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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Die Gauchos und die deutsche Auswandrung

wagen für Verbesserung der Lust sorgen, und durch die schlechtere Kost, die
ihnen zuteil wird. Jedem Großstadtkinde wäre ein mehrwöchiger Aufenthalt
in guter Luft zu gönnen, notwendig aber ist er für die Kranken. Seit man
eingesehen hat, wieviel Millionen dem deutschen Volke alljährlich die Aus¬
breitung der Tuberkulose kostet, wendet man auch den Kindern des Volkes
größeres Interesse zu. Bei den Kindern muß man beginnen, wenn man
ein gesundes Volk haben will. Überall bemüht man sich Gelder zu sammeln,
um den ärmsten der Kinder, den kranken, einige Wochen der Erholung zu
ermöglichen. Leider sind nie soviel Mittel als Kinder da. Lehrer und
Lehrerinnen, die hofften, ein schwächliches Kind mit entsenden zu können, sehen
sich oft enttäuscht. Und doch wissen sie am besten, wie segensreich ein solcher
Ferienaufenthalt für ihre Schüler und Schülerinnen ist. Wie verwandelt
diese zurückkehren, frischer an Körper und dadurch auch an Geist, bereichert
an Eindrücken, die ihnen vielleicht das künftige Leben nicht wieder bieten kann.
Diese Kinder sind mir oft wie Pflanzen erschienen, die aus dumpfen Keller¬
räumen hinaufgebracht in den hellen Sonnenschein zu wachsen und zu blühn
beginnen. Viele unsrer Kinder lernen das Wort "sorglose Kindheit" niemals
kennen, man sehe sich nur einmal darauf die vielen alten, sorgenvollen Kinder¬
gesichter an! Hier in vier Wochen der Abgelöstheit scheint auch ihnen hell
die Sonne, und die Lehrerinnen, die eine Ferienkolonie geleitet haben, wissen
nicht genug zu erzählen von dem Frohsinn, der Dankbarkeit der erst so müden,
blassen Großstadtkinder.

Ich bin mir bewußt, vielen, und besonders meinen Berufsgenossen, durchaus
nichts Neues gesagt zu haben, aber es gibt eben Dinge, die gar nicht oft
genug gesagt werden können, für die man jede Gelegenheit wahrnehmen muß,
UM sie in immer weitere Kreise zu bringen. Wenn man bedenkt, daß allein
18000 bis 20000 Lehrerinnen an den deutschen Volksschulen angestellt sind,
daß sich diese wiederum nur an Anzahl in den Großstädten wie 30:100 zu
den Lehrern verhalten, so kann man, wenn man nur je fünfzig Kinder auf
diese rechnet, sich vorstellen, welche Macht eigentlich die Volksschule ist. Eine
Macht, die es wert ist, daß alle Kreise an ihrer Wohlfahrt arbeiten.




Die Gauchos und die deutsche Auswandrung
v A, von Hoyningen Hume on

i le Botschaft, womit der Präsident Quintana jüngst die Tagungen
des argentinischen Kongresses eröffnete, hat die Aufmerksamkeit
unsrer Sozialpolitiker wieder auf dieses seltsame Land gelenkt,
das sich in den beiden letzten Jahrzehnten so mächtig empor-
__I gearbeitet hat. Noch vor zwanzig Jahren ein importierender
Staat mit unbedeutendem Handel und berüchtigt schlechter Geldwirtschaft steht die
Republik heute unter den Getreide exportierenden Ländern an der dritten Stelle,c^"^
B


Die Gauchos und die deutsche Auswandrung

wagen für Verbesserung der Lust sorgen, und durch die schlechtere Kost, die
ihnen zuteil wird. Jedem Großstadtkinde wäre ein mehrwöchiger Aufenthalt
in guter Luft zu gönnen, notwendig aber ist er für die Kranken. Seit man
eingesehen hat, wieviel Millionen dem deutschen Volke alljährlich die Aus¬
breitung der Tuberkulose kostet, wendet man auch den Kindern des Volkes
größeres Interesse zu. Bei den Kindern muß man beginnen, wenn man
ein gesundes Volk haben will. Überall bemüht man sich Gelder zu sammeln,
um den ärmsten der Kinder, den kranken, einige Wochen der Erholung zu
ermöglichen. Leider sind nie soviel Mittel als Kinder da. Lehrer und
Lehrerinnen, die hofften, ein schwächliches Kind mit entsenden zu können, sehen
sich oft enttäuscht. Und doch wissen sie am besten, wie segensreich ein solcher
Ferienaufenthalt für ihre Schüler und Schülerinnen ist. Wie verwandelt
diese zurückkehren, frischer an Körper und dadurch auch an Geist, bereichert
an Eindrücken, die ihnen vielleicht das künftige Leben nicht wieder bieten kann.
Diese Kinder sind mir oft wie Pflanzen erschienen, die aus dumpfen Keller¬
räumen hinaufgebracht in den hellen Sonnenschein zu wachsen und zu blühn
beginnen. Viele unsrer Kinder lernen das Wort „sorglose Kindheit" niemals
kennen, man sehe sich nur einmal darauf die vielen alten, sorgenvollen Kinder¬
gesichter an! Hier in vier Wochen der Abgelöstheit scheint auch ihnen hell
die Sonne, und die Lehrerinnen, die eine Ferienkolonie geleitet haben, wissen
nicht genug zu erzählen von dem Frohsinn, der Dankbarkeit der erst so müden,
blassen Großstadtkinder.

Ich bin mir bewußt, vielen, und besonders meinen Berufsgenossen, durchaus
nichts Neues gesagt zu haben, aber es gibt eben Dinge, die gar nicht oft
genug gesagt werden können, für die man jede Gelegenheit wahrnehmen muß,
UM sie in immer weitere Kreise zu bringen. Wenn man bedenkt, daß allein
18000 bis 20000 Lehrerinnen an den deutschen Volksschulen angestellt sind,
daß sich diese wiederum nur an Anzahl in den Großstädten wie 30:100 zu
den Lehrern verhalten, so kann man, wenn man nur je fünfzig Kinder auf
diese rechnet, sich vorstellen, welche Macht eigentlich die Volksschule ist. Eine
Macht, die es wert ist, daß alle Kreise an ihrer Wohlfahrt arbeiten.




Die Gauchos und die deutsche Auswandrung
v A, von Hoyningen Hume on

i le Botschaft, womit der Präsident Quintana jüngst die Tagungen
des argentinischen Kongresses eröffnete, hat die Aufmerksamkeit
unsrer Sozialpolitiker wieder auf dieses seltsame Land gelenkt,
das sich in den beiden letzten Jahrzehnten so mächtig empor-
__I gearbeitet hat. Noch vor zwanzig Jahren ein importierender
Staat mit unbedeutendem Handel und berüchtigt schlechter Geldwirtschaft steht die
Republik heute unter den Getreide exportierenden Ländern an der dritten Stelle,c^«^
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[0317] Die Gauchos und die deutsche Auswandrung wagen für Verbesserung der Lust sorgen, und durch die schlechtere Kost, die ihnen zuteil wird. Jedem Großstadtkinde wäre ein mehrwöchiger Aufenthalt in guter Luft zu gönnen, notwendig aber ist er für die Kranken. Seit man eingesehen hat, wieviel Millionen dem deutschen Volke alljährlich die Aus¬ breitung der Tuberkulose kostet, wendet man auch den Kindern des Volkes größeres Interesse zu. Bei den Kindern muß man beginnen, wenn man ein gesundes Volk haben will. Überall bemüht man sich Gelder zu sammeln, um den ärmsten der Kinder, den kranken, einige Wochen der Erholung zu ermöglichen. Leider sind nie soviel Mittel als Kinder da. Lehrer und Lehrerinnen, die hofften, ein schwächliches Kind mit entsenden zu können, sehen sich oft enttäuscht. Und doch wissen sie am besten, wie segensreich ein solcher Ferienaufenthalt für ihre Schüler und Schülerinnen ist. Wie verwandelt diese zurückkehren, frischer an Körper und dadurch auch an Geist, bereichert an Eindrücken, die ihnen vielleicht das künftige Leben nicht wieder bieten kann. Diese Kinder sind mir oft wie Pflanzen erschienen, die aus dumpfen Keller¬ räumen hinaufgebracht in den hellen Sonnenschein zu wachsen und zu blühn beginnen. Viele unsrer Kinder lernen das Wort „sorglose Kindheit" niemals kennen, man sehe sich nur einmal darauf die vielen alten, sorgenvollen Kinder¬ gesichter an! Hier in vier Wochen der Abgelöstheit scheint auch ihnen hell die Sonne, und die Lehrerinnen, die eine Ferienkolonie geleitet haben, wissen nicht genug zu erzählen von dem Frohsinn, der Dankbarkeit der erst so müden, blassen Großstadtkinder. Ich bin mir bewußt, vielen, und besonders meinen Berufsgenossen, durchaus nichts Neues gesagt zu haben, aber es gibt eben Dinge, die gar nicht oft genug gesagt werden können, für die man jede Gelegenheit wahrnehmen muß, UM sie in immer weitere Kreise zu bringen. Wenn man bedenkt, daß allein 18000 bis 20000 Lehrerinnen an den deutschen Volksschulen angestellt sind, daß sich diese wiederum nur an Anzahl in den Großstädten wie 30:100 zu den Lehrern verhalten, so kann man, wenn man nur je fünfzig Kinder auf diese rechnet, sich vorstellen, welche Macht eigentlich die Volksschule ist. Eine Macht, die es wert ist, daß alle Kreise an ihrer Wohlfahrt arbeiten. Die Gauchos und die deutsche Auswandrung v A, von Hoyningen Hume on i le Botschaft, womit der Präsident Quintana jüngst die Tagungen des argentinischen Kongresses eröffnete, hat die Aufmerksamkeit unsrer Sozialpolitiker wieder auf dieses seltsame Land gelenkt, das sich in den beiden letzten Jahrzehnten so mächtig empor- __I gearbeitet hat. Noch vor zwanzig Jahren ein importierender Staat mit unbedeutendem Handel und berüchtigt schlechter Geldwirtschaft steht die Republik heute unter den Getreide exportierenden Ländern an der dritten Stelle,c^«^ B

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/317>, abgerufen am 27.09.2024.