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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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politischen Strömungen des großen Vaterlandes schlagen ihre leisen Wellen bis
hierher: beide Zeitungen baben sich dem berliner Protest angeschlossen und da¬
für die erste Verwarnung erhalten.

Noch zwei Curiosa: Herrn Linocnberg nennen wir schon den unsern; er ist
Kreuzzeitungscorrespondent und Polizeidistrictscvmmissar zu Meseritz, und seine
Partei hat sich bei ihm dafür zu bedanken, daß dort an Stelle des frühern
Abgeordneten Freiherrn Hiller von Gärtringen der fvrtgeschrittne Ziegert
gewählt ward. Jetzt sollen wir auch die Freude haben, Herrn Patzte bei uns
zu begrüßen. Er kommt als Director ans Zuchthaus zu Nawicz; indessen
verlautet hier etwas, als sei von den Prvvinzialbehörden gegen die Ernennung
remonstrirt worden; weil die etwas desolaten Verhältnisse der Anstalt eine um¬
sichtige und erfahrne Dirigcntenhand heischen.

Selbst wenn die Herren Guttry und Dzialynski dabei verharren, ihre Man¬
date nicht niederzulegen, sind bei uns deren drei oder vier erledigt. Zu dem
einen meldet sich als Candidat der Fortschrittspartei der Prcmierlicutenant
a. D. und Feldmesser von Knobelsdorsf. In seinem ausführlichen Programm,
welches seine Lebensgeschichte und die Versicherung enthält, daß er vielseitig
und gründlich durchgebildet sei, sagt er zuletzt: "Mit den Verhältnissen
der Provinz bin ich genügend vertraut, da ich bereits seit Herbst 1861 hier
wohne." Wie werden die polnischen Blätter lachen, und doch ist dieser Parla-
mentscandidat immer noch sicbzigmal so lange hier als Graf v. Monta-
lembert, der außerdem weder die deutsche noch die polnische Sprache redet und
-- n. dennoch die Stirn hat, Europa über uns zu belehren.




Die Fortschritte des inneren Knnipses in Preußen.

Die wenigen Freunde Preußens, welche jetzt noch ein hoffnungsvolles Wort
wagen, haben für uns, die wir so gern auf ihre Stimme hören, doch nur leidigen
Trost bereit. Vergebens sagen sie uns, daß der innere Streit der Kräfte, welcher
jetzt den Staat in Gefahren stürzt, nichts Anderes sei, als das alte Scharlachsieber
der Legitimität. Jeder Staat von älterem Datum müsse diese Krankheit einmal
durchmachen bei dem Uebergange aus dem persönlichen zum parlamentarischen


politischen Strömungen des großen Vaterlandes schlagen ihre leisen Wellen bis
hierher: beide Zeitungen baben sich dem berliner Protest angeschlossen und da¬
für die erste Verwarnung erhalten.

Noch zwei Curiosa: Herrn Linocnberg nennen wir schon den unsern; er ist
Kreuzzeitungscorrespondent und Polizeidistrictscvmmissar zu Meseritz, und seine
Partei hat sich bei ihm dafür zu bedanken, daß dort an Stelle des frühern
Abgeordneten Freiherrn Hiller von Gärtringen der fvrtgeschrittne Ziegert
gewählt ward. Jetzt sollen wir auch die Freude haben, Herrn Patzte bei uns
zu begrüßen. Er kommt als Director ans Zuchthaus zu Nawicz; indessen
verlautet hier etwas, als sei von den Prvvinzialbehörden gegen die Ernennung
remonstrirt worden; weil die etwas desolaten Verhältnisse der Anstalt eine um¬
sichtige und erfahrne Dirigcntenhand heischen.

Selbst wenn die Herren Guttry und Dzialynski dabei verharren, ihre Man¬
date nicht niederzulegen, sind bei uns deren drei oder vier erledigt. Zu dem
einen meldet sich als Candidat der Fortschrittspartei der Prcmierlicutenant
a. D. und Feldmesser von Knobelsdorsf. In seinem ausführlichen Programm,
welches seine Lebensgeschichte und die Versicherung enthält, daß er vielseitig
und gründlich durchgebildet sei, sagt er zuletzt: „Mit den Verhältnissen
der Provinz bin ich genügend vertraut, da ich bereits seit Herbst 1861 hier
wohne." Wie werden die polnischen Blätter lachen, und doch ist dieser Parla-
mentscandidat immer noch sicbzigmal so lange hier als Graf v. Monta-
lembert, der außerdem weder die deutsche noch die polnische Sprache redet und
— n. dennoch die Stirn hat, Europa über uns zu belehren.




Die Fortschritte des inneren Knnipses in Preußen.

Die wenigen Freunde Preußens, welche jetzt noch ein hoffnungsvolles Wort
wagen, haben für uns, die wir so gern auf ihre Stimme hören, doch nur leidigen
Trost bereit. Vergebens sagen sie uns, daß der innere Streit der Kräfte, welcher
jetzt den Staat in Gefahren stürzt, nichts Anderes sei, als das alte Scharlachsieber
der Legitimität. Jeder Staat von älterem Datum müsse diese Krankheit einmal
durchmachen bei dem Uebergange aus dem persönlichen zum parlamentarischen


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[0476] politischen Strömungen des großen Vaterlandes schlagen ihre leisen Wellen bis hierher: beide Zeitungen baben sich dem berliner Protest angeschlossen und da¬ für die erste Verwarnung erhalten. Noch zwei Curiosa: Herrn Linocnberg nennen wir schon den unsern; er ist Kreuzzeitungscorrespondent und Polizeidistrictscvmmissar zu Meseritz, und seine Partei hat sich bei ihm dafür zu bedanken, daß dort an Stelle des frühern Abgeordneten Freiherrn Hiller von Gärtringen der fvrtgeschrittne Ziegert gewählt ward. Jetzt sollen wir auch die Freude haben, Herrn Patzte bei uns zu begrüßen. Er kommt als Director ans Zuchthaus zu Nawicz; indessen verlautet hier etwas, als sei von den Prvvinzialbehörden gegen die Ernennung remonstrirt worden; weil die etwas desolaten Verhältnisse der Anstalt eine um¬ sichtige und erfahrne Dirigcntenhand heischen. Selbst wenn die Herren Guttry und Dzialynski dabei verharren, ihre Man¬ date nicht niederzulegen, sind bei uns deren drei oder vier erledigt. Zu dem einen meldet sich als Candidat der Fortschrittspartei der Prcmierlicutenant a. D. und Feldmesser von Knobelsdorsf. In seinem ausführlichen Programm, welches seine Lebensgeschichte und die Versicherung enthält, daß er vielseitig und gründlich durchgebildet sei, sagt er zuletzt: „Mit den Verhältnissen der Provinz bin ich genügend vertraut, da ich bereits seit Herbst 1861 hier wohne." Wie werden die polnischen Blätter lachen, und doch ist dieser Parla- mentscandidat immer noch sicbzigmal so lange hier als Graf v. Monta- lembert, der außerdem weder die deutsche noch die polnische Sprache redet und — n. dennoch die Stirn hat, Europa über uns zu belehren. Die Fortschritte des inneren Knnipses in Preußen. Die wenigen Freunde Preußens, welche jetzt noch ein hoffnungsvolles Wort wagen, haben für uns, die wir so gern auf ihre Stimme hören, doch nur leidigen Trost bereit. Vergebens sagen sie uns, daß der innere Streit der Kräfte, welcher jetzt den Staat in Gefahren stürzt, nichts Anderes sei, als das alte Scharlachsieber der Legitimität. Jeder Staat von älterem Datum müsse diese Krankheit einmal durchmachen bei dem Uebergange aus dem persönlichen zum parlamentarischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/476>, abgerufen am 27.09.2024.