Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Herrenmenschen
Roman von Fritz Anders (Max Allihn) ^S. Der Zusammenbruch

> uf dem Wege, der vom preußischen Schlößchen nach Tapnicken führte,
stand Heinemann, das Gewehr unter dem Arme, und schaute bald
dem Schlößchen, bald dem Dorfe zu. Das war der Weg, auf dem
der Doktor kommen mußte, wenn er mit dem Dampfer aus N. zurück¬
gekehrt war. Hier gab es auch zwischen Busch und Kraut Gelegenheit
I genug, sich in den Hinterhalt zu legen. Aber dazu, sich niederzulegen,
war noch Zeit übrig.

Da kam Marike, einen Korb am Arm, die Straße vom Dorfe her. Das traf
sich ja gut.

Na, komme nur her, du Aas, schrie Heinemann schon auf weite Entfernung,
ich werde dir schon die Beine zerbrechen.

Marike schrie auf, sprang über den Graben und schlug sich seitwärts in den
Wald. Heinemann hatte schon die Büchse, die er vom Amte mitgenommen hatte,
erhoben, um auf das Mädchen zu schießen, aber er überlegte, daß er damit seinen
Hauptschuß auf den Doktor verlöre, und ließ das Gewehr wieder sinken. Darauf
sprang er selbst über den Graben und setzte sich hinter eine Klafter Holz, die nahe
am Wege aufgeschichtet war.

Er sah Eva kommen und mit fliegender Eile vorüberschreiten, duckte sich hinter
seine Deckung und lachte grimmig. Hilft dir nichts, Margell, sagte er zu sich, deinen
Liebsten kriege ich doch vors Rohr, und dann rettet ihn kein Gott. Er muß ran.

Eva kam atemlos im Schlößchen an und erfuhr auf ihre Frage, der Doktor
sei mit dem Dampfschiff angekommen, aber noch nicht heimgekehrt, er müsse irgendwo
im Dorfe sein; aber er könne jeden Augenblick kommen.

Ach du barmherziger Gott! rief Eva, die Hände ringend, und kehrte auf der
Stelle um.

Kind, Kind, sagte Tauenden erschrocken, was hast du? Komm her, erzähle.

Es geht um Tod und Leben, antwortete Eva und eilte davon.

Da war auch die Marike, bleich und zitternd, und erzählte, im Walde läge
Heinemann und habe ihr alle Beine zerbrechen und auf sie schießen wollen.

Jetzt verstand Tauenden, um was es sich handle, rief den Inspektor Schlewecke,
und wen sie gerade von den Knechten fand, und sandte sie Eva nach.

Es war Eva nicht zweifelhaft, daß Heinemann, wenn er sich in den Hinter¬
halt legte, eine Stelle des Weges wählen würde, der durch den Wald von dem
Schlößchen zum Dorfe führte. Darum hielt sie scharfen Ausblick nach rechts und
nach links in der Hoffnung, daß der Mensch nach rückwärts weniger gute Deckung
genommen haben werde als nach vorwärts. Aber sie sah nichts. Als sie an die
Stelle kam, wo der Weg eine leichte Biegung machte, wo man also von einem
Versteck im Gebüsch aus eine längere Strecke Weges überschauen konnte, fiel ihr
eins, daß dort, seitlich vom Wege, eine Holzklafter aufgebaut war, mitten in einem
Gebüsch hoher Brennesseln. Wenn irgendwo, so mußte Heinemann hier auf der
Lauer liegen. Noch war sie im ungewissen, ob sie hingehn und sich davon über¬
zeugen sollte, daß sie richtig vermute, als ein kleiner Vogel, den Warnruf aus-




Herrenmenschen
Roman von Fritz Anders (Max Allihn) ^S. Der Zusammenbruch

> uf dem Wege, der vom preußischen Schlößchen nach Tapnicken führte,
stand Heinemann, das Gewehr unter dem Arme, und schaute bald
dem Schlößchen, bald dem Dorfe zu. Das war der Weg, auf dem
der Doktor kommen mußte, wenn er mit dem Dampfer aus N. zurück¬
gekehrt war. Hier gab es auch zwischen Busch und Kraut Gelegenheit
I genug, sich in den Hinterhalt zu legen. Aber dazu, sich niederzulegen,
war noch Zeit übrig.

Da kam Marike, einen Korb am Arm, die Straße vom Dorfe her. Das traf
sich ja gut.

Na, komme nur her, du Aas, schrie Heinemann schon auf weite Entfernung,
ich werde dir schon die Beine zerbrechen.

Marike schrie auf, sprang über den Graben und schlug sich seitwärts in den
Wald. Heinemann hatte schon die Büchse, die er vom Amte mitgenommen hatte,
erhoben, um auf das Mädchen zu schießen, aber er überlegte, daß er damit seinen
Hauptschuß auf den Doktor verlöre, und ließ das Gewehr wieder sinken. Darauf
sprang er selbst über den Graben und setzte sich hinter eine Klafter Holz, die nahe
am Wege aufgeschichtet war.

Er sah Eva kommen und mit fliegender Eile vorüberschreiten, duckte sich hinter
seine Deckung und lachte grimmig. Hilft dir nichts, Margell, sagte er zu sich, deinen
Liebsten kriege ich doch vors Rohr, und dann rettet ihn kein Gott. Er muß ran.

Eva kam atemlos im Schlößchen an und erfuhr auf ihre Frage, der Doktor
sei mit dem Dampfschiff angekommen, aber noch nicht heimgekehrt, er müsse irgendwo
im Dorfe sein; aber er könne jeden Augenblick kommen.

Ach du barmherziger Gott! rief Eva, die Hände ringend, und kehrte auf der
Stelle um.

Kind, Kind, sagte Tauenden erschrocken, was hast du? Komm her, erzähle.

Es geht um Tod und Leben, antwortete Eva und eilte davon.

Da war auch die Marike, bleich und zitternd, und erzählte, im Walde läge
Heinemann und habe ihr alle Beine zerbrechen und auf sie schießen wollen.

Jetzt verstand Tauenden, um was es sich handle, rief den Inspektor Schlewecke,
und wen sie gerade von den Knechten fand, und sandte sie Eva nach.

Es war Eva nicht zweifelhaft, daß Heinemann, wenn er sich in den Hinter¬
halt legte, eine Stelle des Weges wählen würde, der durch den Wald von dem
Schlößchen zum Dorfe führte. Darum hielt sie scharfen Ausblick nach rechts und
nach links in der Hoffnung, daß der Mensch nach rückwärts weniger gute Deckung
genommen haben werde als nach vorwärts. Aber sie sah nichts. Als sie an die
Stelle kam, wo der Weg eine leichte Biegung machte, wo man also von einem
Versteck im Gebüsch aus eine längere Strecke Weges überschauen konnte, fiel ihr
eins, daß dort, seitlich vom Wege, eine Holzklafter aufgebaut war, mitten in einem
Gebüsch hoher Brennesseln. Wenn irgendwo, so mußte Heinemann hier auf der
Lauer liegen. Noch war sie im ungewissen, ob sie hingehn und sich davon über¬
zeugen sollte, daß sie richtig vermute, als ein kleiner Vogel, den Warnruf aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297842"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341881_297518/figures/grenzboten_341881_297518_297842_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Herrenmenschen<lb/><note type="byline"> Roman von Fritz Anders (Max Allihn)</note> ^S. Der Zusammenbruch </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1464"> &gt; uf dem Wege, der vom preußischen Schlößchen nach Tapnicken führte,<lb/>
stand Heinemann, das Gewehr unter dem Arme, und schaute bald<lb/>
dem Schlößchen, bald dem Dorfe zu. Das war der Weg, auf dem<lb/>
der Doktor kommen mußte, wenn er mit dem Dampfer aus N. zurück¬<lb/>
gekehrt war. Hier gab es auch zwischen Busch und Kraut Gelegenheit<lb/>
I genug, sich in den Hinterhalt zu legen. Aber dazu, sich niederzulegen,<lb/>
war noch Zeit übrig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1465"> Da kam Marike, einen Korb am Arm, die Straße vom Dorfe her. Das traf<lb/>
sich ja gut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1466"> Na, komme nur her, du Aas, schrie Heinemann schon auf weite Entfernung,<lb/>
ich werde dir schon die Beine zerbrechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1467"> Marike schrie auf, sprang über den Graben und schlug sich seitwärts in den<lb/>
Wald. Heinemann hatte schon die Büchse, die er vom Amte mitgenommen hatte,<lb/>
erhoben, um auf das Mädchen zu schießen, aber er überlegte, daß er damit seinen<lb/>
Hauptschuß auf den Doktor verlöre, und ließ das Gewehr wieder sinken. Darauf<lb/>
sprang er selbst über den Graben und setzte sich hinter eine Klafter Holz, die nahe<lb/>
am Wege aufgeschichtet war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1468"> Er sah Eva kommen und mit fliegender Eile vorüberschreiten, duckte sich hinter<lb/>
seine Deckung und lachte grimmig. Hilft dir nichts, Margell, sagte er zu sich, deinen<lb/>
Liebsten kriege ich doch vors Rohr, und dann rettet ihn kein Gott. Er muß ran.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1469"> Eva kam atemlos im Schlößchen an und erfuhr auf ihre Frage, der Doktor<lb/>
sei mit dem Dampfschiff angekommen, aber noch nicht heimgekehrt, er müsse irgendwo<lb/>
im Dorfe sein; aber er könne jeden Augenblick kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1470"> Ach du barmherziger Gott! rief Eva, die Hände ringend, und kehrte auf der<lb/>
Stelle um.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1471"> Kind, Kind, sagte Tauenden erschrocken, was hast du? Komm her, erzähle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1472"> Es geht um Tod und Leben, antwortete Eva und eilte davon.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1473"> Da war auch die Marike, bleich und zitternd, und erzählte, im Walde läge<lb/>
Heinemann und habe ihr alle Beine zerbrechen und auf sie schießen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1474"> Jetzt verstand Tauenden, um was es sich handle, rief den Inspektor Schlewecke,<lb/>
und wen sie gerade von den Knechten fand, und sandte sie Eva nach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1475" next="#ID_1476"> Es war Eva nicht zweifelhaft, daß Heinemann, wenn er sich in den Hinter¬<lb/>
halt legte, eine Stelle des Weges wählen würde, der durch den Wald von dem<lb/>
Schlößchen zum Dorfe führte. Darum hielt sie scharfen Ausblick nach rechts und<lb/>
nach links in der Hoffnung, daß der Mensch nach rückwärts weniger gute Deckung<lb/>
genommen haben werde als nach vorwärts. Aber sie sah nichts. Als sie an die<lb/>
Stelle kam, wo der Weg eine leichte Biegung machte, wo man also von einem<lb/>
Versteck im Gebüsch aus eine längere Strecke Weges überschauen konnte, fiel ihr<lb/>
eins, daß dort, seitlich vom Wege, eine Holzklafter aufgebaut war, mitten in einem<lb/>
Gebüsch hoher Brennesseln. Wenn irgendwo, so mußte Heinemann hier auf der<lb/>
Lauer liegen. Noch war sie im ungewissen, ob sie hingehn und sich davon über¬<lb/>
zeugen sollte, daß sie richtig vermute, als ein kleiner Vogel, den Warnruf aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] [Abbildung] Herrenmenschen Roman von Fritz Anders (Max Allihn) ^S. Der Zusammenbruch > uf dem Wege, der vom preußischen Schlößchen nach Tapnicken führte, stand Heinemann, das Gewehr unter dem Arme, und schaute bald dem Schlößchen, bald dem Dorfe zu. Das war der Weg, auf dem der Doktor kommen mußte, wenn er mit dem Dampfer aus N. zurück¬ gekehrt war. Hier gab es auch zwischen Busch und Kraut Gelegenheit I genug, sich in den Hinterhalt zu legen. Aber dazu, sich niederzulegen, war noch Zeit übrig. Da kam Marike, einen Korb am Arm, die Straße vom Dorfe her. Das traf sich ja gut. Na, komme nur her, du Aas, schrie Heinemann schon auf weite Entfernung, ich werde dir schon die Beine zerbrechen. Marike schrie auf, sprang über den Graben und schlug sich seitwärts in den Wald. Heinemann hatte schon die Büchse, die er vom Amte mitgenommen hatte, erhoben, um auf das Mädchen zu schießen, aber er überlegte, daß er damit seinen Hauptschuß auf den Doktor verlöre, und ließ das Gewehr wieder sinken. Darauf sprang er selbst über den Graben und setzte sich hinter eine Klafter Holz, die nahe am Wege aufgeschichtet war. Er sah Eva kommen und mit fliegender Eile vorüberschreiten, duckte sich hinter seine Deckung und lachte grimmig. Hilft dir nichts, Margell, sagte er zu sich, deinen Liebsten kriege ich doch vors Rohr, und dann rettet ihn kein Gott. Er muß ran. Eva kam atemlos im Schlößchen an und erfuhr auf ihre Frage, der Doktor sei mit dem Dampfschiff angekommen, aber noch nicht heimgekehrt, er müsse irgendwo im Dorfe sein; aber er könne jeden Augenblick kommen. Ach du barmherziger Gott! rief Eva, die Hände ringend, und kehrte auf der Stelle um. Kind, Kind, sagte Tauenden erschrocken, was hast du? Komm her, erzähle. Es geht um Tod und Leben, antwortete Eva und eilte davon. Da war auch die Marike, bleich und zitternd, und erzählte, im Walde läge Heinemann und habe ihr alle Beine zerbrechen und auf sie schießen wollen. Jetzt verstand Tauenden, um was es sich handle, rief den Inspektor Schlewecke, und wen sie gerade von den Knechten fand, und sandte sie Eva nach. Es war Eva nicht zweifelhaft, daß Heinemann, wenn er sich in den Hinter¬ halt legte, eine Stelle des Weges wählen würde, der durch den Wald von dem Schlößchen zum Dorfe führte. Darum hielt sie scharfen Ausblick nach rechts und nach links in der Hoffnung, daß der Mensch nach rückwärts weniger gute Deckung genommen haben werde als nach vorwärts. Aber sie sah nichts. Als sie an die Stelle kam, wo der Weg eine leichte Biegung machte, wo man also von einem Versteck im Gebüsch aus eine längere Strecke Weges überschauen konnte, fiel ihr eins, daß dort, seitlich vom Wege, eine Holzklafter aufgebaut war, mitten in einem Gebüsch hoher Brennesseln. Wenn irgendwo, so mußte Heinemann hier auf der Lauer liegen. Noch war sie im ungewissen, ob sie hingehn und sich davon über¬ zeugen sollte, daß sie richtig vermute, als ein kleiner Vogel, den Warnruf aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/323>, abgerufen am 27.09.2024.