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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Wittum Pitts Leben von Lord Stanhope.

Vier Bände. London 1861--62.

Es ist auffallend, daß wir bisher noch reine Biographie von William
Pitt. dem letzten der großen Dynastie britischer Staatsmänner des achtzehnten
Jahrhunderts', besaßen, die des Namens werth war. Das Wert von Bischof
Tomlier. dem Erzieher und spätern Günstling Pitts ist eine kritiklose und weit¬
schweifige Compilation. die nur dadurch Bedeutung erhielt, daß dem Verfasser
sämmtliche Papiere des Ministers nach dessen testamentarischer Verfügung zu
Gebote standen; erst Lord Stanhope verdanken wir eine unparteiische und
würdige Geschichte des großen Sohnes Ehathams. Der Verfasser der Geschichte
Englands vom utrechter bis zum versaiiler Frieden war hierzu vorzugsweise
geeignet, er kannte die ganze Zeit genau und hatte seine historische Feder be¬
währt, er war auch durch seine Verwandtschaft mit Pitts Familie in der Lage,
viele merkwürdige unbekannte Schriftstücke zu benutzen. Das Werk umfaßt
vier starke Bände, wie es denn auch kaum möglich, das Leben Pitts kurz zu
erzählen, denn seine Geschichte ist die Geschichte der Regierung seines Landes,
ja seiner Zeit. Der Biograph ist also genöthigt, auf die ganze Epoche der
französischen Revolution einzugehen, ohne doch seiner Darstellung die objective
Gründlichkeit geben zu können, welche sie erst zu einer wirklichen Geschichte machen
würde. Außerdem besitzt aber Lord Stanhope nicht die Kunst des Verfassers des
Agricola. er bietet keine in sich abgerundete Erzählung des Lebens Pitts. sondern
vielmehr Denkwürdigkeiten des großen britischen Staatsmanns, bei denen er
"se über geringfügige Dinge in ermüdende Breite geht, er ist mit einem Wort
wehr biographischer Annalist als Biograph. Aber als Quelle der Zeitgeschichte
'se sein Werk eine wahre Fundgrube und ebenso unparteiisch als zuverlässig
ehalten. Wir wollen versuchen, ohne ihm in die Einzelheiten zu folgen, ein
^escnnmtbild seines Helden zu gewinnen.

William Pitt. der zweite Sohn Lord Ehathams, ward am 28. Mai 1759
^hören. Frühzeitig reif, zeigte er eine große Lernbegierde und überholte seinen
"item Bruder rasch. Lady Holland, die Mutter von Fox. sagte von dem acht-
lübrigen Knaben voraus: "dies kluge Kind wird ein Dorn in Eharles Seite
sein." -- se^se sah^t früh eine Ahnung seines Berufs zu haben, denn
schon als sein Vater Peer wurde, äußerte er: "ich freue much. daß ich nicht
der älteste Sohn bin, ich will im Haus der Gemeinen sprechen, wie Papa!"
Mit vierzehn Jahren schrieb er eine Tragödie, die nach Macaulays Urtheil
Zwar sehr schlecht, aber dadurch merkwürdig ist. daß sie aus lauter Politik be-


Wittum Pitts Leben von Lord Stanhope.

Vier Bände. London 1861—62.

Es ist auffallend, daß wir bisher noch reine Biographie von William
Pitt. dem letzten der großen Dynastie britischer Staatsmänner des achtzehnten
Jahrhunderts', besaßen, die des Namens werth war. Das Wert von Bischof
Tomlier. dem Erzieher und spätern Günstling Pitts ist eine kritiklose und weit¬
schweifige Compilation. die nur dadurch Bedeutung erhielt, daß dem Verfasser
sämmtliche Papiere des Ministers nach dessen testamentarischer Verfügung zu
Gebote standen; erst Lord Stanhope verdanken wir eine unparteiische und
würdige Geschichte des großen Sohnes Ehathams. Der Verfasser der Geschichte
Englands vom utrechter bis zum versaiiler Frieden war hierzu vorzugsweise
geeignet, er kannte die ganze Zeit genau und hatte seine historische Feder be¬
währt, er war auch durch seine Verwandtschaft mit Pitts Familie in der Lage,
viele merkwürdige unbekannte Schriftstücke zu benutzen. Das Werk umfaßt
vier starke Bände, wie es denn auch kaum möglich, das Leben Pitts kurz zu
erzählen, denn seine Geschichte ist die Geschichte der Regierung seines Landes,
ja seiner Zeit. Der Biograph ist also genöthigt, auf die ganze Epoche der
französischen Revolution einzugehen, ohne doch seiner Darstellung die objective
Gründlichkeit geben zu können, welche sie erst zu einer wirklichen Geschichte machen
würde. Außerdem besitzt aber Lord Stanhope nicht die Kunst des Verfassers des
Agricola. er bietet keine in sich abgerundete Erzählung des Lebens Pitts. sondern
vielmehr Denkwürdigkeiten des großen britischen Staatsmanns, bei denen er
»se über geringfügige Dinge in ermüdende Breite geht, er ist mit einem Wort
wehr biographischer Annalist als Biograph. Aber als Quelle der Zeitgeschichte
'se sein Werk eine wahre Fundgrube und ebenso unparteiisch als zuverlässig
ehalten. Wir wollen versuchen, ohne ihm in die Einzelheiten zu folgen, ein
^escnnmtbild seines Helden zu gewinnen.

William Pitt. der zweite Sohn Lord Ehathams, ward am 28. Mai 1759
^hören. Frühzeitig reif, zeigte er eine große Lernbegierde und überholte seinen
"item Bruder rasch. Lady Holland, die Mutter von Fox. sagte von dem acht-
lübrigen Knaben voraus: „dies kluge Kind wird ein Dorn in Eharles Seite
sein.« — se^se sah^t früh eine Ahnung seines Berufs zu haben, denn
schon als sein Vater Peer wurde, äußerte er: „ich freue much. daß ich nicht
der älteste Sohn bin, ich will im Haus der Gemeinen sprechen, wie Papa!"
Mit vierzehn Jahren schrieb er eine Tragödie, die nach Macaulays Urtheil
Zwar sehr schlecht, aber dadurch merkwürdig ist. daß sie aus lauter Politik be-


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[0051] Wittum Pitts Leben von Lord Stanhope. Vier Bände. London 1861—62. Es ist auffallend, daß wir bisher noch reine Biographie von William Pitt. dem letzten der großen Dynastie britischer Staatsmänner des achtzehnten Jahrhunderts', besaßen, die des Namens werth war. Das Wert von Bischof Tomlier. dem Erzieher und spätern Günstling Pitts ist eine kritiklose und weit¬ schweifige Compilation. die nur dadurch Bedeutung erhielt, daß dem Verfasser sämmtliche Papiere des Ministers nach dessen testamentarischer Verfügung zu Gebote standen; erst Lord Stanhope verdanken wir eine unparteiische und würdige Geschichte des großen Sohnes Ehathams. Der Verfasser der Geschichte Englands vom utrechter bis zum versaiiler Frieden war hierzu vorzugsweise geeignet, er kannte die ganze Zeit genau und hatte seine historische Feder be¬ währt, er war auch durch seine Verwandtschaft mit Pitts Familie in der Lage, viele merkwürdige unbekannte Schriftstücke zu benutzen. Das Werk umfaßt vier starke Bände, wie es denn auch kaum möglich, das Leben Pitts kurz zu erzählen, denn seine Geschichte ist die Geschichte der Regierung seines Landes, ja seiner Zeit. Der Biograph ist also genöthigt, auf die ganze Epoche der französischen Revolution einzugehen, ohne doch seiner Darstellung die objective Gründlichkeit geben zu können, welche sie erst zu einer wirklichen Geschichte machen würde. Außerdem besitzt aber Lord Stanhope nicht die Kunst des Verfassers des Agricola. er bietet keine in sich abgerundete Erzählung des Lebens Pitts. sondern vielmehr Denkwürdigkeiten des großen britischen Staatsmanns, bei denen er »se über geringfügige Dinge in ermüdende Breite geht, er ist mit einem Wort wehr biographischer Annalist als Biograph. Aber als Quelle der Zeitgeschichte 'se sein Werk eine wahre Fundgrube und ebenso unparteiisch als zuverlässig ehalten. Wir wollen versuchen, ohne ihm in die Einzelheiten zu folgen, ein ^escnnmtbild seines Helden zu gewinnen. William Pitt. der zweite Sohn Lord Ehathams, ward am 28. Mai 1759 ^hören. Frühzeitig reif, zeigte er eine große Lernbegierde und überholte seinen "item Bruder rasch. Lady Holland, die Mutter von Fox. sagte von dem acht- lübrigen Knaben voraus: „dies kluge Kind wird ein Dorn in Eharles Seite sein.« — se^se sah^t früh eine Ahnung seines Berufs zu haben, denn schon als sein Vater Peer wurde, äußerte er: „ich freue much. daß ich nicht der älteste Sohn bin, ich will im Haus der Gemeinen sprechen, wie Papa!" Mit vierzehn Jahren schrieb er eine Tragödie, die nach Macaulays Urtheil Zwar sehr schlecht, aber dadurch merkwürdig ist. daß sie aus lauter Politik be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/51>, abgerufen am 27.09.2024.