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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Schar. Sie erzählten, in Montauban würde heute "la. Ms" gefeiert -- Caldon
bemerkte se'viz^ Montauban wäre ihre Heimat, dann forderte sie uns auf, unsre
Schritte dorthin zu lenken und versicherte: die Feste von Se. Manuel oder
von Cierp könnten berühmter sein, als die ihres Dorfes, aber schöner waren
sie gewiß nicht -- wir müßten es ewig bereuen, wenn wir das prächtige
Schauspiel versäumten.

Ein dumpfes Getön "wie von Brummbaß und von Geigen" drang durch
die stille Luft bis zu uns herüber -- das zog die tanzlustigen Dirnen mit un¬
widerstehlicher Macht; plaudernd und lachend verschwanden sie unter den
Bäumen; wir gingen ihnen langsam nach.

Was für uns die Weihnachtsfeier, ist für den Bewohner der Pyrenäen
das Localfest seines Geburtsortes. Wochenlang werden Vorbereitungen dazu
getroffen; die witzigsten Köpfe halten Rath: wodurch man wol dies Jahr der
,Ms" besondern Glanz zu geben vermöchte, sogar die Gemeindekasse wird in
Kontribution gesetzt, um Preise für die Wettkämpfe anzuschaffen. Wer Jahr
aus Jahr ein geduldig in der Fremde ausharrt, hat an diesem Tage das
Heimweh und wer irgend dazu im Stande ist, kommt herbei, die Freude der
Verwandten und Jugendgenossen zu theilen. Es kommt vor, daß Dienstboten
fortlaufen, Soldaten desertiren, um der ,M<z" beizuwohnen. Nachher kehren
sie freudegesättigt zurück und ertragen geduldig die Vorwürfe der Herrschaft
oder die Strafe ses Gesetzes.

In den materiellen Genüssen oder der sinnigen Anordnung dieser Feste
darf der Grund solcher leidenschaftlicher Theilnahme nicht gesucht werden. Er
liegt allein in der tiefgewurzelten Heimatltebe der Bergbewohner. Ihr Dasein
ist mit dem der Gemeinde aufs innigste verwachsen -- sie sind nur ein Glied
im Organismus des Ganzen; abgetrennt von ihm haben sie keine Freude, kein
wahres Leben und das Ganze sollte sich wohl fühlen, wenn ein Ring aus der
Kette gebrochen ist? "I^a thes sans mol? impossiblel" sagt der Bewohner der
Ebene dem Montagnard spottend nach, aber das stört diesen nicht. Auf allen
Wegen kommen die Kinder des Dorfes gezogen, wenn die Glocken zur Früh¬
messe des Festtags rufen.

Als wir Montauban erreichten, war die Vesper eben vorüber und so
kamen wir grade in den lautesten Jubel hinein. Die Familienereignisse, die
ernsten Tagesfragen sind nun durchsprechen; Freunde und Liebende haben sich
wiedergefunden -- jeder fühlt sich wieder daheim und überläßt sich der Freude.

Das stille Dörfchen war ganz verwandelt. Musik, Gesang und Lachen
überall. Auf der Wiesenfläche am Ende des Dorfes waren Buden und Zelte
errichtet; weiter oben durch Pfähle eine Rennbahn abgesteckt und eine kolossale
Kletterstange errichtet, mit Messern, Barrels, Schärpen und bunten Tüchern
geschmückt.


Schar. Sie erzählten, in Montauban würde heute „la. Ms" gefeiert — Caldon
bemerkte se'viz^ Montauban wäre ihre Heimat, dann forderte sie uns auf, unsre
Schritte dorthin zu lenken und versicherte: die Feste von Se. Manuel oder
von Cierp könnten berühmter sein, als die ihres Dorfes, aber schöner waren
sie gewiß nicht — wir müßten es ewig bereuen, wenn wir das prächtige
Schauspiel versäumten.

Ein dumpfes Getön „wie von Brummbaß und von Geigen" drang durch
die stille Luft bis zu uns herüber — das zog die tanzlustigen Dirnen mit un¬
widerstehlicher Macht; plaudernd und lachend verschwanden sie unter den
Bäumen; wir gingen ihnen langsam nach.

Was für uns die Weihnachtsfeier, ist für den Bewohner der Pyrenäen
das Localfest seines Geburtsortes. Wochenlang werden Vorbereitungen dazu
getroffen; die witzigsten Köpfe halten Rath: wodurch man wol dies Jahr der
,Ms" besondern Glanz zu geben vermöchte, sogar die Gemeindekasse wird in
Kontribution gesetzt, um Preise für die Wettkämpfe anzuschaffen. Wer Jahr
aus Jahr ein geduldig in der Fremde ausharrt, hat an diesem Tage das
Heimweh und wer irgend dazu im Stande ist, kommt herbei, die Freude der
Verwandten und Jugendgenossen zu theilen. Es kommt vor, daß Dienstboten
fortlaufen, Soldaten desertiren, um der ,M<z" beizuwohnen. Nachher kehren
sie freudegesättigt zurück und ertragen geduldig die Vorwürfe der Herrschaft
oder die Strafe ses Gesetzes.

In den materiellen Genüssen oder der sinnigen Anordnung dieser Feste
darf der Grund solcher leidenschaftlicher Theilnahme nicht gesucht werden. Er
liegt allein in der tiefgewurzelten Heimatltebe der Bergbewohner. Ihr Dasein
ist mit dem der Gemeinde aufs innigste verwachsen — sie sind nur ein Glied
im Organismus des Ganzen; abgetrennt von ihm haben sie keine Freude, kein
wahres Leben und das Ganze sollte sich wohl fühlen, wenn ein Ring aus der
Kette gebrochen ist? „I^a thes sans mol? impossiblel" sagt der Bewohner der
Ebene dem Montagnard spottend nach, aber das stört diesen nicht. Auf allen
Wegen kommen die Kinder des Dorfes gezogen, wenn die Glocken zur Früh¬
messe des Festtags rufen.

Als wir Montauban erreichten, war die Vesper eben vorüber und so
kamen wir grade in den lautesten Jubel hinein. Die Familienereignisse, die
ernsten Tagesfragen sind nun durchsprechen; Freunde und Liebende haben sich
wiedergefunden — jeder fühlt sich wieder daheim und überläßt sich der Freude.

Das stille Dörfchen war ganz verwandelt. Musik, Gesang und Lachen
überall. Auf der Wiesenfläche am Ende des Dorfes waren Buden und Zelte
errichtet; weiter oben durch Pfähle eine Rennbahn abgesteckt und eine kolossale
Kletterstange errichtet, mit Messern, Barrels, Schärpen und bunten Tüchern
geschmückt.


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[0420] Schar. Sie erzählten, in Montauban würde heute „la. Ms" gefeiert — Caldon bemerkte se'viz^ Montauban wäre ihre Heimat, dann forderte sie uns auf, unsre Schritte dorthin zu lenken und versicherte: die Feste von Se. Manuel oder von Cierp könnten berühmter sein, als die ihres Dorfes, aber schöner waren sie gewiß nicht — wir müßten es ewig bereuen, wenn wir das prächtige Schauspiel versäumten. Ein dumpfes Getön „wie von Brummbaß und von Geigen" drang durch die stille Luft bis zu uns herüber — das zog die tanzlustigen Dirnen mit un¬ widerstehlicher Macht; plaudernd und lachend verschwanden sie unter den Bäumen; wir gingen ihnen langsam nach. Was für uns die Weihnachtsfeier, ist für den Bewohner der Pyrenäen das Localfest seines Geburtsortes. Wochenlang werden Vorbereitungen dazu getroffen; die witzigsten Köpfe halten Rath: wodurch man wol dies Jahr der ,Ms" besondern Glanz zu geben vermöchte, sogar die Gemeindekasse wird in Kontribution gesetzt, um Preise für die Wettkämpfe anzuschaffen. Wer Jahr aus Jahr ein geduldig in der Fremde ausharrt, hat an diesem Tage das Heimweh und wer irgend dazu im Stande ist, kommt herbei, die Freude der Verwandten und Jugendgenossen zu theilen. Es kommt vor, daß Dienstboten fortlaufen, Soldaten desertiren, um der ,M<z" beizuwohnen. Nachher kehren sie freudegesättigt zurück und ertragen geduldig die Vorwürfe der Herrschaft oder die Strafe ses Gesetzes. In den materiellen Genüssen oder der sinnigen Anordnung dieser Feste darf der Grund solcher leidenschaftlicher Theilnahme nicht gesucht werden. Er liegt allein in der tiefgewurzelten Heimatltebe der Bergbewohner. Ihr Dasein ist mit dem der Gemeinde aufs innigste verwachsen — sie sind nur ein Glied im Organismus des Ganzen; abgetrennt von ihm haben sie keine Freude, kein wahres Leben und das Ganze sollte sich wohl fühlen, wenn ein Ring aus der Kette gebrochen ist? „I^a thes sans mol? impossiblel" sagt der Bewohner der Ebene dem Montagnard spottend nach, aber das stört diesen nicht. Auf allen Wegen kommen die Kinder des Dorfes gezogen, wenn die Glocken zur Früh¬ messe des Festtags rufen. Als wir Montauban erreichten, war die Vesper eben vorüber und so kamen wir grade in den lautesten Jubel hinein. Die Familienereignisse, die ernsten Tagesfragen sind nun durchsprechen; Freunde und Liebende haben sich wiedergefunden — jeder fühlt sich wieder daheim und überläßt sich der Freude. Das stille Dörfchen war ganz verwandelt. Musik, Gesang und Lachen überall. Auf der Wiesenfläche am Ende des Dorfes waren Buden und Zelte errichtet; weiter oben durch Pfähle eine Rennbahn abgesteckt und eine kolossale Kletterstange errichtet, mit Messern, Barrels, Schärpen und bunten Tüchern geschmückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/419>, abgerufen am 21.12.2024.