Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die alte" und die neuen Parteien.

Die Stellung unsrer politischen Parteien hat mit dem Jahre 1839 eine
durchgreifende Umgestaltung erfahren; damals begann der Umbiidungsproceß,
der heute vollendete Thatsache ist. So lange hatte jene Parteizcrklüftung an¬
gedauert, welche durch das Jahr 1848 geschaffen und durch das Scheitern der
damaligen Bestrebungen nur noch verschärft worden war. Heute sind zwar die
Nachwirkungen derselben keineswegs völlig verwischt, aber sie darf als innerlich
überwunden betrachtet werden.

Werfen wir einen Blick auf die Partciftellung, wie sie sich in den Tagen
des frankfurter Parlaments gebildet hatte, so springt der wesentliche .Unter¬
schied in die Augen, aber auch der wesentliche Fortschritt, den die heutige
Parteibildung bezeichnet. Gestehen wir uns, es ist der einzige Fortschritt,
dessen wir uns rühmen können, da wir abermals an einer Periode stehen, wo
der Reformdrang sich zu schwach erwiesen hat, um unter den jetzigen Verhält¬
nissen zu einem nennenswerthen äußeren Resultat zu führen, und durch das
Stadium todtgeborner Projekte hindurch vorläufig wieder zur Ruhe verwiesen
>le. Aber dieser eine Fortschritt ist bedeutend genug, um von ihm einen jener
Wendepunkte in der Geschichte unsrer nationalen Bestrebungen zu datiren. die
an sich unscheinbar erst beim Ueberblick über größere Zeiträume in ihrem vollen
^ehe erscheinen und das Bewußtsein geben, daß abermals eine Spanne Zeit
'naht vergebens zurückgelegt worden ist.

' Der Sturm, der vor fünfzehn Jahren vom Westen kam, war so jäh wie
unberechnetes Naturereignis) über das Vaterland hereingebrochen, daß die
Revolution als bloße Thatsache die Gemüther anfangs ausschließlich beschäftigte.
Ruht wie Deutschland zu constituiren, sondern wie man sich der Revolution
^genüber zu Verhalten habe, war die erste Frage, und darnach bildeten sich die
Parteien. Wie weit man das Recht der Revolution anerkennen könne, wie die
Volkssouveränetät zu fassen sei, ob man die Vereinbarung mit den Regierungen
suchen oder abweise" solle, dies waren, wie man es nannte, die principiellen



Wrenzbiiten II, ivtiö, 1
Die alte» und die neuen Parteien.

Die Stellung unsrer politischen Parteien hat mit dem Jahre 1839 eine
durchgreifende Umgestaltung erfahren; damals begann der Umbiidungsproceß,
der heute vollendete Thatsache ist. So lange hatte jene Parteizcrklüftung an¬
gedauert, welche durch das Jahr 1848 geschaffen und durch das Scheitern der
damaligen Bestrebungen nur noch verschärft worden war. Heute sind zwar die
Nachwirkungen derselben keineswegs völlig verwischt, aber sie darf als innerlich
überwunden betrachtet werden.

Werfen wir einen Blick auf die Partciftellung, wie sie sich in den Tagen
des frankfurter Parlaments gebildet hatte, so springt der wesentliche .Unter¬
schied in die Augen, aber auch der wesentliche Fortschritt, den die heutige
Parteibildung bezeichnet. Gestehen wir uns, es ist der einzige Fortschritt,
dessen wir uns rühmen können, da wir abermals an einer Periode stehen, wo
der Reformdrang sich zu schwach erwiesen hat, um unter den jetzigen Verhält¬
nissen zu einem nennenswerthen äußeren Resultat zu führen, und durch das
Stadium todtgeborner Projekte hindurch vorläufig wieder zur Ruhe verwiesen
>le. Aber dieser eine Fortschritt ist bedeutend genug, um von ihm einen jener
Wendepunkte in der Geschichte unsrer nationalen Bestrebungen zu datiren. die
an sich unscheinbar erst beim Ueberblick über größere Zeiträume in ihrem vollen
^ehe erscheinen und das Bewußtsein geben, daß abermals eine Spanne Zeit
'naht vergebens zurückgelegt worden ist.

' Der Sturm, der vor fünfzehn Jahren vom Westen kam, war so jäh wie
unberechnetes Naturereignis) über das Vaterland hereingebrochen, daß die
Revolution als bloße Thatsache die Gemüther anfangs ausschließlich beschäftigte.
Ruht wie Deutschland zu constituiren, sondern wie man sich der Revolution
^genüber zu Verhalten habe, war die erste Frage, und darnach bildeten sich die
Parteien. Wie weit man das Recht der Revolution anerkennen könne, wie die
Volkssouveränetät zu fassen sei, ob man die Vereinbarung mit den Regierungen
suchen oder abweise» solle, dies waren, wie man es nannte, die principiellen



Wrenzbiiten II, ivtiö, 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0005" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188032"/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die alte» und die neuen Parteien.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_7"> Die Stellung unsrer politischen Parteien hat mit dem Jahre 1839 eine<lb/>
durchgreifende Umgestaltung erfahren; damals begann der Umbiidungsproceß,<lb/>
der heute vollendete Thatsache ist. So lange hatte jene Parteizcrklüftung an¬<lb/>
gedauert, welche durch das Jahr 1848 geschaffen und durch das Scheitern der<lb/>
damaligen Bestrebungen nur noch verschärft worden war. Heute sind zwar die<lb/>
Nachwirkungen derselben keineswegs völlig verwischt, aber sie darf als innerlich<lb/>
überwunden betrachtet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8"> Werfen wir einen Blick auf die Partciftellung, wie sie sich in den Tagen<lb/>
des frankfurter Parlaments gebildet hatte, so springt der wesentliche .Unter¬<lb/>
schied in die Augen, aber auch der wesentliche Fortschritt, den die heutige<lb/>
Parteibildung bezeichnet. Gestehen wir uns, es ist der einzige Fortschritt,<lb/>
dessen wir uns rühmen können, da wir abermals an einer Periode stehen, wo<lb/>
der Reformdrang sich zu schwach erwiesen hat, um unter den jetzigen Verhält¬<lb/>
nissen zu einem nennenswerthen äußeren Resultat zu führen, und durch das<lb/>
Stadium todtgeborner Projekte hindurch vorläufig wieder zur Ruhe verwiesen<lb/>
&gt;le. Aber dieser eine Fortschritt ist bedeutend genug, um von ihm einen jener<lb/>
Wendepunkte in der Geschichte unsrer nationalen Bestrebungen zu datiren. die<lb/>
an sich unscheinbar erst beim Ueberblick über größere Zeiträume in ihrem vollen<lb/>
^ehe erscheinen und das Bewußtsein geben, daß abermals eine Spanne Zeit<lb/>
'naht vergebens zurückgelegt worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_9" next="#ID_10"> ' Der Sturm, der vor fünfzehn Jahren vom Westen kam, war so jäh wie<lb/>
unberechnetes Naturereignis) über das Vaterland hereingebrochen, daß die<lb/>
Revolution als bloße Thatsache die Gemüther anfangs ausschließlich beschäftigte.<lb/>
Ruht wie Deutschland zu constituiren, sondern wie man sich der Revolution<lb/>
^genüber zu Verhalten habe, war die erste Frage, und darnach bildeten sich die<lb/>
Parteien. Wie weit man das Recht der Revolution anerkennen könne, wie die<lb/>
Volkssouveränetät zu fassen sei, ob man die Vereinbarung mit den Regierungen<lb/>
suchen oder abweise» solle, dies waren, wie man es nannte, die principiellen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_2" place="foot"> Wrenzbiiten II, ivtiö, 1</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0005] Die alte» und die neuen Parteien. Die Stellung unsrer politischen Parteien hat mit dem Jahre 1839 eine durchgreifende Umgestaltung erfahren; damals begann der Umbiidungsproceß, der heute vollendete Thatsache ist. So lange hatte jene Parteizcrklüftung an¬ gedauert, welche durch das Jahr 1848 geschaffen und durch das Scheitern der damaligen Bestrebungen nur noch verschärft worden war. Heute sind zwar die Nachwirkungen derselben keineswegs völlig verwischt, aber sie darf als innerlich überwunden betrachtet werden. Werfen wir einen Blick auf die Partciftellung, wie sie sich in den Tagen des frankfurter Parlaments gebildet hatte, so springt der wesentliche .Unter¬ schied in die Augen, aber auch der wesentliche Fortschritt, den die heutige Parteibildung bezeichnet. Gestehen wir uns, es ist der einzige Fortschritt, dessen wir uns rühmen können, da wir abermals an einer Periode stehen, wo der Reformdrang sich zu schwach erwiesen hat, um unter den jetzigen Verhält¬ nissen zu einem nennenswerthen äußeren Resultat zu führen, und durch das Stadium todtgeborner Projekte hindurch vorläufig wieder zur Ruhe verwiesen >le. Aber dieser eine Fortschritt ist bedeutend genug, um von ihm einen jener Wendepunkte in der Geschichte unsrer nationalen Bestrebungen zu datiren. die an sich unscheinbar erst beim Ueberblick über größere Zeiträume in ihrem vollen ^ehe erscheinen und das Bewußtsein geben, daß abermals eine Spanne Zeit 'naht vergebens zurückgelegt worden ist. ' Der Sturm, der vor fünfzehn Jahren vom Westen kam, war so jäh wie unberechnetes Naturereignis) über das Vaterland hereingebrochen, daß die Revolution als bloße Thatsache die Gemüther anfangs ausschließlich beschäftigte. Ruht wie Deutschland zu constituiren, sondern wie man sich der Revolution ^genüber zu Verhalten habe, war die erste Frage, und darnach bildeten sich die Parteien. Wie weit man das Recht der Revolution anerkennen könne, wie die Volkssouveränetät zu fassen sei, ob man die Vereinbarung mit den Regierungen suchen oder abweise» solle, dies waren, wie man es nannte, die principiellen Wrenzbiiten II, ivtiö, 1

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/5
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/5>, abgerufen am 27.09.2024.