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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die landwirtschaftliche Muster-Enquete in Baden.

historisches Element anerkennt und eben darum das Bürgertum rein und stark
erhalten zu sehen wünscht, der kann die Neuerung nur freudig begrüßen. Nun
wird es nicht mehr vorkommen, daß ein Ordensritter, welcher grundsätzlich von
seinem Ansprüche keinen Gebrauch gemacht hatte, auf das Ansuchen seiner Kinder
noch im Grabe zum Ritter geschlagen wird!

Man hätte glauben sollen, die ja in ihrer großen Mehrheit sehr fort¬
schrittlich gesinnte österreichische Presse werde die kaiserliche Entschließung un¬
gefähr in unserm Sinne besprechen. Doch merkwürdigerweise hat sie sich zum
Teil in ein Schweigen gehüllt, welches auf schmerzliche Empfindungen zu deuten
scheint, zum Teil aber bekrittelt, daß die Aristokratie sich abschließen wolle.
Auch das sei ein Zeichen der in allen Richtungen thätigen -- Reaktion! Also
wenn es nach den demokratischen Staatsmännern ginge, würde wahrscheinlich,
über Ungarn und Polen hinaus, die ganze Bevölkerung in den Adelsstand er¬
hoben werden, auch Wohl noch sechzehn Ahnen geschenkt erhalten, um dem Ideal
der Gleichheit und Brüderlichkeit nähergebracht zu werden. Ob das eine bessere
Schutzwehr gegen das Entstehen einer Aristokratie sein würde, als das Verbot
der Adelsprädikate in den Republiken?




Die landwirtschaftliche Muster-Enquete in Baden.

le allgemein bekannt sein dürfte, hat das königlich preußische
Landesvkonomiekolleginm im verflossenen Frühjahre an den Land¬
wirtschaftsminister das Ersuchen gerichtet, eine detaillirte Auf¬
nahme über die allgemeine Lage des ländlichen Grundbesitzes in
einzelnen typischen kleineren Bezirken nach dem Muster der neuesten
badischen Erhebungen vornehmen zu lassen. Da nun auch der deutsche Land¬
wirtschaftsrat den Reichskanzler ersucht hat, sämtliche Bundesregierungen zu Er¬
hebungen, und zwar nach einem möglichst einheitlichen System, darüber zu ver¬
mögen: a) wie hoch die gegenwärtige hypothekarische Verschuldung des ländlichen
Grundbesitzes und b) wie hoch die gegenwärtige Belastung des ländlichen Grund¬
besitzes mit staatlichen, kommunalen, Genossenschafts- und ähnlichen Lasten sich
gestaltet hat, so dürfte es am Platze sein, die Möglichkeit ins Auge zu fassen,
daß über kurz oder lang sämtliche Bundesstaaten mehr oder minder eingehende
Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft machen werden, wobei jedenfalls
die badischen Erhebungen als Vorbild dienen werden.*)



*) Nur in Elsaß-Lothringen, wo eine Enquete schon im Gange ist, hat man allerdings
ein andres Vorbild gewählt, nämlich die französische Ackerbau-Enquete von 1866, weil die
im Lande schon bekannte Form derselben die meiste Aussicht auf Erfolg zu bieten schien.
Die landwirtschaftliche Muster-Enquete in Baden.

historisches Element anerkennt und eben darum das Bürgertum rein und stark
erhalten zu sehen wünscht, der kann die Neuerung nur freudig begrüßen. Nun
wird es nicht mehr vorkommen, daß ein Ordensritter, welcher grundsätzlich von
seinem Ansprüche keinen Gebrauch gemacht hatte, auf das Ansuchen seiner Kinder
noch im Grabe zum Ritter geschlagen wird!

Man hätte glauben sollen, die ja in ihrer großen Mehrheit sehr fort¬
schrittlich gesinnte österreichische Presse werde die kaiserliche Entschließung un¬
gefähr in unserm Sinne besprechen. Doch merkwürdigerweise hat sie sich zum
Teil in ein Schweigen gehüllt, welches auf schmerzliche Empfindungen zu deuten
scheint, zum Teil aber bekrittelt, daß die Aristokratie sich abschließen wolle.
Auch das sei ein Zeichen der in allen Richtungen thätigen — Reaktion! Also
wenn es nach den demokratischen Staatsmännern ginge, würde wahrscheinlich,
über Ungarn und Polen hinaus, die ganze Bevölkerung in den Adelsstand er¬
hoben werden, auch Wohl noch sechzehn Ahnen geschenkt erhalten, um dem Ideal
der Gleichheit und Brüderlichkeit nähergebracht zu werden. Ob das eine bessere
Schutzwehr gegen das Entstehen einer Aristokratie sein würde, als das Verbot
der Adelsprädikate in den Republiken?




Die landwirtschaftliche Muster-Enquete in Baden.

le allgemein bekannt sein dürfte, hat das königlich preußische
Landesvkonomiekolleginm im verflossenen Frühjahre an den Land¬
wirtschaftsminister das Ersuchen gerichtet, eine detaillirte Auf¬
nahme über die allgemeine Lage des ländlichen Grundbesitzes in
einzelnen typischen kleineren Bezirken nach dem Muster der neuesten
badischen Erhebungen vornehmen zu lassen. Da nun auch der deutsche Land¬
wirtschaftsrat den Reichskanzler ersucht hat, sämtliche Bundesregierungen zu Er¬
hebungen, und zwar nach einem möglichst einheitlichen System, darüber zu ver¬
mögen: a) wie hoch die gegenwärtige hypothekarische Verschuldung des ländlichen
Grundbesitzes und b) wie hoch die gegenwärtige Belastung des ländlichen Grund¬
besitzes mit staatlichen, kommunalen, Genossenschafts- und ähnlichen Lasten sich
gestaltet hat, so dürfte es am Platze sein, die Möglichkeit ins Auge zu fassen,
daß über kurz oder lang sämtliche Bundesstaaten mehr oder minder eingehende
Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft machen werden, wobei jedenfalls
die badischen Erhebungen als Vorbild dienen werden.*)



*) Nur in Elsaß-Lothringen, wo eine Enquete schon im Gange ist, hat man allerdings
ein andres Vorbild gewählt, nämlich die französische Ackerbau-Enquete von 1866, weil die
im Lande schon bekannte Form derselben die meiste Aussicht auf Erfolg zu bieten schien.
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[0453] Die landwirtschaftliche Muster-Enquete in Baden. historisches Element anerkennt und eben darum das Bürgertum rein und stark erhalten zu sehen wünscht, der kann die Neuerung nur freudig begrüßen. Nun wird es nicht mehr vorkommen, daß ein Ordensritter, welcher grundsätzlich von seinem Ansprüche keinen Gebrauch gemacht hatte, auf das Ansuchen seiner Kinder noch im Grabe zum Ritter geschlagen wird! Man hätte glauben sollen, die ja in ihrer großen Mehrheit sehr fort¬ schrittlich gesinnte österreichische Presse werde die kaiserliche Entschließung un¬ gefähr in unserm Sinne besprechen. Doch merkwürdigerweise hat sie sich zum Teil in ein Schweigen gehüllt, welches auf schmerzliche Empfindungen zu deuten scheint, zum Teil aber bekrittelt, daß die Aristokratie sich abschließen wolle. Auch das sei ein Zeichen der in allen Richtungen thätigen — Reaktion! Also wenn es nach den demokratischen Staatsmännern ginge, würde wahrscheinlich, über Ungarn und Polen hinaus, die ganze Bevölkerung in den Adelsstand er¬ hoben werden, auch Wohl noch sechzehn Ahnen geschenkt erhalten, um dem Ideal der Gleichheit und Brüderlichkeit nähergebracht zu werden. Ob das eine bessere Schutzwehr gegen das Entstehen einer Aristokratie sein würde, als das Verbot der Adelsprädikate in den Republiken? Die landwirtschaftliche Muster-Enquete in Baden. le allgemein bekannt sein dürfte, hat das königlich preußische Landesvkonomiekolleginm im verflossenen Frühjahre an den Land¬ wirtschaftsminister das Ersuchen gerichtet, eine detaillirte Auf¬ nahme über die allgemeine Lage des ländlichen Grundbesitzes in einzelnen typischen kleineren Bezirken nach dem Muster der neuesten badischen Erhebungen vornehmen zu lassen. Da nun auch der deutsche Land¬ wirtschaftsrat den Reichskanzler ersucht hat, sämtliche Bundesregierungen zu Er¬ hebungen, und zwar nach einem möglichst einheitlichen System, darüber zu ver¬ mögen: a) wie hoch die gegenwärtige hypothekarische Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes und b) wie hoch die gegenwärtige Belastung des ländlichen Grund¬ besitzes mit staatlichen, kommunalen, Genossenschafts- und ähnlichen Lasten sich gestaltet hat, so dürfte es am Platze sein, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß über kurz oder lang sämtliche Bundesstaaten mehr oder minder eingehende Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft machen werden, wobei jedenfalls die badischen Erhebungen als Vorbild dienen werden.*) *) Nur in Elsaß-Lothringen, wo eine Enquete schon im Gange ist, hat man allerdings ein andres Vorbild gewählt, nämlich die französische Ackerbau-Enquete von 1866, weil die im Lande schon bekannte Form derselben die meiste Aussicht auf Erfolg zu bieten schien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/453>, abgerufen am 27.09.2024.