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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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man mit den Fingerspitzen der rechten Hand auf der linken Körperseite des sen¬
sitiven herab, so wird er diesen Strich selbst durch die Kleider kühl empfinden.
Fährt man mit beiden Händen über die ungleichnamiger Seiten des Patienten,
so kommt ein angenehmes Kühle- und Ruhegefühl über diesen, das sich bei steter
Wiederholung der Manipulation zum magnetischen Schlaf steigert. Ohne Magne-
tiseure von Profession zu sein, können wir also, wenn es uns nur gelingt, eine
Sensitive aufzutreiben, den Somnambulismus aus eigener Anschauung studiren. Die
ganze Praxis des HändeauflegeuS, des Streichens alter Frauen, hört auf, eine
verzeihliche Speculation auf den Unverstand zu sein, sie wird nach dem Verfasser
ein rationelles, auf physiologische Thatsachen begründetes Heilverfahren. Aber
nicht nur für die Medicin wird diese Entdeckung von unberechenbaren Folgen
sein, auch die Oekonomie, die Industrie, der Bergbau werden Vortheile davon
ziehen. Die sensitiven erscheinen uns immer mehr, nicht als die Kranken, Be¬
dauernswerthen, nein als die Bevorzugten des Menschengeschlechts; sie sind im
Stande, unterirdische Quellen zu entdecken und die Metalle zu erkennen, die tief
verborgen an gewissen Stellen des Bodens ruhen. Die Sage von der Wünschel¬
ruthe erklärt sich ganz natürlich. Alle Goldstnder, Quellensucher und Hexen¬
meister waren Sensitive. In den Nerven dieser Menschen ruft das fließende
Wasser, auch tief im Boden unter ihren Füßen, ganz andere Empfindungen her¬
vor, als die von Quellen nicht durchsetzte Erdschicht, die vorher ihr Fuß betrat.
Der Sensitive wittert schon in weiter Entfernung, ob Silber- oder Kupferadern
ein Gestein durchziehen, was seine Hand berührt. Ein Sensitiver wird in keinem
Bergwerk fehlen dürfen, um zu entscheiden, ob hier ein Gang zu verlassen, dort
ein Neuer einzuschlagen, der lohnendere Ausbeute verspricht.

So wunderbare Kräfte sind leider nur wenigen Menschen verliehen. Wäre
der Odhinn allgemein, so schließt der Verfasser, dann müßten wir eine Art Engel
sein. Die Allweisheit, die nur irrende Menschen wollte, hat uns darum ver¬
sagen müssen, was uns Halbgöttern gleichgestellt haben würde. --




Das Kaiserreich und der europäische Friede.

Die Frage, ob die Aufrechthaltung des Weltfriedens verträglich sei mit der
Errichtung des Kaiserreichs in Frankreich, ist jetzt das ewig wiederkehrende
Thema der europäischen Presse; bei jedem Anlaß taucht sie von Neuem auf,
jeder Umstand, der Besorgnisse erregen kaun, wird hervorgehoben, jedes officielle
Wort, das dieselben beruhigen soll, nach allen Seiten hin gedeutet. Die Interessen
Aller freilich sind hierbei so sehr betheiligt, so tief berührt werden davon die


man mit den Fingerspitzen der rechten Hand auf der linken Körperseite des sen¬
sitiven herab, so wird er diesen Strich selbst durch die Kleider kühl empfinden.
Fährt man mit beiden Händen über die ungleichnamiger Seiten des Patienten,
so kommt ein angenehmes Kühle- und Ruhegefühl über diesen, das sich bei steter
Wiederholung der Manipulation zum magnetischen Schlaf steigert. Ohne Magne-
tiseure von Profession zu sein, können wir also, wenn es uns nur gelingt, eine
Sensitive aufzutreiben, den Somnambulismus aus eigener Anschauung studiren. Die
ganze Praxis des HändeauflegeuS, des Streichens alter Frauen, hört auf, eine
verzeihliche Speculation auf den Unverstand zu sein, sie wird nach dem Verfasser
ein rationelles, auf physiologische Thatsachen begründetes Heilverfahren. Aber
nicht nur für die Medicin wird diese Entdeckung von unberechenbaren Folgen
sein, auch die Oekonomie, die Industrie, der Bergbau werden Vortheile davon
ziehen. Die sensitiven erscheinen uns immer mehr, nicht als die Kranken, Be¬
dauernswerthen, nein als die Bevorzugten des Menschengeschlechts; sie sind im
Stande, unterirdische Quellen zu entdecken und die Metalle zu erkennen, die tief
verborgen an gewissen Stellen des Bodens ruhen. Die Sage von der Wünschel¬
ruthe erklärt sich ganz natürlich. Alle Goldstnder, Quellensucher und Hexen¬
meister waren Sensitive. In den Nerven dieser Menschen ruft das fließende
Wasser, auch tief im Boden unter ihren Füßen, ganz andere Empfindungen her¬
vor, als die von Quellen nicht durchsetzte Erdschicht, die vorher ihr Fuß betrat.
Der Sensitive wittert schon in weiter Entfernung, ob Silber- oder Kupferadern
ein Gestein durchziehen, was seine Hand berührt. Ein Sensitiver wird in keinem
Bergwerk fehlen dürfen, um zu entscheiden, ob hier ein Gang zu verlassen, dort
ein Neuer einzuschlagen, der lohnendere Ausbeute verspricht.

So wunderbare Kräfte sind leider nur wenigen Menschen verliehen. Wäre
der Odhinn allgemein, so schließt der Verfasser, dann müßten wir eine Art Engel
sein. Die Allweisheit, die nur irrende Menschen wollte, hat uns darum ver¬
sagen müssen, was uns Halbgöttern gleichgestellt haben würde. —




Das Kaiserreich und der europäische Friede.

Die Frage, ob die Aufrechthaltung des Weltfriedens verträglich sei mit der
Errichtung des Kaiserreichs in Frankreich, ist jetzt das ewig wiederkehrende
Thema der europäischen Presse; bei jedem Anlaß taucht sie von Neuem auf,
jeder Umstand, der Besorgnisse erregen kaun, wird hervorgehoben, jedes officielle
Wort, das dieselben beruhigen soll, nach allen Seiten hin gedeutet. Die Interessen
Aller freilich sind hierbei so sehr betheiligt, so tief berührt werden davon die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/430>, abgerufen am 27.09.2024.