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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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sehr fühlbar geworden, und noch ist nicht abzusehen, wie der mehr und mehr
steigenden Not mit den vorhandnen landesüblichen Mitteln gesteuert werden
könnte. Der britische Stolz, der sich in frühern Zeiten mit der Verspottung
deutscher Bettelpolitik ein Genüge tat, würde in den gegenwärtigen Bedrängnissen
seine Lust an Ironie und Satire gern unterdrücken, wenn er wie seinem Be¬
darf an Pferden so seinem Menschenmangel durch Kauf abhelfen könnte. Ob
es währ ist, was vor Jahr und Tag von dem Umherschleichen englischer
Werber auf deutschem Boden in den Zeitungen erzählt wurde, kann füglich
dahingestellt bleiben. Jedenfalls klangen die Nachrichten nicht unwahrscheinlich,
und neben den Heldentaten Tommys würde sich die Disziplin deutscher Fremden¬
legionen noch immer stattlich genug ausnehmen.

Aber die Pforten des Reichs, die früher für jeden Werbeoffizier weit
offen standen, sind jetzt geschlossen und werden für alle Menschenexportgelüste
zu Kriegszwecken fest zugehalten. In der äußern Politik steht England in
einer bedenklichen Vereinsamung, die die Briten selbst aus Mangel an einem
bessern Ausdruck früher sxleiMä isolation nannten. Von Zeit zu Zeit hört
man das Wort jetzt auch noch, aber denen, die es gebrauchen, ist selbst nicht
recht wohl dabei. In der Einsamkeit schleicht den Menschen, wenn es immer
stiller und dunkler wird, Beklommenheit ins Gemüt, und um ihrer Herr zu
werden, suchen sie sich mit der eignen Stimme zu helfen. Daß die stolzen
Engländer jetzt schon Angst hätten, soll nicht behauptet werden, aber wenn sie
sich vor einer kommenden bewahren wollen, täten sie besser, statt so laut zu
schreien, sich an eine stille Arbeit zu machen. Denn auf die Dauer kommen
die glücklichen Bewohner des meerumflossenen Albions auch nicht um das
herum, was andre Völker in der Erkenntnis, daß für die Gesundheit ihres
Leibes nichts dienlicher ist als eine straffe Erziehung, schon lange zum Gesetz
bei sich gemacht haben.




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in Hannover und Braunschweig (^709--W
(Schluß)

uf die spätere Nachgiebigkeit Hannovers hatte Kurakins diplo¬
matische Tätigkeit Einfluß, dann aber besonders auf das im Haag
und in Regensburg geschlossene Bündnis, das die Westmüchte
mit dem Nordischen Bunde zusammenführte und der Ruhe im
Innern des Reichs dienen sollte. Dieses Bündnis wurde auf
Anregung der russischen, preußischen, polnischen und dänischen Gesandten ge¬
schlossen und bestand im wesentlichen darin, daß sich England, Holland und
Deutschland verpflichteten, Fürsorge zu tragen, daß die nordischen Kriegführenden
den Brand nicht in das Reich hineintrügen; Deutschlands Neutralität sollte
unter Umständen mit Waffengewalt aufrecht erhalten werden. Im einzelnen


Grenzboten III 1906 16
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sehr fühlbar geworden, und noch ist nicht abzusehen, wie der mehr und mehr
steigenden Not mit den vorhandnen landesüblichen Mitteln gesteuert werden
könnte. Der britische Stolz, der sich in frühern Zeiten mit der Verspottung
deutscher Bettelpolitik ein Genüge tat, würde in den gegenwärtigen Bedrängnissen
seine Lust an Ironie und Satire gern unterdrücken, wenn er wie seinem Be¬
darf an Pferden so seinem Menschenmangel durch Kauf abhelfen könnte. Ob
es währ ist, was vor Jahr und Tag von dem Umherschleichen englischer
Werber auf deutschem Boden in den Zeitungen erzählt wurde, kann füglich
dahingestellt bleiben. Jedenfalls klangen die Nachrichten nicht unwahrscheinlich,
und neben den Heldentaten Tommys würde sich die Disziplin deutscher Fremden¬
legionen noch immer stattlich genug ausnehmen.

Aber die Pforten des Reichs, die früher für jeden Werbeoffizier weit
offen standen, sind jetzt geschlossen und werden für alle Menschenexportgelüste
zu Kriegszwecken fest zugehalten. In der äußern Politik steht England in
einer bedenklichen Vereinsamung, die die Briten selbst aus Mangel an einem
bessern Ausdruck früher sxleiMä isolation nannten. Von Zeit zu Zeit hört
man das Wort jetzt auch noch, aber denen, die es gebrauchen, ist selbst nicht
recht wohl dabei. In der Einsamkeit schleicht den Menschen, wenn es immer
stiller und dunkler wird, Beklommenheit ins Gemüt, und um ihrer Herr zu
werden, suchen sie sich mit der eignen Stimme zu helfen. Daß die stolzen
Engländer jetzt schon Angst hätten, soll nicht behauptet werden, aber wenn sie
sich vor einer kommenden bewahren wollen, täten sie besser, statt so laut zu
schreien, sich an eine stille Arbeit zu machen. Denn auf die Dauer kommen
die glücklichen Bewohner des meerumflossenen Albions auch nicht um das
herum, was andre Völker in der Erkenntnis, daß für die Gesundheit ihres
Leibes nichts dienlicher ist als eine straffe Erziehung, schon lange zum Gesetz
bei sich gemacht haben.




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(Schluß)

uf die spätere Nachgiebigkeit Hannovers hatte Kurakins diplo¬
matische Tätigkeit Einfluß, dann aber besonders auf das im Haag
und in Regensburg geschlossene Bündnis, das die Westmüchte
mit dem Nordischen Bunde zusammenführte und der Ruhe im
Innern des Reichs dienen sollte. Dieses Bündnis wurde auf
Anregung der russischen, preußischen, polnischen und dänischen Gesandten ge¬
schlossen und bestand im wesentlichen darin, daß sich England, Holland und
Deutschland verpflichteten, Fürsorge zu tragen, daß die nordischen Kriegführenden
den Brand nicht in das Reich hineintrügen; Deutschlands Neutralität sollte
unter Umständen mit Waffengewalt aufrecht erhalten werden. Im einzelnen


Grenzboten III 1906 16
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/129>, abgerufen am 27.09.2024.