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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Ans Schwaben.

Wen" es noch eines Belegs bedurft hätte, wie richtig es von der liberalen
Partei in Schwaben gehandelt war, sich auf Grund des nationalen Programms
neu zu constituiren, auch auf die Gefahr hin, sich damit von ihren extrem-
demokratischen und großdeutschcn Elementen zu trennen, so hätte die Feier,
welche am Jahrestag der Verkündigung der deutschen Reichsverfassung in
Stuttgart gehalten wurde, diesen Beleg geliefert. Es war nicht zu verkennen,
daß lange Zeit mehr von Seile der Landbevölkerung auf den rückhaltlosen
Anschluß an die Nationalpartei gedrungen wurde, der Widerstand dagegen in
der Hauptstadt seinen Sitz hatte. Manches mochte davon aus Rechnung des
allgemeinen Charakters einer hauptstädtischen Bevölkerung kommen, Manches
auf persönliche Verhältnisse, und auf den Umstand, daß wie die Führer des
Liberalismus überhaupt, so auch die Führer jener Fraktion der Hauptstadt an¬
gehören, die an den natürlichen Stimmungen und Neigungen derselben einen
Rückhalt besaßen. Hatte schon der Nationalverein unter solchen Umständen in
Stuttgart ein ziemlich dürftiges Leben gefristet, so schien es ihm um so bedenk¬
licher, bei diesem Anlaß an die politische Gesinnung der hauptstädtischen Be¬
völkerung zu appelliren, als der Gegenstand der Feier, die Reichsverfassung,
eben das Hauptvbject des Kampfs in Eßlingen, damit die Ursache mancher
persönlichen Verbitterung war, und bei der jetzigen politischen Lage eine rein
festliche, über sonstige Meinungsverschiedenheiten mit Begeisterung hinaustra¬
gende Stimmung nicht wohl erzeugen konnte. Das Comitv der Partei hatte
sich deshalb, indem es die Einladung zu dem Banket erließ, keinen großen
Hoffnungen hingegeben. Es sollte seine Erwartungen weit übertreffen sehen-
In der That war der Erfolg ein vollständiger, sowohl hinsichtlich der über¬
raschend großen Zahl der Theilnehmer, als hinsichtlich des Geistes, der sich in
der Versammlung aussprach. Die Beschlüsse der cßlinger Versammlung haben
wirklich die liberale Meinung des Landes hinter sich -- dies war der allge¬
meine Eindruck, den wir auch diesmal davon trugen. Der Neubildung der
Partei auf Grund des nationalen Programms ward das Siegel aufgedrückt.

Ich gebe Ihnen keine Analyse der von Hölder und den beiden Seeger ge¬
haltenen Reden. Sie waren der Feier und der politischen Lage durchaus
angemessen, aber man wird anderwärts dieselben Reden gehört haben, und
das dramatische Interesse, das z. B. die eßlinger Versammlung bot, fehlte


Ans Schwaben.

Wen» es noch eines Belegs bedurft hätte, wie richtig es von der liberalen
Partei in Schwaben gehandelt war, sich auf Grund des nationalen Programms
neu zu constituiren, auch auf die Gefahr hin, sich damit von ihren extrem-
demokratischen und großdeutschcn Elementen zu trennen, so hätte die Feier,
welche am Jahrestag der Verkündigung der deutschen Reichsverfassung in
Stuttgart gehalten wurde, diesen Beleg geliefert. Es war nicht zu verkennen,
daß lange Zeit mehr von Seile der Landbevölkerung auf den rückhaltlosen
Anschluß an die Nationalpartei gedrungen wurde, der Widerstand dagegen in
der Hauptstadt seinen Sitz hatte. Manches mochte davon aus Rechnung des
allgemeinen Charakters einer hauptstädtischen Bevölkerung kommen, Manches
auf persönliche Verhältnisse, und auf den Umstand, daß wie die Führer des
Liberalismus überhaupt, so auch die Führer jener Fraktion der Hauptstadt an¬
gehören, die an den natürlichen Stimmungen und Neigungen derselben einen
Rückhalt besaßen. Hatte schon der Nationalverein unter solchen Umständen in
Stuttgart ein ziemlich dürftiges Leben gefristet, so schien es ihm um so bedenk¬
licher, bei diesem Anlaß an die politische Gesinnung der hauptstädtischen Be¬
völkerung zu appelliren, als der Gegenstand der Feier, die Reichsverfassung,
eben das Hauptvbject des Kampfs in Eßlingen, damit die Ursache mancher
persönlichen Verbitterung war, und bei der jetzigen politischen Lage eine rein
festliche, über sonstige Meinungsverschiedenheiten mit Begeisterung hinaustra¬
gende Stimmung nicht wohl erzeugen konnte. Das Comitv der Partei hatte
sich deshalb, indem es die Einladung zu dem Banket erließ, keinen großen
Hoffnungen hingegeben. Es sollte seine Erwartungen weit übertreffen sehen-
In der That war der Erfolg ein vollständiger, sowohl hinsichtlich der über¬
raschend großen Zahl der Theilnehmer, als hinsichtlich des Geistes, der sich in
der Versammlung aussprach. Die Beschlüsse der cßlinger Versammlung haben
wirklich die liberale Meinung des Landes hinter sich — dies war der allge¬
meine Eindruck, den wir auch diesmal davon trugen. Der Neubildung der
Partei auf Grund des nationalen Programms ward das Siegel aufgedrückt.

Ich gebe Ihnen keine Analyse der von Hölder und den beiden Seeger ge¬
haltenen Reden. Sie waren der Feier und der politischen Lage durchaus
angemessen, aber man wird anderwärts dieselben Reden gehört haben, und
das dramatische Interesse, das z. B. die eßlinger Versammlung bot, fehlte


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[0098] Ans Schwaben. Wen» es noch eines Belegs bedurft hätte, wie richtig es von der liberalen Partei in Schwaben gehandelt war, sich auf Grund des nationalen Programms neu zu constituiren, auch auf die Gefahr hin, sich damit von ihren extrem- demokratischen und großdeutschcn Elementen zu trennen, so hätte die Feier, welche am Jahrestag der Verkündigung der deutschen Reichsverfassung in Stuttgart gehalten wurde, diesen Beleg geliefert. Es war nicht zu verkennen, daß lange Zeit mehr von Seile der Landbevölkerung auf den rückhaltlosen Anschluß an die Nationalpartei gedrungen wurde, der Widerstand dagegen in der Hauptstadt seinen Sitz hatte. Manches mochte davon aus Rechnung des allgemeinen Charakters einer hauptstädtischen Bevölkerung kommen, Manches auf persönliche Verhältnisse, und auf den Umstand, daß wie die Führer des Liberalismus überhaupt, so auch die Führer jener Fraktion der Hauptstadt an¬ gehören, die an den natürlichen Stimmungen und Neigungen derselben einen Rückhalt besaßen. Hatte schon der Nationalverein unter solchen Umständen in Stuttgart ein ziemlich dürftiges Leben gefristet, so schien es ihm um so bedenk¬ licher, bei diesem Anlaß an die politische Gesinnung der hauptstädtischen Be¬ völkerung zu appelliren, als der Gegenstand der Feier, die Reichsverfassung, eben das Hauptvbject des Kampfs in Eßlingen, damit die Ursache mancher persönlichen Verbitterung war, und bei der jetzigen politischen Lage eine rein festliche, über sonstige Meinungsverschiedenheiten mit Begeisterung hinaustra¬ gende Stimmung nicht wohl erzeugen konnte. Das Comitv der Partei hatte sich deshalb, indem es die Einladung zu dem Banket erließ, keinen großen Hoffnungen hingegeben. Es sollte seine Erwartungen weit übertreffen sehen- In der That war der Erfolg ein vollständiger, sowohl hinsichtlich der über¬ raschend großen Zahl der Theilnehmer, als hinsichtlich des Geistes, der sich in der Versammlung aussprach. Die Beschlüsse der cßlinger Versammlung haben wirklich die liberale Meinung des Landes hinter sich — dies war der allge¬ meine Eindruck, den wir auch diesmal davon trugen. Der Neubildung der Partei auf Grund des nationalen Programms ward das Siegel aufgedrückt. Ich gebe Ihnen keine Analyse der von Hölder und den beiden Seeger ge¬ haltenen Reden. Sie waren der Feier und der politischen Lage durchaus angemessen, aber man wird anderwärts dieselben Reden gehört haben, und das dramatische Interesse, das z. B. die eßlinger Versammlung bot, fehlte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/98>, abgerufen am 27.09.2024.