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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Politische Erbschaften können bekanntlich nicht mit dem dencüomm invvir-
t-nil angetreten werden -- man muß sie in Besitz nehmen, wie sie gehen und
stehen. Das zweite französische Kaiserthum erbte von der Präsidentschaft die Sorge
für die weltliche Macht des Papstthums, die Louis Napoleon im I. 1849 über¬
nommen hatte, um die klerikale Partei in Frankreich für die Zwecke seiner
inneren Politik zu gewinnen. Darüber sind viele Jahre vergangen, der Krim¬
krieg ist inzwischen geführt, Oestreich aus Italien verdrängt, die italienische
Einheit begründet, die mexikanische Tragödie inscenirt, endlich das Natio¬
nalitätsprinzip verkündet und Preußen in die Reihe der mächtigsten europäi¬
schen Staaten erhoben worden. Die Consequenzen der römischen Expedition
glaubte man längst mit der Abschlagszahlung der Scptemberconvention befrie¬
digt und aus der Weli geschafft zu haben. Da drängt sich gerade in dem
Augenblick, wo der Kaiser das Murren seines Volks über das an Preußen ver¬
lorene Prestige beschwichtigt und nach manchem sorgenvollen Tage einen Augen¬
blick der Sammlung erreicht zu haben glaubte, die weltliche Macht des Papst¬
thums wieder vor und präsentirt den Wechsel, der ihm vor neunzehn Jahren
ausgestellt worden. Zum zweitenmal werden französische Soldaten über das
Meer gesendet, um die italienischen Patrioten von den Mauern Roms zurück¬
zudrängen, und noch bevor es dem Marquis de Moustier gelungen, eine euro¬
päische Konferenz zusammenzuberufen und in die Hände dieser das lästige In-
ventarstück von 1849 niederzulegen, haben die Macht der Umstände und die
Konsequenz der Sache die Regierung gezwungen, sich durch den Mund des
Ministers Nouher von jeder Gemeinschaft mit dem Nationalitätsprinzip loszu¬
sagen, ein neues Bündniß mit dem neunten Pius zu schließen und durch die
Erklärung "Rom soll niemals italienisch werden", den Lebensfaden guter Be¬
ziehungen zum florentiner Cabinet zu durchschneiden!

Diese neue Wendung, welche Frankreichs auswärtige Politik genommen hat,
ist so unerwartet gekommen, daß weder die übrigen europäischen Staaten, noch
auch die französischen Parteien Zeit gehabt haben, feste Position zu fasse".
Die Großmächte haben sich begnügt, aus dem Geschehenen den kurzen Schluß
zu ziehen: die Conserenz kommt nicht zu Stande. In den Reihen der Oppo-
sitionsmänner des vvips Ivgislutit ist von gemeinschaftlichen Beschlüssen da¬
gegen nicht mehr die Rede, unter denselben herrscht eine Verwirrung, die aufs
Neue den Beweis führt, wie ohnmächtig eine Partei ist, die keinem positiven


Gleuzboten IV. 18K7, l!5

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Politische Erbschaften können bekanntlich nicht mit dem dencüomm invvir-
t-nil angetreten werden — man muß sie in Besitz nehmen, wie sie gehen und
stehen. Das zweite französische Kaiserthum erbte von der Präsidentschaft die Sorge
für die weltliche Macht des Papstthums, die Louis Napoleon im I. 1849 über¬
nommen hatte, um die klerikale Partei in Frankreich für die Zwecke seiner
inneren Politik zu gewinnen. Darüber sind viele Jahre vergangen, der Krim¬
krieg ist inzwischen geführt, Oestreich aus Italien verdrängt, die italienische
Einheit begründet, die mexikanische Tragödie inscenirt, endlich das Natio¬
nalitätsprinzip verkündet und Preußen in die Reihe der mächtigsten europäi¬
schen Staaten erhoben worden. Die Consequenzen der römischen Expedition
glaubte man längst mit der Abschlagszahlung der Scptemberconvention befrie¬
digt und aus der Weli geschafft zu haben. Da drängt sich gerade in dem
Augenblick, wo der Kaiser das Murren seines Volks über das an Preußen ver¬
lorene Prestige beschwichtigt und nach manchem sorgenvollen Tage einen Augen¬
blick der Sammlung erreicht zu haben glaubte, die weltliche Macht des Papst¬
thums wieder vor und präsentirt den Wechsel, der ihm vor neunzehn Jahren
ausgestellt worden. Zum zweitenmal werden französische Soldaten über das
Meer gesendet, um die italienischen Patrioten von den Mauern Roms zurück¬
zudrängen, und noch bevor es dem Marquis de Moustier gelungen, eine euro¬
päische Konferenz zusammenzuberufen und in die Hände dieser das lästige In-
ventarstück von 1849 niederzulegen, haben die Macht der Umstände und die
Konsequenz der Sache die Regierung gezwungen, sich durch den Mund des
Ministers Nouher von jeder Gemeinschaft mit dem Nationalitätsprinzip loszu¬
sagen, ein neues Bündniß mit dem neunten Pius zu schließen und durch die
Erklärung „Rom soll niemals italienisch werden", den Lebensfaden guter Be¬
ziehungen zum florentiner Cabinet zu durchschneiden!

Diese neue Wendung, welche Frankreichs auswärtige Politik genommen hat,
ist so unerwartet gekommen, daß weder die übrigen europäischen Staaten, noch
auch die französischen Parteien Zeit gehabt haben, feste Position zu fasse».
Die Großmächte haben sich begnügt, aus dem Geschehenen den kurzen Schluß
zu ziehen: die Conserenz kommt nicht zu Stande. In den Reihen der Oppo-
sitionsmänner des vvips Ivgislutit ist von gemeinschaftlichen Beschlüssen da¬
gegen nicht mehr die Rede, unter denselben herrscht eine Verwirrung, die aufs
Neue den Beweis führt, wie ohnmächtig eine Partei ist, die keinem positiven


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[0513] X Politische Erbschaften können bekanntlich nicht mit dem dencüomm invvir- t-nil angetreten werden — man muß sie in Besitz nehmen, wie sie gehen und stehen. Das zweite französische Kaiserthum erbte von der Präsidentschaft die Sorge für die weltliche Macht des Papstthums, die Louis Napoleon im I. 1849 über¬ nommen hatte, um die klerikale Partei in Frankreich für die Zwecke seiner inneren Politik zu gewinnen. Darüber sind viele Jahre vergangen, der Krim¬ krieg ist inzwischen geführt, Oestreich aus Italien verdrängt, die italienische Einheit begründet, die mexikanische Tragödie inscenirt, endlich das Natio¬ nalitätsprinzip verkündet und Preußen in die Reihe der mächtigsten europäi¬ schen Staaten erhoben worden. Die Consequenzen der römischen Expedition glaubte man längst mit der Abschlagszahlung der Scptemberconvention befrie¬ digt und aus der Weli geschafft zu haben. Da drängt sich gerade in dem Augenblick, wo der Kaiser das Murren seines Volks über das an Preußen ver¬ lorene Prestige beschwichtigt und nach manchem sorgenvollen Tage einen Augen¬ blick der Sammlung erreicht zu haben glaubte, die weltliche Macht des Papst¬ thums wieder vor und präsentirt den Wechsel, der ihm vor neunzehn Jahren ausgestellt worden. Zum zweitenmal werden französische Soldaten über das Meer gesendet, um die italienischen Patrioten von den Mauern Roms zurück¬ zudrängen, und noch bevor es dem Marquis de Moustier gelungen, eine euro¬ päische Konferenz zusammenzuberufen und in die Hände dieser das lästige In- ventarstück von 1849 niederzulegen, haben die Macht der Umstände und die Konsequenz der Sache die Regierung gezwungen, sich durch den Mund des Ministers Nouher von jeder Gemeinschaft mit dem Nationalitätsprinzip loszu¬ sagen, ein neues Bündniß mit dem neunten Pius zu schließen und durch die Erklärung „Rom soll niemals italienisch werden", den Lebensfaden guter Be¬ ziehungen zum florentiner Cabinet zu durchschneiden! Diese neue Wendung, welche Frankreichs auswärtige Politik genommen hat, ist so unerwartet gekommen, daß weder die übrigen europäischen Staaten, noch auch die französischen Parteien Zeit gehabt haben, feste Position zu fasse». Die Großmächte haben sich begnügt, aus dem Geschehenen den kurzen Schluß zu ziehen: die Conserenz kommt nicht zu Stande. In den Reihen der Oppo- sitionsmänner des vvips Ivgislutit ist von gemeinschaftlichen Beschlüssen da¬ gegen nicht mehr die Rede, unter denselben herrscht eine Verwirrung, die aufs Neue den Beweis führt, wie ohnmächtig eine Partei ist, die keinem positiven Gleuzboten IV. 18K7, l!5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/513>, abgerufen am 27.09.2024.