ihr Hinfällger Sohn, ihr pflichten muß<lb/>
Wie jeder Sterbliche.</p><p xml:id="ID_1925"> (&gt;VacI natui'ö äov» rvquirs<lb/>
Hör tiruss oj pi'Lsoi'vstion, vvlucu psi'loi'vo<lb/>
I, luzr kiAÜ son, suvoiig'se in^ brstlii'SQ ani'tÄ<lb/>
UllSt WVö luz? tsriÄsnov.)</p></quote> : </p><lb/>
            <p xml:id="ID_1926"> Man sieht, der Ausdruck des Briefes stimmt zu dem vorstehenden Text, aber die<lb/>
Stelle ist offenbar mißverstanden: Wolsey nennt sich natürlich nicht den hinfälligen<lb/>
Sohn der Zeit, sondern der Natur, deren Erhaltung jeder Sterbliche einen Teil<lb/>
seiner Zeit opfern muß. Bismarck aber hat, was bei flüchtigem Lesen der Verse<lb/>
passieren kann, das Pronomen ihr auf das nächststehende Hauptwort bezogen.<lb/>
Immerhin ist das Zitat aus einem Drama, das nicht gerade zu den allgemein<lb/>
bekannten Stücken Shakespeares gehört, ein neues Zeugnis für Bismarcks Belesen¬<lb/>
heit und Gedächtnis.</p><lb/>
            <note type="byline"> F. Runtze</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig<lb/>
Verlag von Fr. Weib. Grunow in Leipzig &#x2014; Druck von Karl Marquart in Leipzig</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="advertisement">
                <p> Wer Gdot Konfeqncnt<lb/>
täglich vorschriftsmäßig<lb/>
a»we»det, libe die «ach<lb/>
den» »»euttgen Stande<lb/>
der Wissenschaft denn-<lb/>
dar beste Dalin- und<lb/>
Mnndvfl-s- ans.</p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] Maßgebliches und Unmaßgebliches Ein fehlerhaftes Zitat Bismarcks. Vor einiger Zeit machte ein ans Frankfurt datierter Brief Bismarcks — wars an seine Frau oder an seine Schwester? — die Runde durch die Zeitungen, worin sich der Schreiber gelegent¬ lich als „der Zeit hinfälligen Sohn" bezeichnet. Das Beiwort mag auch ein andres, sinnverwandtes sein, für den Zweck dieser Zeilen ist das gleichgiltig. Jeden¬ falls ist der wunderliche, einigermaßen fragwürdige Ausdruck eine Reminiszenz aus Shakespeares Heinrich dem Achten, wo Akt 3, Szene 2 der Kardinal Wolsey zum Kö'"g sWt ^ Für ihr Erhalten eine Zeit, die leider Ich, ihr Hinfällger Sohn, ihr pflichten muß Wie jeder Sterbliche. (>VacI natui'ö äov» rvquirs Hör tiruss oj pi'Lsoi'vstion, vvlucu psi'loi'vo I, luzr kiAÜ son, suvoiig'se in^ brstlii'SQ ani'tÄ UllSt WVö luz? tsriÄsnov.) : Man sieht, der Ausdruck des Briefes stimmt zu dem vorstehenden Text, aber die Stelle ist offenbar mißverstanden: Wolsey nennt sich natürlich nicht den hinfälligen Sohn der Zeit, sondern der Natur, deren Erhaltung jeder Sterbliche einen Teil seiner Zeit opfern muß. Bismarck aber hat, was bei flüchtigem Lesen der Verse passieren kann, das Pronomen ihr auf das nächststehende Hauptwort bezogen. Immerhin ist das Zitat aus einem Drama, das nicht gerade zu den allgemein bekannten Stücken Shakespeares gehört, ein neues Zeugnis für Bismarcks Belesen¬ heit und Gedächtnis. F. Runtze Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Weib. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig Wer Gdot Konfeqncnt täglich vorschriftsmäßig a»we»det, libe die «ach den» »»euttgen Stande der Wissenschaft denn- dar beste Dalin- und Mnndvfl-s- ans.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/400>, abgerufen am 27.09.2024.