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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Vier und zwanzig Stunden im Times-Office/)

--ES ist eilf Uhr Vormittags. An dem links stehenden Obelisken zwischen
Fleetstreet und Ludgate Hill ist das Deichselpferd eines vierspännigen Omnibus
gefallen; die Passage ist dadurch für einige Minuten in Stockung gerathen; das
Pferd gleitet mit dem Huf auf den feuchten Pflastersteinen aus, so oft es
sich aufraffen will, und fällt wieder in seine frühere Lage zurück; es bleibt nichts
Anderes übrig, als die Widerhaltkette und die Stränge loszumachen. Wenn
aber in Fleetstreet ein Wagen fünf Minuten lang nicht von der Stelle kann,
spürt man die Stockung oft eine englische Meile in der Runde. Wir können
am Gitter des Obelisken gelehnt vorn bis zu Se. Pauls, rückwärts bis zu
Chancery Lane, links nach Holborn und rechts bis zu Black-Friars-Bridge sehen,
und dieser ganze ungeheure Raum bietet einen verworrenen Knäul von stillstehen¬
den Omnibussen, Cabs, Gigs, Pferden, Karren, Brauer-, Kohlen- und sonstigen
"Lastwagen, die hart an oder vielmehr in einander geschoben sind. Zwischen
ihnen schlüpft zuweilen ein kecker Junge dnrch, springt hier über einen Karren,
kriecht dort nnter dem Bauche eines Pferdes fort und gelangt mit Gefahr seiner
Knochen an's jenseitige Trottoir. Wer nnr irgend Zeit und sein Leben lieb hat,
wartet. Es ist übrigens gar so schön, dieses Gewühl mit anzusehen, und wenn
man nicht einmal Geduld haben sollte, ein Paar Minuten ruhig zu stehen, wovon
sollten die armen Londoner Taschendiebe leben!

Der Knoten ist bald gelöst. Zwei Policemen, vier müßige Kutscher, ein
Dutzend Roßkämme, von denen es an jeder Ecke wimmelt, ein Paar zerlumpte
Jungen, die glücklich sind, wenn sie nur ein Pferd anrühren dürfen, haben die
Kette gelöst und die Stränge losgeschnallt und das Kümmel losgehakt, und wieder
zugemacht und zugeschnallt und zugehakt, und Alles ist in Ordnung. So ein



*) Aus dem im Druck befindlichen 2. Baude der "Wanderungen durch London" von
Max Schlesinger.
Krcnzboten. IV. -I8S2. Ki
Vier und zwanzig Stunden im Times-Office/)

--ES ist eilf Uhr Vormittags. An dem links stehenden Obelisken zwischen
Fleetstreet und Ludgate Hill ist das Deichselpferd eines vierspännigen Omnibus
gefallen; die Passage ist dadurch für einige Minuten in Stockung gerathen; das
Pferd gleitet mit dem Huf auf den feuchten Pflastersteinen aus, so oft es
sich aufraffen will, und fällt wieder in seine frühere Lage zurück; es bleibt nichts
Anderes übrig, als die Widerhaltkette und die Stränge loszumachen. Wenn
aber in Fleetstreet ein Wagen fünf Minuten lang nicht von der Stelle kann,
spürt man die Stockung oft eine englische Meile in der Runde. Wir können
am Gitter des Obelisken gelehnt vorn bis zu Se. Pauls, rückwärts bis zu
Chancery Lane, links nach Holborn und rechts bis zu Black-Friars-Bridge sehen,
und dieser ganze ungeheure Raum bietet einen verworrenen Knäul von stillstehen¬
den Omnibussen, Cabs, Gigs, Pferden, Karren, Brauer-, Kohlen- und sonstigen
»Lastwagen, die hart an oder vielmehr in einander geschoben sind. Zwischen
ihnen schlüpft zuweilen ein kecker Junge dnrch, springt hier über einen Karren,
kriecht dort nnter dem Bauche eines Pferdes fort und gelangt mit Gefahr seiner
Knochen an's jenseitige Trottoir. Wer nnr irgend Zeit und sein Leben lieb hat,
wartet. Es ist übrigens gar so schön, dieses Gewühl mit anzusehen, und wenn
man nicht einmal Geduld haben sollte, ein Paar Minuten ruhig zu stehen, wovon
sollten die armen Londoner Taschendiebe leben!

Der Knoten ist bald gelöst. Zwei Policemen, vier müßige Kutscher, ein
Dutzend Roßkämme, von denen es an jeder Ecke wimmelt, ein Paar zerlumpte
Jungen, die glücklich sind, wenn sie nur ein Pferd anrühren dürfen, haben die
Kette gelöst und die Stränge losgeschnallt und das Kümmel losgehakt, und wieder
zugemacht und zugeschnallt und zugehakt, und Alles ist in Ordnung. So ein



*) Aus dem im Druck befindlichen 2. Baude der „Wanderungen durch London" von
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[0411] Vier und zwanzig Stunden im Times-Office/) --ES ist eilf Uhr Vormittags. An dem links stehenden Obelisken zwischen Fleetstreet und Ludgate Hill ist das Deichselpferd eines vierspännigen Omnibus gefallen; die Passage ist dadurch für einige Minuten in Stockung gerathen; das Pferd gleitet mit dem Huf auf den feuchten Pflastersteinen aus, so oft es sich aufraffen will, und fällt wieder in seine frühere Lage zurück; es bleibt nichts Anderes übrig, als die Widerhaltkette und die Stränge loszumachen. Wenn aber in Fleetstreet ein Wagen fünf Minuten lang nicht von der Stelle kann, spürt man die Stockung oft eine englische Meile in der Runde. Wir können am Gitter des Obelisken gelehnt vorn bis zu Se. Pauls, rückwärts bis zu Chancery Lane, links nach Holborn und rechts bis zu Black-Friars-Bridge sehen, und dieser ganze ungeheure Raum bietet einen verworrenen Knäul von stillstehen¬ den Omnibussen, Cabs, Gigs, Pferden, Karren, Brauer-, Kohlen- und sonstigen »Lastwagen, die hart an oder vielmehr in einander geschoben sind. Zwischen ihnen schlüpft zuweilen ein kecker Junge dnrch, springt hier über einen Karren, kriecht dort nnter dem Bauche eines Pferdes fort und gelangt mit Gefahr seiner Knochen an's jenseitige Trottoir. Wer nnr irgend Zeit und sein Leben lieb hat, wartet. Es ist übrigens gar so schön, dieses Gewühl mit anzusehen, und wenn man nicht einmal Geduld haben sollte, ein Paar Minuten ruhig zu stehen, wovon sollten die armen Londoner Taschendiebe leben! Der Knoten ist bald gelöst. Zwei Policemen, vier müßige Kutscher, ein Dutzend Roßkämme, von denen es an jeder Ecke wimmelt, ein Paar zerlumpte Jungen, die glücklich sind, wenn sie nur ein Pferd anrühren dürfen, haben die Kette gelöst und die Stränge losgeschnallt und das Kümmel losgehakt, und wieder zugemacht und zugeschnallt und zugehakt, und Alles ist in Ordnung. So ein *) Aus dem im Druck befindlichen 2. Baude der „Wanderungen durch London" von Max Schlesinger. Krcnzboten. IV. -I8S2. Ki

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/411>, abgerufen am 27.09.2024.