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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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dem neuen Baustile entsprechend, ein räthselhaftes Wesen, wie er einsam und
grundlos in die Welt gesetzt, auf ihrer hohen Säule die stolze "der unbcgreif.
liebe Geburt einer Kunst, von der man nicht weiß, ob sie noch in den ersten
Anfängen oder schon in den letzten Zügen liegt.

Von diesem Anfang der Straße wenden wir uns zum Abschluß derselben,
zum Athenaeum.


Das Athenaeum

(von demselben Architekten) steht nach allen Seiten frei; ringsum führt die
Straße, und so ist wohl die erste monumentale Bedingung, daß sich der
Bau nach keiner Seite hin eine Blöße gibt. Die eigentliche Fa^abc desselben,
welche sich der Richtung der Brücke normal entgegenwendet, wird indessen als
Hauptcingangsseite die stattlichste werden. Bis jetzt läßt sich eine rechte Vor¬
stellung von ihrem dereinstigen Aussehen nicht gewinnen; einstweilen sind in
dem noch nicht verkleideten Rohbau nur Füllungen von hochstrebenden Spitz¬
bogen zu unterscheiden. Ob sich hier wohl die großen Kirchenfenster des Re-
gierungsgcbäudes, in der reicheren Form von Gruppen, wiederholen werden?
Wie dem auch werden mag: es scheint, daß hier der architektonische Auf¬
wand des Ganzen concentrirt werden soll; für die jetzt schon vollendeten Ncben-
und Hinterseiten ist nichts übrig geblieben. Ihr Schmuck, ihre ganze Verklei¬
dung besteht in nichts, als -- wie soll man es anders nennen -- einem sack-
zwillchcncn Ueberzug. Wären die Wände vollends ganz glatt geblieben mit
viereckigen Löchern darin, wie es der echte sogenannte Commißstil vorschreibt,
so würden sich doch die wenigen fingerdick aufgetragenen senkrechten und hori¬
zontalen Linien und die Spitzböglein, welche zu größerer Verherrlichung in der
Dicke eines dünnen Pappendeckels über einem handbreit vorspringenden Strei¬
fen, der ein Hauptgesims vorstellen soll, auf die Mauer geklebt sind, nicht
damit lächerlich machen, eine architektonische Fa^adengliedcrung -- dazu von
ganz unerhörten Verhältnissen -- vorstellen zu wollen. Lieber noch zu der nack¬
ten Kahlheit der Mauer und der Unzahl von Fenstern, aus denen die Prosa
des modernen Lebens so recht breit und hohl herausgähnt, sich offen bekennen,
als durch einen der Art angehängten Fetzen die Häßlichkeit und Armuth be¬
schönigen wollen. Wird nun, wie sich mit Grund vermuthen läßt, die Haupt-
sa^abe mit reichem Schmuck versehen, zu dem sogar die Malerei ihre Farben¬
pracht, überdies auf Goldgrund, hergeben soll, so wird man vollkommen den
Eindruck eines Faschingscherzes haben: vorn der Karnevalsprinz aus tausend
und einer Nacht, hinten der armselige, einfarbige Müllerknecht. -- Und, bei¬
läufig bemerkt, hätte man die Bogen, welche die Auffahrt an der Vorderseite
tragen, nur lieber offen gelassen! Gewiß wäre dadurch die Fa^.abc, sie mag
sonst werden, wie sie will, malerischer geworben, als durch die Verblendung


dem neuen Baustile entsprechend, ein räthselhaftes Wesen, wie er einsam und
grundlos in die Welt gesetzt, auf ihrer hohen Säule die stolze «der unbcgreif.
liebe Geburt einer Kunst, von der man nicht weiß, ob sie noch in den ersten
Anfängen oder schon in den letzten Zügen liegt.

Von diesem Anfang der Straße wenden wir uns zum Abschluß derselben,
zum Athenaeum.


Das Athenaeum

(von demselben Architekten) steht nach allen Seiten frei; ringsum führt die
Straße, und so ist wohl die erste monumentale Bedingung, daß sich der
Bau nach keiner Seite hin eine Blöße gibt. Die eigentliche Fa^abc desselben,
welche sich der Richtung der Brücke normal entgegenwendet, wird indessen als
Hauptcingangsseite die stattlichste werden. Bis jetzt läßt sich eine rechte Vor¬
stellung von ihrem dereinstigen Aussehen nicht gewinnen; einstweilen sind in
dem noch nicht verkleideten Rohbau nur Füllungen von hochstrebenden Spitz¬
bogen zu unterscheiden. Ob sich hier wohl die großen Kirchenfenster des Re-
gierungsgcbäudes, in der reicheren Form von Gruppen, wiederholen werden?
Wie dem auch werden mag: es scheint, daß hier der architektonische Auf¬
wand des Ganzen concentrirt werden soll; für die jetzt schon vollendeten Ncben-
und Hinterseiten ist nichts übrig geblieben. Ihr Schmuck, ihre ganze Verklei¬
dung besteht in nichts, als — wie soll man es anders nennen — einem sack-
zwillchcncn Ueberzug. Wären die Wände vollends ganz glatt geblieben mit
viereckigen Löchern darin, wie es der echte sogenannte Commißstil vorschreibt,
so würden sich doch die wenigen fingerdick aufgetragenen senkrechten und hori¬
zontalen Linien und die Spitzböglein, welche zu größerer Verherrlichung in der
Dicke eines dünnen Pappendeckels über einem handbreit vorspringenden Strei¬
fen, der ein Hauptgesims vorstellen soll, auf die Mauer geklebt sind, nicht
damit lächerlich machen, eine architektonische Fa^adengliedcrung — dazu von
ganz unerhörten Verhältnissen — vorstellen zu wollen. Lieber noch zu der nack¬
ten Kahlheit der Mauer und der Unzahl von Fenstern, aus denen die Prosa
des modernen Lebens so recht breit und hohl herausgähnt, sich offen bekennen,
als durch einen der Art angehängten Fetzen die Häßlichkeit und Armuth be¬
schönigen wollen. Wird nun, wie sich mit Grund vermuthen läßt, die Haupt-
sa^abe mit reichem Schmuck versehen, zu dem sogar die Malerei ihre Farben¬
pracht, überdies auf Goldgrund, hergeben soll, so wird man vollkommen den
Eindruck eines Faschingscherzes haben: vorn der Karnevalsprinz aus tausend
und einer Nacht, hinten der armselige, einfarbige Müllerknecht. — Und, bei¬
läufig bemerkt, hätte man die Bogen, welche die Auffahrt an der Vorderseite
tragen, nur lieber offen gelassen! Gewiß wäre dadurch die Fa^.abc, sie mag
sonst werden, wie sie will, malerischer geworben, als durch die Verblendung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/427>, abgerufen am 27.09.2024.