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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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G. P. Äiensseux.

Wer einen Aufenthalt in Florenz unter seine Erinnerungen zählt, dem ist
jenes alte Haus wohlbekannt, das an der Piazza ti San Trinita gelegen
einst der Familie Buvndclmonte eigen war, seit vielen Jahren aber die moderne
Inschrift trug: Mdinotw L^ilZntiliM-lLtwiÄric". In einer Reihe bequem
eingerichteter Säle fand man dort die bedeutendsten Journale und Zeitschriften
aus Italien, Frankreich und England -- Deutschland war freilich nur durch
die Allgemeine Zeitung vertreten -- ; man fühlte in diesen Räumen, daß man
sich in der gebildetsten Stadt Italiens befinde. Wer den Director des Cabinets,
den Herrn Gianpictro Vieusscux, selbst kennen lernen wollte oder, was nicht
selten der Fall war, Empfehlungen an ihn abzugeben hatte, wurde eine Treppe
höher geführt. Hier saß in einem großen Arbeitszimmer, das zugleich die
Bibliothek enthielt, der unermüdlich fleißige Mann, freundlich den Ankömm¬
ling empfangend, der, namentlich wenn er etwa zu wissenschaftlichen Zwecken
gekommen war, an Vicusseux einen einsichtigen und bereitwilligen Berather
fand. In der Regel erfolgte gleich eine Einladung zu den berühmten Sams¬
tag- (früher Donnerstag-) Abenden, wo die wissenschaftlichen Notabilitäten der
Stadt sich in zwangloser Weise zu versammeln pflegten. Als ich vor wenigen
Jahren nach Florenz kam, war Vicusseux bereits ein Achtziger. Gleichwohl
zeigte er das Bild eines geistig noch überaus rüstigen Mannes, Etwas Ehr¬
würdiges und etwas Kluges mischten sich seltsam in seinem Gesicht; zugleich
drückte sich darin ein heiteres Behagen aus, das mit Befriedigung zu sagen
schien: auch diese Räume haben das Ihrige dazu beigetragen, daß heute die
dreifarbige Fahne vom Palazzo vecchio weht! Daß in jener Zeit die Abende in
seinem Salon viel von ihrem früheren Reiz verloren hatten, lag zumeist eben
an dem politischen Umschwung, dem sie gedient hatten, der aber einmal voll¬
bracht nothwendig dem frondirenden Cirkel im Palast Buvndclmonte seine eigent¬
liche Bedeutung rauben mußte.

Worin diese Bedeutung in früherer Zeit bestand, läßt sich leichter andeuten
als beschreiben, da es sich hier weniger um bestimmte Thatsachen und Ergebnisse
handelt als um einen Jahre lang fortgesetzten Meinungsaustausch, um die
langsam aber unwiderstehlich in weitere Kreise dringenden Einwirkungen eines
persönlichen Verkehrs, dessen Mittelpunkt die liberalen Gelehrten in Florenz
bildeten. Ihnen schlössen sich die Fremden, die aus den verschiedenen Theilen
Italiens, zum Theil als Verbannte längere Zeit in Florenz zubrachten und


Grenzboten II. 1L63. 54
G. P. Äiensseux.

Wer einen Aufenthalt in Florenz unter seine Erinnerungen zählt, dem ist
jenes alte Haus wohlbekannt, das an der Piazza ti San Trinita gelegen
einst der Familie Buvndclmonte eigen war, seit vielen Jahren aber die moderne
Inschrift trug: Mdinotw L^ilZntiliM-lLtwiÄric». In einer Reihe bequem
eingerichteter Säle fand man dort die bedeutendsten Journale und Zeitschriften
aus Italien, Frankreich und England — Deutschland war freilich nur durch
die Allgemeine Zeitung vertreten — ; man fühlte in diesen Räumen, daß man
sich in der gebildetsten Stadt Italiens befinde. Wer den Director des Cabinets,
den Herrn Gianpictro Vieusscux, selbst kennen lernen wollte oder, was nicht
selten der Fall war, Empfehlungen an ihn abzugeben hatte, wurde eine Treppe
höher geführt. Hier saß in einem großen Arbeitszimmer, das zugleich die
Bibliothek enthielt, der unermüdlich fleißige Mann, freundlich den Ankömm¬
ling empfangend, der, namentlich wenn er etwa zu wissenschaftlichen Zwecken
gekommen war, an Vicusseux einen einsichtigen und bereitwilligen Berather
fand. In der Regel erfolgte gleich eine Einladung zu den berühmten Sams¬
tag- (früher Donnerstag-) Abenden, wo die wissenschaftlichen Notabilitäten der
Stadt sich in zwangloser Weise zu versammeln pflegten. Als ich vor wenigen
Jahren nach Florenz kam, war Vicusseux bereits ein Achtziger. Gleichwohl
zeigte er das Bild eines geistig noch überaus rüstigen Mannes, Etwas Ehr¬
würdiges und etwas Kluges mischten sich seltsam in seinem Gesicht; zugleich
drückte sich darin ein heiteres Behagen aus, das mit Befriedigung zu sagen
schien: auch diese Räume haben das Ihrige dazu beigetragen, daß heute die
dreifarbige Fahne vom Palazzo vecchio weht! Daß in jener Zeit die Abende in
seinem Salon viel von ihrem früheren Reiz verloren hatten, lag zumeist eben
an dem politischen Umschwung, dem sie gedient hatten, der aber einmal voll¬
bracht nothwendig dem frondirenden Cirkel im Palast Buvndclmonte seine eigent¬
liche Bedeutung rauben mußte.

Worin diese Bedeutung in früherer Zeit bestand, läßt sich leichter andeuten
als beschreiben, da es sich hier weniger um bestimmte Thatsachen und Ergebnisse
handelt als um einen Jahre lang fortgesetzten Meinungsaustausch, um die
langsam aber unwiderstehlich in weitere Kreise dringenden Einwirkungen eines
persönlichen Verkehrs, dessen Mittelpunkt die liberalen Gelehrten in Florenz
bildeten. Ihnen schlössen sich die Fremden, die aus den verschiedenen Theilen
Italiens, zum Theil als Verbannte längere Zeit in Florenz zubrachten und


Grenzboten II. 1L63. 54
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[0429] G. P. Äiensseux. Wer einen Aufenthalt in Florenz unter seine Erinnerungen zählt, dem ist jenes alte Haus wohlbekannt, das an der Piazza ti San Trinita gelegen einst der Familie Buvndclmonte eigen war, seit vielen Jahren aber die moderne Inschrift trug: Mdinotw L^ilZntiliM-lLtwiÄric». In einer Reihe bequem eingerichteter Säle fand man dort die bedeutendsten Journale und Zeitschriften aus Italien, Frankreich und England — Deutschland war freilich nur durch die Allgemeine Zeitung vertreten — ; man fühlte in diesen Räumen, daß man sich in der gebildetsten Stadt Italiens befinde. Wer den Director des Cabinets, den Herrn Gianpictro Vieusscux, selbst kennen lernen wollte oder, was nicht selten der Fall war, Empfehlungen an ihn abzugeben hatte, wurde eine Treppe höher geführt. Hier saß in einem großen Arbeitszimmer, das zugleich die Bibliothek enthielt, der unermüdlich fleißige Mann, freundlich den Ankömm¬ ling empfangend, der, namentlich wenn er etwa zu wissenschaftlichen Zwecken gekommen war, an Vicusseux einen einsichtigen und bereitwilligen Berather fand. In der Regel erfolgte gleich eine Einladung zu den berühmten Sams¬ tag- (früher Donnerstag-) Abenden, wo die wissenschaftlichen Notabilitäten der Stadt sich in zwangloser Weise zu versammeln pflegten. Als ich vor wenigen Jahren nach Florenz kam, war Vicusseux bereits ein Achtziger. Gleichwohl zeigte er das Bild eines geistig noch überaus rüstigen Mannes, Etwas Ehr¬ würdiges und etwas Kluges mischten sich seltsam in seinem Gesicht; zugleich drückte sich darin ein heiteres Behagen aus, das mit Befriedigung zu sagen schien: auch diese Räume haben das Ihrige dazu beigetragen, daß heute die dreifarbige Fahne vom Palazzo vecchio weht! Daß in jener Zeit die Abende in seinem Salon viel von ihrem früheren Reiz verloren hatten, lag zumeist eben an dem politischen Umschwung, dem sie gedient hatten, der aber einmal voll¬ bracht nothwendig dem frondirenden Cirkel im Palast Buvndclmonte seine eigent¬ liche Bedeutung rauben mußte. Worin diese Bedeutung in früherer Zeit bestand, läßt sich leichter andeuten als beschreiben, da es sich hier weniger um bestimmte Thatsachen und Ergebnisse handelt als um einen Jahre lang fortgesetzten Meinungsaustausch, um die langsam aber unwiderstehlich in weitere Kreise dringenden Einwirkungen eines persönlichen Verkehrs, dessen Mittelpunkt die liberalen Gelehrten in Florenz bildeten. Ihnen schlössen sich die Fremden, die aus den verschiedenen Theilen Italiens, zum Theil als Verbannte längere Zeit in Florenz zubrachten und Grenzboten II. 1L63. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/429>, abgerufen am 27.09.2024.