Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Zum Schluß wollen wir noch die Ansicht der 'merkwürdigen Frau über das
gegenwärtige Zeitalter anführen: "Es ist eine wunderliche und wirklich mystische
Zeit, in der wir leben. Was sich den Sinnen zeigt, ist kraftlos, unfähig, ja
heillos verdorben; aber es fahren Blitze durch die Gemüther, es geschehen Vor¬
bedeutungen, es wandeln Gedanken durch die Zeit, es zeigen sich wie Gespenster
in mystischen Augenblicken dem tiefern Sinn, die auf eine plötzliche Umwandelung,
aus eine Revolution aller Dinge deuten, wo alles Frühere so verschwunden sein
wird, wie nach einem Erdbeben in der ganzen,Erde, während die Vulkane und
entsetzlichen Ruinen eine neue Frische emporheben, und der Mittelpunkt dieser
Umgestaltung wird doch Deutschland sein, mit seinem großen Bewußtsein, seinem
noch fähigen und gerade jetzt keimenden Herzen, seiner sonderbaren Jugend."




Ein deutsch-amerikanisches Auswandererschiff.
2.'

Fünf Wochen auf See machen den I^anämau nicht zum Se-umhin, aber
sie vertreiben die leidige Krankheit und rufen die verlorene Heiterkeit zurück.
Das waren schöne Tage und noch schönere Abende, als das Schiff dem Wende¬
kreise des Krebses sich näherte, und das Auge sich bemühte, jene Inseln zu
erspähen, welche ihren Entdecker zum glücklichsten der Sterblichen machten. Eine
Woche vorher war der Aufenthalt in unsrem Steerage wegen der erstickenden
Ausdünstungen nichts weniger als angenehm gewesen, und noch einige Zeit zurück
trieb uns die dumpfige Atmosphäre, vereinigt mit der Kälte der europäischen
Decembertage hinauf aus das Verdeck, wo uus Wind, Wetter und ein noch höherer
Grad von Kälte mit offenen Armen empfingen; aber es war eine Umarmung ohne
Herzlichkeit, sie wurde daher um mit Kälte erwiedert, und nicht lange darauf
machte sich der Eine und dann der Andere los und schlich hinab in sein dunkeles
Versteck, um die vermißte Wärme im Bette zu suchen, und, wenn möglich, auch
die Ungemüthlichkeit zu verschlafen. Nach und nach wurde die Kälte geringer,
aber die Ausdünstung stieg zu einer fast unerträglichen Hitze. Unser Capitain, der
bisher nur leblose Waaren an Bord geführt, hatte nicht die nöthige Erfahrung,
welche ihn über die Abhilfe dieser Uebel hätte belehren können. In dieser Noth,
die noch durch den Zuspruch von allerhand ungebetenen Gästen vermehrt wurde,
kamen die Vernünftigere" der Steerage-Passagiere aus den Einfall, ihre Behausung
zu scheuern; das Mittel half; der Dunst verminderte sich in einem so hohen
Grade, daß das Scheuern zum Gesetz erhoben wurde, und daß nun auch die
Bewohner des Zwischendecks gezwungen wurden, dieselbe Methode der Reinigung


^ 5

Zum Schluß wollen wir noch die Ansicht der 'merkwürdigen Frau über das
gegenwärtige Zeitalter anführen: „Es ist eine wunderliche und wirklich mystische
Zeit, in der wir leben. Was sich den Sinnen zeigt, ist kraftlos, unfähig, ja
heillos verdorben; aber es fahren Blitze durch die Gemüther, es geschehen Vor¬
bedeutungen, es wandeln Gedanken durch die Zeit, es zeigen sich wie Gespenster
in mystischen Augenblicken dem tiefern Sinn, die auf eine plötzliche Umwandelung,
aus eine Revolution aller Dinge deuten, wo alles Frühere so verschwunden sein
wird, wie nach einem Erdbeben in der ganzen,Erde, während die Vulkane und
entsetzlichen Ruinen eine neue Frische emporheben, und der Mittelpunkt dieser
Umgestaltung wird doch Deutschland sein, mit seinem großen Bewußtsein, seinem
noch fähigen und gerade jetzt keimenden Herzen, seiner sonderbaren Jugend."




Ein deutsch-amerikanisches Auswandererschiff.
2.'

Fünf Wochen auf See machen den I^anämau nicht zum Se-umhin, aber
sie vertreiben die leidige Krankheit und rufen die verlorene Heiterkeit zurück.
Das waren schöne Tage und noch schönere Abende, als das Schiff dem Wende¬
kreise des Krebses sich näherte, und das Auge sich bemühte, jene Inseln zu
erspähen, welche ihren Entdecker zum glücklichsten der Sterblichen machten. Eine
Woche vorher war der Aufenthalt in unsrem Steerage wegen der erstickenden
Ausdünstungen nichts weniger als angenehm gewesen, und noch einige Zeit zurück
trieb uns die dumpfige Atmosphäre, vereinigt mit der Kälte der europäischen
Decembertage hinauf aus das Verdeck, wo uus Wind, Wetter und ein noch höherer
Grad von Kälte mit offenen Armen empfingen; aber es war eine Umarmung ohne
Herzlichkeit, sie wurde daher um mit Kälte erwiedert, und nicht lange darauf
machte sich der Eine und dann der Andere los und schlich hinab in sein dunkeles
Versteck, um die vermißte Wärme im Bette zu suchen, und, wenn möglich, auch
die Ungemüthlichkeit zu verschlafen. Nach und nach wurde die Kälte geringer,
aber die Ausdünstung stieg zu einer fast unerträglichen Hitze. Unser Capitain, der
bisher nur leblose Waaren an Bord geführt, hatte nicht die nöthige Erfahrung,
welche ihn über die Abhilfe dieser Uebel hätte belehren können. In dieser Noth,
die noch durch den Zuspruch von allerhand ungebetenen Gästen vermehrt wurde,
kamen die Vernünftigere» der Steerage-Passagiere aus den Einfall, ihre Behausung
zu scheuern; das Mittel half; der Dunst verminderte sich in einem so hohen
Grade, daß das Scheuern zum Gesetz erhoben wurde, und daß nun auch die
Bewohner des Zwischendecks gezwungen wurden, dieselbe Methode der Reinigung


^ 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95042"/>
            <p xml:id="ID_113"> Zum Schluß wollen wir noch die Ansicht der 'merkwürdigen Frau über das<lb/>
gegenwärtige Zeitalter anführen: &#x201E;Es ist eine wunderliche und wirklich mystische<lb/>
Zeit, in der wir leben. Was sich den Sinnen zeigt, ist kraftlos, unfähig, ja<lb/>
heillos verdorben; aber es fahren Blitze durch die Gemüther, es geschehen Vor¬<lb/>
bedeutungen, es wandeln Gedanken durch die Zeit, es zeigen sich wie Gespenster<lb/>
in mystischen Augenblicken dem tiefern Sinn, die auf eine plötzliche Umwandelung,<lb/>
aus eine Revolution aller Dinge deuten, wo alles Frühere so verschwunden sein<lb/>
wird, wie nach einem Erdbeben in der ganzen,Erde, während die Vulkane und<lb/>
entsetzlichen Ruinen eine neue Frische emporheben, und der Mittelpunkt dieser<lb/>
Umgestaltung wird doch Deutschland sein, mit seinem großen Bewußtsein, seinem<lb/>
noch fähigen und gerade jetzt keimenden Herzen, seiner sonderbaren Jugend."</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein deutsch-amerikanisches Auswandererschiff.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 2.'</head><lb/>
            <p xml:id="ID_114" next="#ID_115"> Fünf Wochen auf See machen den I^anämau nicht zum Se-umhin, aber<lb/>
sie vertreiben die leidige Krankheit und rufen die verlorene Heiterkeit zurück.<lb/>
Das waren schöne Tage und noch schönere Abende, als das Schiff dem Wende¬<lb/>
kreise des Krebses sich näherte, und das Auge sich bemühte, jene Inseln zu<lb/>
erspähen, welche ihren Entdecker zum glücklichsten der Sterblichen machten. Eine<lb/>
Woche vorher war der Aufenthalt in unsrem Steerage wegen der erstickenden<lb/>
Ausdünstungen nichts weniger als angenehm gewesen, und noch einige Zeit zurück<lb/>
trieb uns die dumpfige Atmosphäre, vereinigt mit der Kälte der europäischen<lb/>
Decembertage hinauf aus das Verdeck, wo uus Wind, Wetter und ein noch höherer<lb/>
Grad von Kälte mit offenen Armen empfingen; aber es war eine Umarmung ohne<lb/>
Herzlichkeit, sie wurde daher um mit Kälte erwiedert, und nicht lange darauf<lb/>
machte sich der Eine und dann der Andere los und schlich hinab in sein dunkeles<lb/>
Versteck, um die vermißte Wärme im Bette zu suchen, und, wenn möglich, auch<lb/>
die Ungemüthlichkeit zu verschlafen. Nach und nach wurde die Kälte geringer,<lb/>
aber die Ausdünstung stieg zu einer fast unerträglichen Hitze. Unser Capitain, der<lb/>
bisher nur leblose Waaren an Bord geführt, hatte nicht die nöthige Erfahrung,<lb/>
welche ihn über die Abhilfe dieser Uebel hätte belehren können. In dieser Noth,<lb/>
die noch durch den Zuspruch von allerhand ungebetenen Gästen vermehrt wurde,<lb/>
kamen die Vernünftigere» der Steerage-Passagiere aus den Einfall, ihre Behausung<lb/>
zu scheuern; das Mittel half; der Dunst verminderte sich in einem so hohen<lb/>
Grade, daß das Scheuern zum Gesetz erhoben wurde, und daß nun auch die<lb/>
Bewohner des Zwischendecks gezwungen wurden, dieselbe Methode der Reinigung</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> ^ 5</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Zum Schluß wollen wir noch die Ansicht der 'merkwürdigen Frau über das gegenwärtige Zeitalter anführen: „Es ist eine wunderliche und wirklich mystische Zeit, in der wir leben. Was sich den Sinnen zeigt, ist kraftlos, unfähig, ja heillos verdorben; aber es fahren Blitze durch die Gemüther, es geschehen Vor¬ bedeutungen, es wandeln Gedanken durch die Zeit, es zeigen sich wie Gespenster in mystischen Augenblicken dem tiefern Sinn, die auf eine plötzliche Umwandelung, aus eine Revolution aller Dinge deuten, wo alles Frühere so verschwunden sein wird, wie nach einem Erdbeben in der ganzen,Erde, während die Vulkane und entsetzlichen Ruinen eine neue Frische emporheben, und der Mittelpunkt dieser Umgestaltung wird doch Deutschland sein, mit seinem großen Bewußtsein, seinem noch fähigen und gerade jetzt keimenden Herzen, seiner sonderbaren Jugend." Ein deutsch-amerikanisches Auswandererschiff. 2.' Fünf Wochen auf See machen den I^anämau nicht zum Se-umhin, aber sie vertreiben die leidige Krankheit und rufen die verlorene Heiterkeit zurück. Das waren schöne Tage und noch schönere Abende, als das Schiff dem Wende¬ kreise des Krebses sich näherte, und das Auge sich bemühte, jene Inseln zu erspähen, welche ihren Entdecker zum glücklichsten der Sterblichen machten. Eine Woche vorher war der Aufenthalt in unsrem Steerage wegen der erstickenden Ausdünstungen nichts weniger als angenehm gewesen, und noch einige Zeit zurück trieb uns die dumpfige Atmosphäre, vereinigt mit der Kälte der europäischen Decembertage hinauf aus das Verdeck, wo uus Wind, Wetter und ein noch höherer Grad von Kälte mit offenen Armen empfingen; aber es war eine Umarmung ohne Herzlichkeit, sie wurde daher um mit Kälte erwiedert, und nicht lange darauf machte sich der Eine und dann der Andere los und schlich hinab in sein dunkeles Versteck, um die vermißte Wärme im Bette zu suchen, und, wenn möglich, auch die Ungemüthlichkeit zu verschlafen. Nach und nach wurde die Kälte geringer, aber die Ausdünstung stieg zu einer fast unerträglichen Hitze. Unser Capitain, der bisher nur leblose Waaren an Bord geführt, hatte nicht die nöthige Erfahrung, welche ihn über die Abhilfe dieser Uebel hätte belehren können. In dieser Noth, die noch durch den Zuspruch von allerhand ungebetenen Gästen vermehrt wurde, kamen die Vernünftigere» der Steerage-Passagiere aus den Einfall, ihre Behausung zu scheuern; das Mittel half; der Dunst verminderte sich in einem so hohen Grade, daß das Scheuern zum Gesetz erhoben wurde, und daß nun auch die Bewohner des Zwischendecks gezwungen wurden, dieselbe Methode der Reinigung ^ 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/61>, abgerufen am 27.09.2024.