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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

reichung einer bestimmten Höhe wissenschaftlicher und militärischer Qualifikation, also
an Zeugnisse geknüpft würde, sie wäre solchergestalt eine Prämie für Fleiß und
Tüchtigkeit, eine Art Stipendium, wie sie die Universitäten, Kunstakademien usw.
ebenfalls verleihen. Wie übrigens verlautet, hat Fürst Donnersmarck so viele Zu¬
stimmungszuschriften von angesehenen Persönlichkeiten erhalten, daß die Annahme, der
an sich sehr gute Gedanke werde dennoch in der einen oder der andern Form Leben und
Gestalt gewinnen, hoffentlich noch nicht von der Hand gewiesen zu werden braucht.
Sollte die Anregung zu einer gesetzlichen Aufbesserung der Gehalte für Leutnants
und Oberleutnants in der nächsten Reichstagssession sichren, so würde der Urheber
sicherlich auch mit diesem Erfolge zufrieden sein, denn nur um die Sache handelt
es sich. Wir werden in den Tagen des Ernstes nie genug Offiziere haben können.
Daß sich überhaupt Lücken einstellen konnten, und daß zu deren Ausfüllung über
die unmittelbar beteiligten militärischen Kreise hinaus an Hilfsmittel außerordent¬
licher Natur gedacht werden konnte, beweist, daß uns allmählich das Gefühl für die
harte Notwendigkeit der Dinge, die aira, neesssitas, zu schwinden beginnt. Vielleicht
werden wir eines Tages Herrn Delcasst dafür noch besonders dankbar sein, daß
er uns aufgerüttelt hat! _


Alte Mystik und neue Naturphilosophie.

In den Artikeln über Mystik
und über Giordano Bruno im vorjährigen dritten Bande der Grenzboten haben
wir des Unternehmens von Eugen Diederichs gedacht, durch seinen Verlag (Jena
und Leipzig) die Suche nach der Religion der Zukunft zu organisieren "ut zu
diesem Zweck unter anderm auch die Schriften alter Mystiker und Naturphilosophen
herauszugeben. Von dieser Sammlung sind uns vier weitere, im vorigen und im
laufenden Jahre erschienene Bände zugegangen. Giordano Brunos Zwiegespräche
vom unendlichen All und den Welten werden vielen willkommen sein wegen
des Abrisses der Geschichte der kosmologtschen Anschauungen bis ans Bruno, die
der sachkundige Bearbeiter, Ludwig Kuhlenbeck, vorausschickt. Aus Brunos
Text (S. 40) und der dazu gehörigen Anmerkung 45 (S. 187; Kuhlenbecks An¬
merkungen sind auch in diesem Bande wiederum sehr wertvoll und gehaltvoll) er¬
fahren wir, daß Bruno nicht Pcmtheist oder ehrlich gesprochen Atheist gewesen ist.
Gott geht ihm nicht in der Welt auf, sondern behält neben seiner Betätigung in
der Schöpfung seine eigne Persönlichkeit. Kuhlenbeck nennt diese Ansicht Persönlichkcits-
pantheismus; früher hieß sie SemiPantheismus. -- Daß Haeckels Apostel Wilhelm
Bölsche des Angelus Silesius Cherubinischen Wandersmann bearbeitet
hat, setzt seine Freunde einigermaßen in Erstaunen. Aber schon ein Blatt, dem
Haeckel sonst sympathisch ist, hat richtig bemerkt, die Sache sei nicht so gar wunder¬
bar, weil ja auch Haeckel, wie Bölsche, mehr phantasievoller Naturphilosoph als
exakter Forscher sei. Was Bölsche angezogen hat, das ist natürlich die pantheistisch
klingende Mystik des Silesius, der nebenbei ein wirklicher Dichter genannt werden
muß, und der namentlich die epigrammatische Form -- das ganze Buch besteht
aus Epigrammen -- virtuos handhabt. Bölsche hebt hervor, daß Scheffler diese
schönen Gedichte als Protestant verfaßt habe und nach seiner Konversion ein wüster
Fanatiker geworden sei. Sollte nicht der Fanatiker der legitime Sprößling des
Mystikers gewesen sein? In Bölsches Weltansicht würde Scheffler die seine schwerlich
wiederfinden. Jene tritt am deutlichsten in den Sätzen hervor: "Weltkörper und
geschüttelte Kartoffeln in einem Sack und sich anpassende Tierarten gehn alle den
gleichen Weg: je länger sie geschüttelt werden, desto sieghafter triumphiert die
Balance, die Ordnung, die Anpassung zuletzt. Alle disharmonischen Bewegungen
blitzen auf und sind sogleich wieder fort: alle harmonischen summieren sich, bilden
Reihen, endlich eine Macht, die Übermacht, den Sieg," und den Menschen, der
diese werdende Weltharmonie wahrnimmt, beseligt sie. In des Silesius Epigrammen
findet sich viel orthodoxer Christenglaube neben dem, was wie Pantheismus klingt,
was man aber auch in zweifellos orthodoxen Schriften, ja auch in liturgischen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

reichung einer bestimmten Höhe wissenschaftlicher und militärischer Qualifikation, also
an Zeugnisse geknüpft würde, sie wäre solchergestalt eine Prämie für Fleiß und
Tüchtigkeit, eine Art Stipendium, wie sie die Universitäten, Kunstakademien usw.
ebenfalls verleihen. Wie übrigens verlautet, hat Fürst Donnersmarck so viele Zu¬
stimmungszuschriften von angesehenen Persönlichkeiten erhalten, daß die Annahme, der
an sich sehr gute Gedanke werde dennoch in der einen oder der andern Form Leben und
Gestalt gewinnen, hoffentlich noch nicht von der Hand gewiesen zu werden braucht.
Sollte die Anregung zu einer gesetzlichen Aufbesserung der Gehalte für Leutnants
und Oberleutnants in der nächsten Reichstagssession sichren, so würde der Urheber
sicherlich auch mit diesem Erfolge zufrieden sein, denn nur um die Sache handelt
es sich. Wir werden in den Tagen des Ernstes nie genug Offiziere haben können.
Daß sich überhaupt Lücken einstellen konnten, und daß zu deren Ausfüllung über
die unmittelbar beteiligten militärischen Kreise hinaus an Hilfsmittel außerordent¬
licher Natur gedacht werden konnte, beweist, daß uns allmählich das Gefühl für die
harte Notwendigkeit der Dinge, die aira, neesssitas, zu schwinden beginnt. Vielleicht
werden wir eines Tages Herrn Delcasst dafür noch besonders dankbar sein, daß
er uns aufgerüttelt hat! _


Alte Mystik und neue Naturphilosophie.

In den Artikeln über Mystik
und über Giordano Bruno im vorjährigen dritten Bande der Grenzboten haben
wir des Unternehmens von Eugen Diederichs gedacht, durch seinen Verlag (Jena
und Leipzig) die Suche nach der Religion der Zukunft zu organisieren »ut zu
diesem Zweck unter anderm auch die Schriften alter Mystiker und Naturphilosophen
herauszugeben. Von dieser Sammlung sind uns vier weitere, im vorigen und im
laufenden Jahre erschienene Bände zugegangen. Giordano Brunos Zwiegespräche
vom unendlichen All und den Welten werden vielen willkommen sein wegen
des Abrisses der Geschichte der kosmologtschen Anschauungen bis ans Bruno, die
der sachkundige Bearbeiter, Ludwig Kuhlenbeck, vorausschickt. Aus Brunos
Text (S. 40) und der dazu gehörigen Anmerkung 45 (S. 187; Kuhlenbecks An¬
merkungen sind auch in diesem Bande wiederum sehr wertvoll und gehaltvoll) er¬
fahren wir, daß Bruno nicht Pcmtheist oder ehrlich gesprochen Atheist gewesen ist.
Gott geht ihm nicht in der Welt auf, sondern behält neben seiner Betätigung in
der Schöpfung seine eigne Persönlichkeit. Kuhlenbeck nennt diese Ansicht Persönlichkcits-
pantheismus; früher hieß sie SemiPantheismus. — Daß Haeckels Apostel Wilhelm
Bölsche des Angelus Silesius Cherubinischen Wandersmann bearbeitet
hat, setzt seine Freunde einigermaßen in Erstaunen. Aber schon ein Blatt, dem
Haeckel sonst sympathisch ist, hat richtig bemerkt, die Sache sei nicht so gar wunder¬
bar, weil ja auch Haeckel, wie Bölsche, mehr phantasievoller Naturphilosoph als
exakter Forscher sei. Was Bölsche angezogen hat, das ist natürlich die pantheistisch
klingende Mystik des Silesius, der nebenbei ein wirklicher Dichter genannt werden
muß, und der namentlich die epigrammatische Form — das ganze Buch besteht
aus Epigrammen — virtuos handhabt. Bölsche hebt hervor, daß Scheffler diese
schönen Gedichte als Protestant verfaßt habe und nach seiner Konversion ein wüster
Fanatiker geworden sei. Sollte nicht der Fanatiker der legitime Sprößling des
Mystikers gewesen sein? In Bölsches Weltansicht würde Scheffler die seine schwerlich
wiederfinden. Jene tritt am deutlichsten in den Sätzen hervor: „Weltkörper und
geschüttelte Kartoffeln in einem Sack und sich anpassende Tierarten gehn alle den
gleichen Weg: je länger sie geschüttelt werden, desto sieghafter triumphiert die
Balance, die Ordnung, die Anpassung zuletzt. Alle disharmonischen Bewegungen
blitzen auf und sind sogleich wieder fort: alle harmonischen summieren sich, bilden
Reihen, endlich eine Macht, die Übermacht, den Sieg," und den Menschen, der
diese werdende Weltharmonie wahrnimmt, beseligt sie. In des Silesius Epigrammen
findet sich viel orthodoxer Christenglaube neben dem, was wie Pantheismus klingt,
was man aber auch in zweifellos orthodoxen Schriften, ja auch in liturgischen


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[0175] Maßgebliches und Unmaßgebliches reichung einer bestimmten Höhe wissenschaftlicher und militärischer Qualifikation, also an Zeugnisse geknüpft würde, sie wäre solchergestalt eine Prämie für Fleiß und Tüchtigkeit, eine Art Stipendium, wie sie die Universitäten, Kunstakademien usw. ebenfalls verleihen. Wie übrigens verlautet, hat Fürst Donnersmarck so viele Zu¬ stimmungszuschriften von angesehenen Persönlichkeiten erhalten, daß die Annahme, der an sich sehr gute Gedanke werde dennoch in der einen oder der andern Form Leben und Gestalt gewinnen, hoffentlich noch nicht von der Hand gewiesen zu werden braucht. Sollte die Anregung zu einer gesetzlichen Aufbesserung der Gehalte für Leutnants und Oberleutnants in der nächsten Reichstagssession sichren, so würde der Urheber sicherlich auch mit diesem Erfolge zufrieden sein, denn nur um die Sache handelt es sich. Wir werden in den Tagen des Ernstes nie genug Offiziere haben können. Daß sich überhaupt Lücken einstellen konnten, und daß zu deren Ausfüllung über die unmittelbar beteiligten militärischen Kreise hinaus an Hilfsmittel außerordent¬ licher Natur gedacht werden konnte, beweist, daß uns allmählich das Gefühl für die harte Notwendigkeit der Dinge, die aira, neesssitas, zu schwinden beginnt. Vielleicht werden wir eines Tages Herrn Delcasst dafür noch besonders dankbar sein, daß er uns aufgerüttelt hat! _ Alte Mystik und neue Naturphilosophie. In den Artikeln über Mystik und über Giordano Bruno im vorjährigen dritten Bande der Grenzboten haben wir des Unternehmens von Eugen Diederichs gedacht, durch seinen Verlag (Jena und Leipzig) die Suche nach der Religion der Zukunft zu organisieren »ut zu diesem Zweck unter anderm auch die Schriften alter Mystiker und Naturphilosophen herauszugeben. Von dieser Sammlung sind uns vier weitere, im vorigen und im laufenden Jahre erschienene Bände zugegangen. Giordano Brunos Zwiegespräche vom unendlichen All und den Welten werden vielen willkommen sein wegen des Abrisses der Geschichte der kosmologtschen Anschauungen bis ans Bruno, die der sachkundige Bearbeiter, Ludwig Kuhlenbeck, vorausschickt. Aus Brunos Text (S. 40) und der dazu gehörigen Anmerkung 45 (S. 187; Kuhlenbecks An¬ merkungen sind auch in diesem Bande wiederum sehr wertvoll und gehaltvoll) er¬ fahren wir, daß Bruno nicht Pcmtheist oder ehrlich gesprochen Atheist gewesen ist. Gott geht ihm nicht in der Welt auf, sondern behält neben seiner Betätigung in der Schöpfung seine eigne Persönlichkeit. Kuhlenbeck nennt diese Ansicht Persönlichkcits- pantheismus; früher hieß sie SemiPantheismus. — Daß Haeckels Apostel Wilhelm Bölsche des Angelus Silesius Cherubinischen Wandersmann bearbeitet hat, setzt seine Freunde einigermaßen in Erstaunen. Aber schon ein Blatt, dem Haeckel sonst sympathisch ist, hat richtig bemerkt, die Sache sei nicht so gar wunder¬ bar, weil ja auch Haeckel, wie Bölsche, mehr phantasievoller Naturphilosoph als exakter Forscher sei. Was Bölsche angezogen hat, das ist natürlich die pantheistisch klingende Mystik des Silesius, der nebenbei ein wirklicher Dichter genannt werden muß, und der namentlich die epigrammatische Form — das ganze Buch besteht aus Epigrammen — virtuos handhabt. Bölsche hebt hervor, daß Scheffler diese schönen Gedichte als Protestant verfaßt habe und nach seiner Konversion ein wüster Fanatiker geworden sei. Sollte nicht der Fanatiker der legitime Sprößling des Mystikers gewesen sein? In Bölsches Weltansicht würde Scheffler die seine schwerlich wiederfinden. Jene tritt am deutlichsten in den Sätzen hervor: „Weltkörper und geschüttelte Kartoffeln in einem Sack und sich anpassende Tierarten gehn alle den gleichen Weg: je länger sie geschüttelt werden, desto sieghafter triumphiert die Balance, die Ordnung, die Anpassung zuletzt. Alle disharmonischen Bewegungen blitzen auf und sind sogleich wieder fort: alle harmonischen summieren sich, bilden Reihen, endlich eine Macht, die Übermacht, den Sieg," und den Menschen, der diese werdende Weltharmonie wahrnimmt, beseligt sie. In des Silesius Epigrammen findet sich viel orthodoxer Christenglaube neben dem, was wie Pantheismus klingt, was man aber auch in zweifellos orthodoxen Schriften, ja auch in liturgischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/175>, abgerufen am 27.09.2024.